Klassiker

Sein letzter Landy

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Spencer Wilks steuerte Rover einst in ein goldenes Zeitalter. Seinen etwas speziellen Land Rover der Serie IIA nahm er mit in den Ruhestand. Jetzt führte Mark Dixon ihn artgerecht aus.

Wir fragen uns beide, ob der Land Rover und ich als Fahrer das überstehen werden. Neben mir sitzt Mike Bishop, der in Australien praktisch mit diesen Autos aufgewachsen und heute so etwas wie der Chefhistoriker von Land Rover Classic ist. Gerade erst hat er mir erzählt, wie er einen deutlich moderneren Landy aus genau dieser sumpfigen, zerfurchten Schlammdurchfahrt bergen musste. Bei unserem Fahrzeug handelt es sich um einen 1965er Land Rover Serie IIA mit serienmäßigem 2,25-Liter-Benzinmotor. Keine Traktionskontrolle, kein Terrain-Response-System. Dafür ein rein mechanischer Allradantrieb und ein Satz zeitgenössischer Michelin XCA-Reifen, die nicht gerade geländetauglich wirken. Und keiner von uns trägt Stiefel. Wenn wir hier stecken bleiben, wird sich mindestens einer richtig dreckig machen.

Egal. Als echter Kerl – und weil neben mir ein kerniger Australier sitzt – muss ich da jetzt durch. Entschlossener als ich mich fühle wage ich mich vor. Wird schon klappen … Außerdem hat Mike Bishop mich dazu angestiftet. Also aktiviere ich die Untersetzung, lege den zweiten Gang ein, gebe Gas und schiebe uns mitten in den Matsch.

Üblicherweise empfiehlt es sich, im Gelände langsamer zu fahren, als der Teufel auf der Schulter es rät. Andererseits gilt es, den Schwung mitzunehmen, und genau das ist hier gefragt. Der Landy stürzt sich ins Matschloch, schlittert, gleitet und rutscht zur Seite, die Spurrillen übernehmen die Lenkung. Ich bleibe unbeirrt auf dem Gas und lasse das Lenkrad durch meine Hände drehen, bis die Vorderräder plötzlich in Richtung des nächsten Baums abgelenkt werden. Also korrigiere ich beherzt, der Motor heult auf, das Adrenalin schießt in die Höhe, der Landy bockt und schwänzelt. Aber er kommt beharrlich voran. Nur wenige Sekunden später sind wir aus der Gefahrenzone heraus und halten an.

Der Land Rover von Spencer Wilks kehrt auf die Straßen jener Insel zurück, die er Mitte der 1960er-Jahre regelmäßig befuhr.

Unserer ist zudem ein ganz besonderes Exemplar. Er war der letzte Land Rover, der dem langjährigen Rover-Chef Spencer Wilks gehörte. Als dieser sich auf sein Anwesen auf der Insel Islay in den südlichen Hebriden zurückzog, nahm er den Landy mit. Wegen seiner Herkunft weist dieser äußerlich serienmäßige Land Rover IIA einige Besonderheiten auf, denn Wilks probierte oft und gerne Prototypen aus. Seine Enkelin Kathy Wills – die heute auf Islay zusammen mit ihrem Mann Anthony die Kilchoman-Whiskybrennerei betreibt – zeigt uns Fotos des ehemaligen Familiensitzes in Warwickshire mit einigen seltsamen Rover-Versionen: von einem Marauder-Sportwagen über einen Rover P4 mit Pininfarina-Karosserie bis hin zu verschiedenen Prototypen des gescheiterten Road Rover-Konzepts.

Gemessen an seiner Bedeutung für Rover ist nur sehr wenig über Spencer Bernau Wilks veröffentlicht worden. Im Ersten Weltkrieg wurde er Hauptmann in einer Transportkompanie und lernte während seiner Dienstzeit eine Krankenwagenfahrerin namens Kathleen Hillman kennen. Ja, Hillman wie der Automobilhersteller: Kathleen war eine der sechs Töchter des Firmengründers William Hillman. Die beiden heirateten 1916. Als der Krieg zu Ende war, trat Wilks in das Unternehmen seines Schwiegervaters ein und wurde 1921 Nachfolger von William Hillman als einer der Geschäftsführer. 1928 holte Spencer Wilks noch seinen jüngeren Bruder Maurice als Ingenieur zu Hillman, die Zukunft sah rosig aus. Doch dann übernahmen die Gebrüder Rootes die Hillman-Werke. Spencer Wilks wechselte im September 1929 als Generaldirektor zu Rover, sein Bruder Maurice folgte 1931 als Chefingenieur. Diese beiden sollten nach dem Zweiten Weltkrieg zur treibenden Kraft bei der Entwicklung des Land Rover werden.

Der bewährte 2,25-Liter-Vierzylinder-Benziner – natürlich Benzin, kein Diesel.

Zuvor musste Spencer jedoch eine massive Krise bei Rover meistern. Das Unternehmen stand Ende der 1920er-Jahre kurz vor dem Bankrott, der Versuch mit dem luftgekühlten 7-PS-Sparauto Scarab ging total schief. Als Rover-Geschäftsführer Frank Searle 1931 nicht von einer Geschäftsreise nach Neuseeland zurückkehrte, übernahm Spencer Wilks das Unternehmen und brachte Rover auf neuen Kurs. Er hatte die eine große Wahrheit im Autmobilbau erkannt: Mit großen, teuren Autos macht man mehr Gewinn als mit kleinen, billigen – das heutige Unternehmen Jaguar Land Rover ist der lebende Beweis dafür. Wilks stellte das Scarab-Projekt ein und ordnete an, nur noch Qualitätsfahrzeuge der Mittelklasse zu produzieren. Dank dieser Strategie florierte das Unternehmen bis zur ruinösen Übernahme durch British Leyland in den späten 1960ern.

Der Innenraum wirkt gemessen an ganz frühen Land Rover-Versionen schon fast luxuriös.

So führten Spencer und Maurice Wilks Land Rover durch goldene Jahre. Auch nachdem Spencer Wilks 1962 als Vorstandsvorsitzender ausschied, blieb er als Präsident des Verwaltungsrats ein wichtiger Berater. »Wilks benutzte seine Autos wirklich auf den Anwesen der Familie und nahm regelmäßig Prototypen für ein Wochenende oder länger mit nach Hause«, bestätigt Mike Bishop. Als das Haus in Warwickshire nach Wilks’ Tod 1971 verkauft wurde, zeigte das Exposé des Maklers einen Series II, der draußen geparkt war. Es handelte sich um einen 1958er Diesel, Fahrgestell Nummer 6, zugelassen auf die Rover-Entwicklungsabteilung.

Wilks blickte immer weit voraus und so weist sein Serie IIA-Landy einige Merkmale der Vorentwicklung auf, die erst später in Serie gingen. Er verfügt über Zündschloss statt Startknopf, gepolstertes Armaturenbrett und in Endstellung stoppende Scheibenwischer, angetrieben von einem einzigen Motor statt von zweien. Interessanterweise durfte ich genau dieses Exemplar schon einmal auf Islay fahren, nachzulesen in OCTANE #36. Damals allerdings blieb es bei einem Convoi klassischer Landys auf der Straße, von Offroadeinsätzen war damals keine Rede.

Dass Wilks’ eigener Land Rover überlebte, war alles andere als selbstverständlich: »In den frühen 1970er-Jahren, kurz nach Spencer Wilks’ Tod, beschädigte sein Sohn Nick die Heckpartie durch einen Ausrutscher des Anhängers“, erzählt Bishop. »Nick besorgte das komplette Teil neu aus dem Presswerk und stellte es gemeinsam mit dem beschädigten Landy in einem Schuppen ab. Dort stand er, bis Roger Crathorne von Land Rover vorschlug, ihn wiederzubeleben. Der Restaurator Ken Wheelwright baute ihn 2008 wieder auf, dann wurde er in unsere historische Flotte aufgenommen. Sein erster Einsatz war ein Auftritt in der BBC-Fernsehserie ‚Coast‘.«

Bearbeitung Johannes Schnettler // Fotos Land Rover Classic

Lesen Sie in OCTANE #69, wie sich der alte Landy fährt und ob er nach seinem Ausflug durch den Matsch heil zurück in die Garage kam.

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