Klassiker

Schweizer Gipfelstürmer

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Die Baseler Supersportwagenschmiede Monteverdi war lange Zeit von Geheimnissen umhüllt. Nachdem er ein Leben lang davon geträumt hat, darf unser Autor Marc Sonnery endlich den ultimativen GT fahren: die Monteverdi Berlinetta.

Für eine so kurzlebige Marke ist die Kraft des Monteverdi-Mythos in der kollektiven Erinnerungskultur vieler Sportwagenliebhaber bemerkenswert. Die Automobile Monteverdi AG mit Sitz im Baseler Vorort Binningen baute nur von 1967 bis 1982 Sportwagen und suchte danach ihr Heil in luxuriösen Offroadern und dem Mittelmotor-Ungetüm Hai. Es drang wenig über das Unternehmen nachaußen, speziell über die Zahl der tatsächlich gebauten Modelle. Dabei war es absolut beeindruckend, wenn die Eidgenossen auf ihrem Heim-Salon in Genf mal wieder ein neues Modell präsentierten, gleich neben den Ständen der Platzhirsche Maserati, Ferrari und Lamborghini.

Der willensstarke und temperamentvolle Peter Monteverdi (1934–1998) war ein Überflieger, der 1957 noch während seiner kurzen Motorsportkarriere (1955–1961) zum weltweit jüngsten Ferrari-Importeur avancierte. In den Folgejahren erwarb er weitere Vertretungen, unter anderem für Lancia, Bentley und Jensen. Später war er die treibende Kraft hinter dem ultraseltenen Mittelmotor-Supercar Hai, doch da standen die Zeichen schon auf Abgesang. Am Ende hatte Monteverdi, zumindest was die Sportwagen betraf, mit der bis 1976 vertriebenen Baureihe High Speed 375 die größten Erfolge. Auch wenn die genaue Zahl der gebauten Fahrzeuge unter Monteverdi-Liebhabern immer ein heißes Thema war.

Die ist das Berlinetta-Modell Nummer 3 vom Genfer Salon 1974 mit den markanten Seitenstreifen.

Den Anfang machte der zweisitzige 375 S auf Basis eines robusten Kastenrahmens aus Vierkantrohren und angetrieben von einem mit einer TorqueFlite-Automatik verkoppelten 7,2-Liter-V8 von Chrysler. Mit der Entscheidung für einen fetten Detroit-V8 folgte Monteverdi nicht einfach den Vorbildern von Iso, de Tomaso, Jensen und Co. Schon für sein erstes Boot hatte er einen V8 erworben, gefolgt von einem weiteren Paar für seine Riva-Jacht.

Der wurde 1969 erheblich modifiziert mit kurzem Radstand und Fissore-Karosserie auf der London Motor Show vorgestellt. Von ihm entstanden nur sechs Exemplare, Monteverdi selbst gab zu, dass dieses Modell mit dem unrühmlichen Spitznamen »Fischmaul« nicht sein bestes Design gewesen sei. Trotzdem bildete der 375 S die Basis für den 375 C, das erste Cabriolet des Unternehmens. Insgesamt gab es nur zwei Offene, einer wurde 1974 zum Cabriolet Palm Beach umgebaut. Weitaus ehrgeiziger war die große viertürige 375/4 Limousine: Mit 5,3 Meter Länge war sie für Kaiser und Plutokraten gedacht, denen der Mercedes 600 nicht exklusiv genug war. Etwa 35 Exemplare sollen gebaut worden sein. Erst dann kam die Berlinetta, aus dem 375 S im Winter 1971/72 entwickelt. Ein Auto, das ein Rätsel blieb, obwohl es die Speerspitze der gesamten 375-Baureihe bildete. Wir wollten mehr wissen und reisten nach Basel, um den ultimativen Monteverdi mit Frontmotor, einen von drei hergestellten Berlinetta, Probe zu fahren.

Der 7,2-Liter-V8 von Chrysler sorgt für ordentlich Druck mit stattlichen 578 Newtonmetern.

Der erste stand als Premiere auf dem Genfer Salon von 1972. Er wies eine Reihe von Überarbeitungen auf, allen voran einen durch einen zusätzlichen Y-förmigen Träger verstärkten Rohrrahmen. Die Sicherheit verbesserten ferner ein in die B-Säulen integrierter Überrollbügel, ein Querträger in Höhe des Armaturenbretts, Verbundglasfenster, ein Lenkrad mit Pralltopf, stoßabsorbierende Stoßfänger, der unter dem Kofferraum montierte Kraftstofftank und ein über drei Wärmefühler sich selbst akti- vierendes Feuerlöschsystem von Graviner mit sechs Düsen.

Eine direktere ZF-Servolenkung ergänzte das Sportpaket, zusammen mit einem mächtigen 7,0-Liter-Hemi-Motor, Monteverdis Ölwanne und -kühler sowie einem ZF-Fünfgang- Getriebe. Die modernere Innenausstattung (das hölzerne Armaturenbrett war verschwunden) glänzte mit Schalensitzen von Scheel, während sich das Exterieur über eine eigenständige Frontpartie vom 375 S und L abhob. Die Motorhaube fiel nun deutlich stärker ab, der Kühlergrill ging über die gesamte Breite und integrierte vier rechteckige Halogenscheinwerfer; am Heck baute man nun Rückleuchten aus dem Triumph TR6 ein.

Scheel-Schalensitze, viel schwarzes Leder und eine riesige Mittelkonsole zur Unterbringung der Klimaanlage – die Schweizer Definition von GT-Luxus.

Das erste Exemplar basierte auf einem frühen 375 S Fissore, der bei der Carrosserie Wenger im Zentrum von Basel nach den Wünschen Peter Monteverdis modifiziert worden war. Mit Wenger hatte Monteverdi schon seit den 1960er-Jahren eng zusammengearbeitet, ähnlich wie Ferrari mit Scaglietti. Das Auto gelangte schließlich nach Schweden, wo er heute noch steht, allerdings ohne seine Stoßstangen. Der zweite Wagen wurde bei Fissore in Italien gebaut, angetrieben von einem 7,2-Liter-Magnum-V8 mit geschätzt 390 PS. Er war Teil der Monteverdi-eigenen Museumssammlung und wurde vor einigen Jahren an einen Sammler in München verkauft, der ihn restauriert hat.

Der dritte Wagen ist der, den Sie auf diesen Seiten sehen. Ihm spendierte man ebenfalls einen 7,2-Liter-Magnum-V8 von Chrysler, der zwar »nur« rund 340 PS leistet, aber als laufruhiger als der grobmotorische Hemi galt. Dieser Unterschied hat jahrzehntelang für Verwirrung in Stammtischgesprächen unter Monteverdi-Anhängern gesorgt; ebenso wie die Tatsache, dass er mit einem Viergang-Schaltgetriebe ausgestattet war.

Wie der erste Monteverdi wurde er von Wenger gebaut, aber im Gegensatz zu den ersten beiden Modellen hat er nicht die seitlich aus der Bugpartie herausragenden Blinker. Monteverdi zeigte ihn 1974 in Genf mit schwarzen, über die Wagenflanken verlaufenden breiten schwarzen Zierstreifen. Berlinetta Nummer 3 befindet sich seit einigen Jahren im Besitz von Ruedi Wenger, der die 100 Jahre alte Karosseriefirma, die seinen Namen trägt, leitet und Monteverdi immer nahe stand. Nachdem er bereits mehrere 375er besessen hatte, wollte Wenger eine Berlinetta und spürte diesen Wagen auf. Er war neu an einen Italiener verkauft worden und stand in Lausanne.

Fotos Dennis Noten // Bearbeitung Thomas Imhof

Lesen Sie in OCTANE #67, wie sich die Berlinetta fährt und warum sie als ultimative Kreation aus der Blütezeit der Marke gilt.

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