Klassiker

Zielflagge nach 70 Jahren

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1947 entwickelten Arnaldo Roselli und Giorgio Giusti auf der Basis eines Fiat 500 den ersten “Testadoro Sport”, der bei Rennen eingesetzt wurde. Im selben Jahr, immer noch auf der Plattform eines Fiat 500, folgte bereits ein Nachfolgemodell.

Endlich! Nach zehn Monaten aufwändiger Bauzeit und 70 lange Jahre nach den ersten Gedanken an eine Testadoro-Barchetta rollt eine Ikone des Rennwagenbaus der 1950er-Jahre auf schmalen 125-R15-Reifen zum ersten Mal an die Startlinie eines “Rennens”. Und das nicht weit entfernt von Turin, wo die Geschichte einst begann, genauer gesagt bei der 26. Ausgabe des Bergrennens “Vernasca Silver Flag” im südlich von Piacenza gelegenen Castell’Arquato.

Die nur knapp 80 Zentimeter hohe Karosserie kauert auf dem Asphalt. Voluminöse, aus der Karosserie hervorragende Rundungen umschließen die Räder und laufen geschmeidig in die Motorhaube hinein. Nur eine langgezogene Hutze für die Luftversorgung des Motors schiebt sich etwas ins Blickfeld.

Hinter dem Kopf des Fahrers dominiert eine für das Jahr 1951 noch wenig gebräuchliche Finne das wohlproportionierte Heck. Kein Lack verhüllt die Oberfläche der aus Aluminiumblechen geformten Skulptur. Genauso hätte der Testadoro 240 Barchetta 1950 am Start zu den nationalen und internationalen Rennen der Saison 1951 stehen sollen. Dazu ist es aber nie gekommen …



“Aus den mageren 35 Serien-PS werden gesunde 63 PS, die kaum 500 Kilo zu bewegen haben.”

Die Testadoro-Geschichte beginnt 1947 mit Giorgio Giusti, Sohn einer wohlhabenden Industriellenfamilie aus Turin, und dem Nachwuchsingenieur Arnaldo Roselli. Der brachte als Referenz seine Mitarbeit am 16C-Bi-Motor von Alfa Romeo mit und suchte einen Partner für die Finanzierung modifizierter Zylinderköpfe für den Fiat 1100 508.

Denn zu der langsam wiedererwachenden Lebensfreude in Italien in den frühen Nachkriegsjahren gehörte der Drang nach Freiheit, Mobilität, Unterhaltung und – Autorennen. Jeder Fiat Topolino wurde mit mehr oder weniger wirksamen Bauteilen für die Teilnahme an den zahlreichen “Rennen” in der 750-ccm-Klasse frisiert.

Schnell erkannte Giusti, der schon vor dem Zweiten Weltkrieg in einem Fiat “Balilla” einige Rennen bestritten hatte, das Potenzial des von Roselli entwickelten Zylinderkopfs: die Brennräume hemisphärisch geformt, die Ventile vergrößert und im 90-Grad-Winkel angeordnet. Mittig zwischen den Ventilen saßen die Zündkerzen, als Gussmaterial wurde Bronze verwendet. Diese Legierung gab den Zylinderköpfen eine höhere Festigkeit, sorgte für eine bessere Temperaturableitung und vor allen Dingen für einen klangvollen Namen: Testadoro, auf Deutsch “Goldkopf”. Den größeren Markt sah Giusti allerdings im Segment der 500-ccm-Topolino und der Fiat 500A – nicht bei den Fiat 508. Giusti und Roselli wurden sich schnell einig und das neugegründete Unternehmen “Casa dell’Auto” bediente schon ab 1947 den Markt mit leistungssteigernden Zylinderköpfen – erfolgreich vermarktet von Giusti mit seinem eigenen Auto auf den Rennstrecken im Umland.




Geradezu winzig sieht die Barchetta mit Jürgen Barth am Steuer und Dario Pasqualini als Beifahrer aus.

Schnell wuchs der Wunsch, nicht nur die Motoren des Fiat 500, sondern das ganze Auto zu modifizieren. Kurz entschlossen wurde noch im selben Jahr auf der Basis eines Fiat 500 der erste “Testadoro Sport” gebaut und bei Rennen eingesetzt. Im selben Jahr, immer noch auf der Plattform eines Fiat 500, folgte bereits ein Nachfolgemodell. Diesmal erinnerte sich Giusti an Elio Zagato, einen seiner Freunde aus dem Kreis der norditalienischen Aficionados. Die versammelten sich im Racing Club 19, später sollten ihnen auch Umberto Agnelli, Nuccio Bertone, Gilberto Colombo und Alberto Ascari angehören.

Zagato zeichnete ein Auto und mit dem Testadoro Zagato Fiat 500 gewann Giusti im Jahr 1947 noch ein Rennen in Montlhéry. Aber weder die Leistung noch das Fahrgestell entsprach den Wünschen des ambitionierten Gentleman-Fahrers Giusti. Das ehrgeizige Team wollte mit einem eigenen Motor und einer Zagato-Karosserie erfolgreich sein. Das nicht wettbewerbsfähige Chassis des Fiat 500 sollte durch einen modernen Rohrrahmen ersetzt werden.

Da passte es, dass der geniale Gilberto Colombo gerade begann, das Geschäftsfeld seines Vaters auszudehnen: von der Fertigung von Rahmen für Fahrräder und Möbel auf Rohrrahmen für Autos, speziell Sportwagen. Der ultraleichte und sehr zugfeste Chrom-Molybdän-Stahl war wie geschaffen für den Einsatz der fragil erscheinenden Tragwerke im Rennsport. Unter der Marke Gilco begann Colombo 1948, die ersten Rohrrahmen für Ferrari nach Maranello zu liefern.

Das neue Testadoro-Projekt mit einem Motor von Roselli/Giusti, dem Chassis von Colombo und der Karosserie von Zagato nahm schnell Formen an und war vom Start weg erfolgreich: 1948 siegte Giusti mit dem Testadoro “Marinella” in Turin, 1949 gewann Elio Zagato als Werksfahrer der “Squadra Testadoro” auf dem Testadoro “Daniella” bei der Targa Florio die Klasse der Sportwagen bis 750 ccm. Im selben Jahr wurde das Auto unter Ugo Puma und Aquilino Branca bei der Mille Miglia eingesetzt. Die Casa dell’Auto war auf dem richtigen Weg!

Text: Wolfgang Kürth // Fotos: Dario Pasqualini

Die ganze Geschichte des seltenen Rennwagens lesen Sie in OCTANE #60.

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