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Mailänder Eleganz für Schweizer Uhren

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Seit der Lancierung der Parmigiani Fleurier Tonda PF-Linie ist nichts mehr wie es war beim vornehmen Uhrenhersteller aus Le Fleurier. Nun müssen Kunden mit längeren Wartezeiten rechnen, wollen sie einen der begehrten hochwertigen Zeitmesser ihr Eigen nennen. Dabei hat dieser Run auf die Marke viel mit Reduzieren und altem Handwerk zu tun.

Bringen wir es doch auf den Punkt: Bei wirklich großen Entwürfen behält man die einmal gefundene gestalterische Grundidee bei. Wer dies nicht glaubt, muss nur einen Blick auf die Entwicklung des Porsche 911 seit Anbeginn werfen. Abgesehen von einigen, eher verwirrt zu nennenden, Ausflügen ist sich das Auto bis heute treu geblieben. Gleiches gilt für die im Jahr 2021 erstmals präsentierten Parmigiani Fleurier Tonda PF-Modelle. Die einhellige Begeisterung für den mutigen, ikonographischen Entwurf ließ in Fleurier schnell die Erkenntnis reifen, dass man auf diesen Grundstein ein ganzes Markenhaus bauen konnte.

Technisch hatte das einst von Uhrmacherlegende Michel Parmigiani gegründete Haus schon immer Großartiges zu bieten. Nicht umsonst vertraute man dem Schweizer Uhrmacher die Restaurierung vieler extrem aufwendiger und seltener alter Uhren und Spieluhren an. Aber auch mit der neuzeitlichen Technik war durchaus Staat zu machen. Was allerdings fehlte, war ein Design, das einerseits modern, klar und international war, andererseits die von vielen Uhrenliebhabern in den Details erkennbaren Fähigkeiten der Ziffeblattgestaltung und Werkverzierung zum Ausdruck brachte. Nicht dass es nicht bereits vorher eine illustre Kundenschar von Parmigiani-FleurieKunden gegeben hätte. So ist etwa der endlich zum König gekrönte Charles III ein langjähriger Träger der Marke. Doch ist König Charles nun nicht ganz das, was man ein kosmopolitisches, attraktives Role-Model nennen würde.

Mit dem neuen britischen Staatsoberhaupt King Charles III verfügt Parmigiani über einen sehr bekannten und bekennenden Parmigiani-Träger.

Der gestalterische Input, der eine stilistische Eleganz und Leichtigkeit mit der mitunter eher bodenständigen Schweizer Gestaltungslehre verband, erfolgte durch den im Februar 2021 zu Parmigiani hinzugestoßenen CEO Guido Terreni. Der gebürtige Mailänder hatte in vielen Jahren, in denen er den erfolgreichen Aufbau der Uhrenlinie von Bulgari begleitet hatte, spätestens mit der Lancierung der Bulgari Octo Finissimo, die Ausgangspunkt einer ganzen Armada von Octo-Produkten war, das Potenzial erkannt, das ein erfolgreiches Basismodell für eine Marke bedeutet.

Entsprechend setzte er mit Michel Parmigiani und dem Entwicklerteam alle Energie daran, die Mutter künftiger Erfolge zu schaffen. Als Monate später auf der Genfer Uhrenmesse Watches & Wonders die erste Parmigiani Fleurier Tonda PF präsentiert wurde, war das Echo gewaltig – und nicht ungeteilt. Denn die Tonda PF verblüffte einerseits mit einem extrem fein guillochierten, weichen grauen Zifferblatt 2022 und der subtil geriffelten Lünette mit eher konservativen Gestaltungsmerkmalen. Andererseits wies die Stahluhr mit dem in das Gehäuse integrierten Stahlband mit gebürsteten und polierten Flächen alle eindeutigen Erfolgsmerkmale moderner Luxus-Stahluhren auf. Gleichzeitig waren die ausgesprochen kurzen Stundenindexe mit den skelettierten Stunden- und Minutenzeigern in Kombination mit der guillochierten Oberfläche und der teils glatten, teils geriffelten Lünette wirklich neu und anders. Worüber sich einige Uhrenkenner erwartbar sofort mokierten.

Viel Handarbeit ist auch notwendig, um den massivgoldenen Rotor zu strukturieren bzw. den Oberflächenschliff und die Kanten-Anglierung anzubringen.

Aber mit Uhren ist es wie mit Parfums. Gefällt ein Parfum allen, so ist die Chance groß, dass es ein Flop wird. Gleiches galt für die neue Tonda PF. Denn auch wenn manche Wächter der reinen Gestaltungslehre leicht verschnupft die Nase rümpften, war das Echo auf dieses neue, frische Design ausnehmend positiv und mindestens ebenso wichtig; die Uhren waren in kürzester Zeit ausverkauft oder nur noch mit längeren Wartezeiten erhältlich.

Schnell folgte nun in kurzen Abständen das technischne Line-up der Tonda PF in Form von Datum, Chronograph, Jahreskalender, GMT Rattrapante, Split Second Chronograph und fliegendem Tourbillon. Ebenso erweiterten Versionen in Weißgold, Platin oder Roségold wie skelettierte Versionen die Angebotspalette. Für die technischen Ausrufezeichen in der Kaliberentwicklung sorgten wiederum Kalendermodelle mit arabischem und chinesischem Kalender und die Tonda PF Hijri mit ihrem arabischen Kalender. Patentgeschütztes Neuland mit einzigartiger Split-Minute-Funktion besetzt nun auch die kürzlich lancierte Parmigiani Fleurier Tonda PF Minute Rattrapante.

Michel Parmigiani (links) und Guido Terreni verbinden tiefes technisches Verständnis mit italienischer Leichtigkeit im Design.

Wer aber nun erwartet, dass derlei feine Werktechnik laut zu Markte getragen wird, der irrt. Besser gesagt, der kennt den Milanesen Guido Terreni nicht. Dessen Credo, dass unabhängig von der Funktion stets die Ästhetik der Uhr im Fokus stehen muss, führt dazu, dass die manchmal geschmacklich grenzwertigen skelettierten Uhren noch ein Mindestmaß an Vornehmheit bewahren. Nicht umsonst ist ja die Lieblingsfarbe des CEO der grau-blaue Farbton der Mailänder Finanzwelt: Milano Blu. Die gleiche vornehme Zurückhaltung wird daher auch in den Gehäusegrößen der Uhren und deren Bauhöhe an den Tag gelegt.

Letztes Jahr stellte Parmigiani mit der Tonda PF GMT Rattrapante eine weitere Weltneuheit
vor: eine raffinierte GMT mit Rattrapante-Zeiger. Mit zwei übereinander liegenden Stundenzeigern
aus unterschiedlichen Materialien zeigt der eine die Ortszeit an und rückt über einen Drücker in
Ein-Stunden-Schritten vor, während der zweite Zeiger die Heimatzeit anzeigt. Bei Nichtgebrauch holt der Ortszeitzeiger den Heimatzeitzeiger ein (daher rattrapante) und verdeckt ihn.

Die Tonda PF Minute Rattrapante funktioniert nach demselben Prinzip, wendet aber die Rattrapante auf die Minuten an. Die Grundidee besteht darin, die Funktion einer abgestuften Lünette bei einer Taucheruhr zu übernehmen, indem die Minuten in Schritten von fünf und einer Minute angezeigt werden. Mit Gehäusegrößen von 40 beziehungsweise maximal 42 mm und Bauhöhen ab 7,8 mm bleiben die Uhren präsent in ihrer Optik, jedoch dezent in ihren Größen. Selbst die mit reichlich komplizierter Werktechnik gesegneten chinesischen und arabischen Kalenderuhren wachsen nicht über 12,2 mm Bauhöhe hinaus.

All diese Faktoren führen dazu, dass ausgehend vom Basisentwurf der Parmigiani Tonda PF bis zu den komplizierten Kalender- oder Rattrapante-Modellen alle Uhren gestalterisch erkennbar einer Linie folgen. Womit sich das bewahrheitet, was auch für viele erfolgreiche Fahrzeugmodelle gilt, nämlich dass man die Basis eines erfolgreichen Entwurfs nie wirklich verlassen sollte, stattdessen immer wieder zum gestalterischen Ausgangspunkt zurückzukehren ist. Oder wie Getrude Stein einst diese Weisheit des stetigen Wiederkehrens in ihrem berühmten Gedicht »Sacred Emily« so treffend zusammenfasst: »Rose is a rose is a rose is a rose.«

Text Wolfgang Winter // Fotos Uhrenkosmos

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