Klassiker

Porsche 956 – der Dominator

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Der 956 war Porsches Lehrstück, wie man das 24-Stunden-Rennen trotz eines brandneuen Chassiskonzepts und einer neuen Verbrauchsformel auf Jahre hinaus dominieren kann. Matthew Hayward lüftet die Geheimnisse des Chassis 956-001.

Selten beschleunigen brandneue Rennwagen sofort auf die Siegerstraße. Auch bei Porsche konnte man nicht davon ausgehen, als es Anfang der 1980er-Jahre darum ging, einen siegfähigen Nachfolger des 936 und 935 für die neue Gruppe C zu konstruieren. Wer konnte da schon ahnen, dass der 956 gleich beim ersten Einsatz in Le Mans gewinnen würde? Geschweige denn, am Ende der Karriere auf sieben Gesamtsiege an der Sarthe zu kommen? Denn vor diesen Triumphen stand für Porsche eine Welt voller Unbekannter: ein Voll-Monocoque-Chassis, ein Aerodynamikkonzept mit Ground Effect à la Formel 1 und on top die strengen Gruppe-C-Verbrauchsvorschriften.

Auch die finanzielle Situation von Porsche war zu jener Zeit alles andere als rosig. Was die Motorsportabteilung unter Druck setzte, ihre Prioritäten sorgfältig abzuwägen. Nachdem man in Zuffenhausen die Motorsportaktivitäten für 1980 fast auf Null gestellt hatte, kam mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden, dem Deutsch-Amerikaner Peter W. Schutz, frischer Wind ins Unternehmen. »Warum fahren wir nur um Klassen- und nicht um Gesamtsiege?«, wollte er gleich beim Antrittsbesuch von der Rennabteilung wissen.

Die fühlte sich inspiriert, holte den Porsche 936 aus dem Museum, verpasste ihm einen 2,65 Liter großen Turbomotor aus einem nicht zustande gekommenen Indycar-Projekt und gewann damit 1981 mit Ickx/Bell als Fahrer die 24 Stunden von Le Mans – im Gesamtklassement. Solcherart euphorisiert, gaben Schutz und Ferry Porsche grünes Licht für die Entwicklung des brandneuen Gruppe-C-Modells. Unter der Leitung von Norbert Singer machte sich eine Gruppe von fünf langjährigen Porsche-Ingenieuren gleich nach dem Le-Mans-Sieg ans Werk.

Im Gegensatz zum Vorgänger 936 mit Gitterrohrrahmen war der 956 als Monocoque konzipiert.

Weil die FIA das endgültige Reglement erst im Oktober 1981 veröffentlicht hatte, blieb Porsche nur ein kleines Zeitfenster für die Entwicklung des neuen Langstreckenrenners. Singer erinnert sich, wie es los ging: »Wir haben sofort angefangen, und ich weiß noch, wie Ferry Porsche das erste Modell ansah und sagte: ‚Oh, ich wünsche Ihnen viel Glück.‘ Er hatte in seinem Leben schon so viele neue Rennwagen gesehen, für ihn war das nur ein weiterer. Es wusste niemand, ob es ein Flop werden würde oder nicht.«

Die erste Entscheidung betraf den Motor. In dieser Hinsicht war das sonst eher restriktive Gruppe-C-Reglement freizügig. Im Grunde war jede Konfiguration erlaubt, worauf sich Porsche für einen von zwei Turboladern aufgeladenen Sechszylinder-»Mezger«-Motor entschied. Dabei handelte es sich um eine Weiterentwicklung jenes bereits erwähnten Triebwerks, mit dem Porsche 1981 Le Mans gewann. Während es keine Bedenken hinsichtlich der Leistung oder Zuverlässigkeit gab, stellte die Gruppe-C-Verbrauchsformel die Techniker vor neue Aufgaben. Porsches Motorenguru Valentin Schäffer wurde mit der Entwicklung beauftragt und führte als erste Maßnahme wassergekühlte Zylinderköpfe ein. Nach einigen Überarbeitungen gab das Triebwerk verlässlich 580 PS ab, im Qualifying-Trimm waren 620 PS möglich. Vor Einführung der elektronischen Bosch-Motronic-Einspritzung im Jahr 1984 hatten die ersten Modelle – darunter auch der 001, den Sie hier sehen – zunächst nur ein mechanisches Bosch-System.

Der 2,65-Liter-Biturbo-Motor mit den schräg und V-förmig über dem Getriebe liegenden und an ihm einzeln aufgehängten Feder-/Dämpferpaketen.

Zweiter wichtiger Punkt im Lastenheft: das Chassis. Noch im 936 hatte Porsche auf einen Gitterrohrrahmen als »Skelett« des Fahrzeugs gesetzt. Singer: »Uns war bewusst, dass in Bezug auf die Sicherheit und die Torsionssteifigkeit ein Monocoque deutliche Vorteile bieten würde. Das verlangte aber intern einige Überzeugungsarbeit. Die gelang uns, und wir bekamen das ‚go-ahead‘. In Wahrheit hatten wir keine Erfahrung im Bau von Monocoques, aber wie sagt doch das schöne englische Sprichwort: ‚Learning by doing‘. Wir haben mit einfachen Aluminiumkästen angefangen, die wir gebogen und geschweißt haben, und am Ende haben wir daraus ein Lern-Monocoque gebaut. Aber das zweite, das fertig wurde, war dann tatsächlich schon das erste komplette Rennauto.«

Das schnörkellose Armaturenbrett mit dem goldenen Drehrad zur Regelung des Ladedrucks.

Das zweite Chassis, auf das sich Singer bezieht, ist der Porsche 956-001. Verkleidet mit einer funktionalen (und zugleich schönen) sowie mit Kevlar verstärkten Verbundstoffkarosserie, diente er während der gesamten Bauzeit des 956 als Haupttest- und Entwicklungsfahrzeug. Interessanterweise erwähnt Singer, dass die Wahl von Aluminium für das Monocoque keineswegs unumstritten war: Denn auch Kohlefaser, in der Formel 1 bereits umgesetzt, wurde in Betracht gezogen. Singer: »Wir haben aber schnell gelernt, dass es mit einem so kleinen Team nicht möglich war, ein Karbon-Monocoque zu bauen. Aber es gab einige interessante Modelle für solche Monocoques, die im PorscheMuseum zu sehen sind.«

Die Abmessungen des 956 wurden durch das Reglement der Gruppe C vorgegeben. Und während die FIA seitliche Schürzen (»skirts«) nach Formel-1-Vorbild verbot, stand es den Teams frei, durch den Einsatz von Venturi-Tunneln am Unterboden zusätzlichen Anpressdruck (»ground effect«) zu erzeugen. Aerodynamikfuchs Singer arbeitete im Windkanal an mehreren Varianten, um jeden Millimeter in Länge und Breite auszunutzen, den das Reglement zuließ. Das war kein einfacher Prozess: »Bei einem Verbrauchsreglement ist der erste Gedanke, den Luftwiderstand zu reduzieren. Aber wir haben versucht, neben einem geringen Luftwiderstand auch möglichst viel Abtrieb zu erzeugen. Dazu mussten wir zunächst am eigenen Leib erfahren, und austesten, was mit ‚ground effect‘ bei einem Sportwagen passiert. Anfangs versuchten wir, Formel-1-Lösungen zu kopieren, aber das hat überhaupt nicht funktioniert! Wir mussten unseren eigenen Weg finden.«

Am 27. März 1982 erlebte Chassis 956-001 in Weissach seine Jungfernfahrt mit Jürgen Barth am Steuer. Am 30. März übernahm auch Jacky Ickx den jungfräulichen Wagen und beide bestätigten spontan, dass der 956 das Zeug zum Rennsieger hätte. Derek Bell erinnert sich an seinen ersten Einsatz im 001 Ende März auf der Rennstrecke von Paul Ricard: »Ich hatte das Auto zuvor noch nie gesehen. Dann war ich an der Reihe, und es war traumhaft, ein Auto mit diesem Anpressdruck und den Turbos zu fahren. Es ging irre schnell und dabei sehr stabil um die Kurven. Das blieb dann auch in den späteren Jahren immer so.«

Bearbeitung Thomas Imhof // Fotos Tim Scott

Lesen Sie in OCTANE #69, wo dieser 956 sein letztes Rennen gewann. Und an welchen Rennfahrer Porsche seinen Prototypen verkaufte.

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