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Nicht Händler, Werkstatt oder Veredler will man sein, Freund und Helfer klingt doch viel besser. Passend zum Werkstatttermin mit Familienanschluss hat die Manufaktur 964 Kunden des Hauses zum Technik-Workshop eingeladen. Sterneküche und Weinprobe inklusive.

Der 964, der erste 911er der Neuzeit, hatte es nicht immer leicht. Lange galt er in Porsche-Kreisen als notwendiges, aber notorisch unterschätztes Interimsmodell zwischen den rauen, gefühlsechten Ur-Elfern und dem letzten, mythisch aufgeladenen Modell mit Luftkühlung, dem hoch verehrten 993. Doch der Wind hat sich gedreht, der 964 ist bei den Liebhabern angekommen. 

Michael Gerischer (56) hat seinen Anteil daran. Nicht nur, weil er sich vor zehn Jahren mit dem Geschäftsmodell 964 selbstständig machte, zu einem Zeitpunkt, als der Fokus auf anderen Baureihen lag, sondern auch deshalb, weil er schon immer an den 964 glaubte. »1990 habe ich mir ein 964 Cabrio gekauft, gerade einmal zwei Extras waren drin: Sitzheizung und Lack in Leinen-Metallic.« Das Geld für den Porsche hatte er größtenteils selbst verdient, den Rest steuerte der Vater mit einem Darlehen bei. »Ich konnte ihn mir gerade so leisten, aber das war egal: Es war meiner.« 1994 folgte der Wechsel auf einen 964 Turbo, den er heute noch besitzt. 

Ein 964 wurde auf der Hebebühne gründlich inspiziert, untersucht und beurteilt – ein Technik-Workshop von Kennern für Kenner.

Der Startschuss für die eigene Neuentdeckung des 964 fiel 2011, als sich der gelernte Feinmechaniker Gerischer einen vernachlässigten, indisch- roten 964 Carrera 2 aus Texas nach Mannheim holte und daheim instandsetzte, schön machte – und anschließend ruckzuck verkaufte. Aus dem Spaß am und der eigenen Begeisterung für den 964, aus dem Start-Up in der Doppelgarage wurde die Manufaktur 964 für Elfer-Fans. »Der Jochen und ich, wir bauen Autos für Leute, die damit auch tatsächlich fahren wollen. Was wir hier machen, muss immer uneingeschränkt funktionieren.« Jochen Dronia ist sein Geschäftspartner. Im Mechanikerteam eines 964-Cup-Piloten beim 24-h-Rennen auf dem Nürburgring habe er angefangen, sagt Dronia (48).

»Ausgestiegen bin ich beim 997 GT3 R, als es bei Aufwand und Kosten bald keine Grenzen mehr gab.« Dronias Betrieb liegt auf der anderen Straßenseite, hier werden Motor und Getriebe revidiert, der Lackierer sitzt nebenan. Es ist eine Manufaktur der kurzen Wege hier im Gewerbegebiet Gau-Algesheim nahe Mainz, und was nicht im Angebot ist, findet sich: »Karosserie, Farbe, Motor – wir können das alles bewerkstelligen. Meistens läuft es so, dass ich ein Auto suche, kaufe, einen Kostenvoranschlag erstelle und wir es im Kundenauftrag aufbauen.« 

Ein halbes Dutzend Freunde des Hauses kam zur Technikeinführung und Probefahrt im 964.

Der 964 galt lange als solider Typ, praktischer und einfacher zu fahren als die frühen Elfer, aber eben auch nie als so perfekt und konsequent gemacht wie der in jeder Hinsicht modernere Nachfolger. Allradantrieb, Schraubenfederfahrwerk, Servolenkung, ABS serienmäßig – für viele gusseiserne Porsche-Kunden waren das schon zu viele Neuerungen. Manch anderer bemängelte hingegen, dass bei Form und Innenausstattung des 964 fast alles beim Alten geblieben war. 

Sternekoch Guy Bastian bereitete zwischen Werkzeugwagen und Diagnosegerät
das Essen und die Weinprobe vor.

Die Zeiten billiger 964 sind inzwischen längst vorbei. Ein gutes Auto koste zwischen 60.000 und 70.000 Euro, mit 20.000 Euro an Investitionen bei unklarer Vorgeschichte sei eigentlich immer zu rechnen, so Gerischer. Keder der Seitenschweller und Fensterschachtleisten schrumpften mit der Zeit, ein ausgefallenes Klima-Heizung-Steuergerät und eine schadhafte Hauptölleitung seien fast immer anzutreffen. Ersatzteilpreise und Arbeitsaufwand lägen auf hohem Niveau und die hochwertige, aber teils komplex verbaute Technik eines 964 ließe sich nicht für kleines Geld reparieren.

»Aber wir können die Problemstellen wie bei einer rollenden Restaurierung nach und nach abarbeiten und der Kunde fährt weiter, kann den Wagen benutzen. Und wenn die Technik erst einmal gemacht ist, hat man die nächsten 20 Jahre Ruhe.« Klar, es gibt auch Vollrestaurierungen, aber deren Kosten liegen im sechsstelligen Bereich. 

Events wie ein Technik-Workshop für ein halbes Dutzend 964-Fans, alles Freunde des Hauses, passen da ins Bild, auch dass Handarbeit in einer Manufaktur dazugehört. Während Gerischer und Dronia am Beispiel eines weißen 964 Carrera 4 in der Werkstatt mit der Hand am Zylinderkopf die Schwachstellen und Technik des Autos erklären, steht Sternekoch Guy Bastian am Herd und bereitet parallel die Weinprobe vor. Die Gäste kennen sich, das Thema ist Porsche, gegessen wird in der Werkstatt, zwischen Werkzeugwagen, Autos und Hebebühnen – erst kommt der Spaß, dann, an Tag zwei, die Arbeit. 

Text Jan-Henrik Muche // Fotos David zu Elfe, Porsche AG

Lesen Sie in OCTANE #58, wie ein 964-Workshop zum Aha-Erlebnis werden kann.

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