Klassiker

Seltener Greifvogel

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Wenn Sie jemals einen Iso Grifo im Profil sahen, werden Sie sich mit Sicherheit gefragt haben, wie er wohl als Cabrio aussehen könnte. Hier ist die Antwort.

Ein Iso Grifo Cabrio? ab es doch nicht! Falsch gedacht. Es war im Januar 1964, als Bertone noch vor Anlauf der Serienproduktion des Coupés auf dem Turiner Autosalon einen Spider vorstellte. Abgesehen von der Dachpartie entsprach die voll fahrbare Konzeptstudie bis auf wenige Details dem späteren Coupé, insbesondere die Front war bereits auf Serienniveau. Doch blieb der mit einem 425 PS starken Corvette-Motor bestückte Showstar zum Bedauern vieler Liebhaber italienischer Vollblüter ein Einzelstück.

Allerdings fehlte es danach nie an Versuchen, weitere Cabriolets aufzulegen. Wie in den 1990er-Jahren, als der vor 13 Jahren verstorbene Deutsche Franz Prahl drei Grifo ihrer Dächer beraubte. Doch zuletzt 2020 zog das auf diesen Seiten glänzende Exemplar die Besucher der Rétromobile Paris magisch an. Jeder, der dort den Iso näher begutachtete, war begeistert von seinen Proportionen, der hohen Fertigungsqualität, der Komplexität der Technik und insbesondere der Verdeckmimik. Nichts deutete darauf hin, dass es sich hier nicht um ein originales Werksmodell handeln könnte.

Auch geschlossen ist das Iso Grifo Cabrio ein optischer Genuss und in seinen Proportionen stimmig.

Iso war eine der rätselhaftesten Automarken Italiens. Sie bestückte ihre Sportwagen mit fetten amerikanischen V8-Motoren und erfüllte somit eine ähnliche Rolle wie Jensen in Großbritannien. Die Anfänge des 1939 von Renzo Rivolta übernommenen Unternehmens lagen in der Produktion von Heizkörpern und Kühlanlagen. Nach dem Krieg nahm die Isothermos genannte Firma zunächst die Produktion von Motorrädern und -rollern auf, gefolgt vom Kleinstwagen Isetta, den BMW in Lizenz bis 1962 mehr als 130.000-mal verkaufte.

Als nächstes wagte sich die im Mailänder Vorort Bresso ansässige Iso Automotoveicoli S.p.A. mit Hilfe des bei Ferrari im Unfrieden geschiedenen Konstrukteurs Giotto Bizzarrini und des bei Bertone unter Vertrag stehenden Designers Giorgetto Giugiaro an ihren ersten Sportwagen. Bis heute halten sich hartnäckig Gerüchte, dass sich Iso zu Studienzwecken einen britischen Gordon-Keeble »auslieh«, der dann mit Notizen und Linien zurückkehrte, die Bizzarrini mit Kreide auf die Karosserie gekritzelt hatte.

Das üppige Cockpit ist ein sehr komfortabler Ort – und in dieser Lederoase auch eine Augenweide.

Was nun Wahrheit oder Dichtung ist, sei dahingestellt. Das Ergebnis war jedenfalls der 1962 vorgestellte Iso Rivolta IR 300, ein eher schlichtes und von einem 5,4-Liter-V8 aus der Chevy Corvette angetriebenes 2+2-Coupé mit Viergang-Schaltgetriebe von Borg Warner. Die Vorderräder waren an doppelten und unterschiedlich langen Dreieckslenkern mit Querstabilisator aufgehängt, ein Wattgestänge und doppelte Längslenker führten die de-Dion-Hinterachse. Der Verkaufserfolg des mit Vierrad-Scheibenbremsen bestückten Modells blieb überschaubar – bis 1970 erwärmten sich gerade einmal 792 Kunden für einen IR 300 oder den etwas kräftigeren IR 340.

Auch für das Design des 1964 folgenden Grifo (zu Deutsch: Greif) zeichnete der inzwischen zum Bertone-Designchef beförderte Giugiaro verantwortlich. Der neue Iso zielte noch stärker auf Ferrari und Maserati, zur Freude des immer noch verbitterten Bizzarrini. Dieser zweite Giugiaro-Entwurf wirkte weitaus progressiver und ausgewogener, auch wenn der nun reine Zweisitzer hinter den Sitzen höchstens noch Platz für eine Aktentasche bot. Mit erneut amerikanischer V8-Musclepower für eine Topspeed von (in der schwächsten Version) 230 km/h und seiner Panorama-Heckscheibe im Stingray-Stil blieb er neun Jahre in Produktion, bis die Ölkrise der 1970er-Jahre seinem (und Isos) benzinfressenden Höhenflug ein Ende setzte.

Der zuverlässige Corvette-Motor mit 5,4 Litern Hubraum und satten 300 PS. Mehr braucht es nicht.

In dieser Zeit gab es den Grifo mit drei verschiedenen Getrieben (manuelle Vier- und Fünfgangboxen sowie eine Dreistufen-Automatik) und in vier Motorvarianten (327, 427 oder 454 Chevy oder 351 Ford) mit Hubräumen zwischen 5,4 und 7,4 Litern. Von 1972 bis 1974 rüstete Iso nach Differenzen mit General Motors den Grifo nur noch mit dem 5,8-Liter von Ford (Cobrajet) aus; zugleich wich die Borg- Warner-Automatik einer »Cruise-O-Matic« von Ford. 1970 erfuhr die Frontparte ein Facelift, bei dem die Scheinwerfer im Stil des Iso Lele im Ruhezustand halb verdeckt waren. Trotz all dieses Aktivismus verkaufte Iso in zehn Jahren gerade mal 412 »Greife«.

Und was hat es nun mit den Cabrio-Versionen auf sich, die nicht mit den späteren, nur 17-mal bei Pavesi (Mailand) gebauten Grifo mit Targadach zu verwechseln sind? Das eingangs erwähnte Showcar von Bertone auf Basis des zweiten Prototyps (Chassis 002) blieb, weil offenbar nicht offiziell von Iso in Auftrag gegeben, ein Einzelstück. Es überlebte und wurde zuletzt auf dem Schrottplatz des in die USA ausgewanderten und inzwischen verstorbenen Deutschen Rudy Klein in Los Angeles entdeckt.

Laut unserem amerikanischen Kollegen Wallace Wyss soll sich das ziemlich vernachlässigte Auto noch immer auf dem inzwischen von Kleins Sohn übernommenen Platz befinden, den der »Stern« einmal als »Junkyard Hollywood« betitelte. Weil Klein Autos von Filmstars kaufte und sie dann dort einfach verrotten ließ. Zu sehen sind dieser erste (rote) Iso Spider (in einem stark vernachlässigten Zustand), unser OCTANE-Modell und – surprise, surprise – ein unter anderem bei der Kitzbüheler Alpenrallye mit österreichischem Kennzeichen gestarteter Roadster auf Wyss’ Seite https://mycarquest.com. Das dem Bertone-Showcar von 1964 frappant ähnelnde grüne Prachtstück wurde 1968 erstmals zugelassen. Sein deutscher Besitzer, ein Mann vom Fach, betont gegenüber OCTANE, dass sein Modell von vornherein als offenes Auto gebaut worden sein muss. Nur wo und von wem, dass kann er auch nicht sagen. Da bleibt Raum für Iso-Historiker …

Text James Elliott // Fotos Paul Harmer // Bearbeitung Thomas Imhof

Lesen Sie in OCTANE #59, was noch über die wenigen Grifo-Cabrios bekannt ist.

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