Klassiker

Marcos 1600 GT – Zweitwagen eines Heiligen

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Als »The Saint« machte Roger Moore einen bestimmten Volvo berühmt. Aber 1969 stieß plötzlich dieser Marcos zu ihm auf die Leinwand. Jetzt wurde er wiederbelebt.

Diese Frage taugt im Quiz nicht einmal als 50-Euro-Einstieg: Welches Auto fuhr Simon Templar in der gleichnamigen TV-Serie? Klare Sache, Roger Moore als »The Saint«, so der englische Originaltitel, bewegte einen Volvo P1800. Zu einfach? Dann was für Fortgeschrittene: In der Nachfolgeserie »Return of the Saint« steuerte Hauptdarsteller Ian Ogilvy einen Jaguar XJ-S. Kann man wissen. Aber wer hat je von einem Marcos 1600 GT gehört?

Im Oktober 1962 lief die erste Folge dieser herrlich kitschigen Sendung mit dem super-souveränen Roger Moore, seinem eleganten Volvo und dem Gimmick mit dem Heiligenschein. Trotz der weit hergeholten Handlung und der dürftigen Verfilmung geriet die Serie zum Hit. In der 1960er-Jahren zählten Style und cooles Auftreten eben mehr – beides besaß »ST« in Hülle und Fülle. Erst nach sechs Staffeln und 118 Folgen war im Februar 1969 (vorerst) Schluss.

Der von den Adams-Brüdern gezeichnete 1600 GT verströmt Angriffslust.

Dank des Erfolges in den USA stiegen die Budgets, sodass »The Saint« ab der fünften Staffel in Farbe gedreht wurde. Die letzte Folge trug den Titel »Mit hundert Sachen in die Kurve« (orig. »The World Beater«). Darin baut das Vater-und-Sohn-Gespann Hapgood einen brillanten neuen Sportwagen auf. Simon Templar, in seiner Freizeit zufällig der beste Fahrer der Welt, soll damit bei einer 24-Stunden-Rallye starten, um den Hapgoods die Unterstützung des örtlichen Konstruktionsbonzen Laker zu sichern.

Die Folge beginnt mit einer Nahaufnahme des Marcos-Scheinwerfers. Im Off sinniert Moore nicht etwa darüber, ob Rallye die optimale Motorsportdisziplin für ein Coupé mit so geringer Bodenfreiheit ist, sondern dass Rallyefahren »eine sinnliche Erfahrung ist, eine Partnerschaft zwischen Auto und Fahrer, bei der es auf Kraft, Tempo und Befriedigung« ankomme. Tja, die guten alten 60er, als das Sexualisieren eines Autos noch als okay galt.

So niedrig das Auto auch ist, das Cockpit bietet genügend Platz für großgewachsene Kerle wie Jem Marsh.

Unser Held setzt sich also den Helm auf, startet zur Testfahrt und schildert per Funk seine Eindrücke. Doch dann sabotiert ein Konkurrent das Wunderauto, der Marcos schlittert zwischen Straße und Feldweg hin und her und knallt abseits der Kamera gegen einen Baum. Die Hapgoods und Laker steigen in dessen Jensen FF, um den »Saint« zu retten. Laker befürchtet schon, für Simon Templar sei der letzte Vorhang gefallen.

Später ist der verunglückte Supersportwagen – der Name Marcos taucht nie auf – kurz zu sehen. Allerdings gibt sich die Regie alle Mühe, die nicht wirklich existenten Schäden auch nicht zu zeigen. Bloß eine leicht eingedrückte Motorhaube kommt ins Bild, die aber nicht zum »verunglückten« Marcos gehört. Bemerkenswert ist, dass die Produzenten später noch einmal ein Herz für britische Kleinserienhersteller zeigen: Ein TVR Vixen, natürlich ohne Markenlogo, taucht als »The Sentinel« auf und übernimmt die Rolle des automobilen Bösewichts.

Zwei Weber-Doppelvergaser versorgen das auf 1700 ccm aufgebohrte Ford-Triebwerk.

Der Kurzauftritt in einer Serie, die damals nach den »Avengers« die weltweit zweitgrößte Fangemeinde und den zweithöchsten Umsatz generierte, macht diesen Marcos 1600 GT zu einem der aufregendsten Fahrzeuge der Markengeschichte. Umso erstaunlicher, dass er erst jetzt wieder auftaucht. Er war nicht direkt verschollen und es gab auch keine Indiana-Jones-Aktion, um ihn wiederzufinden. Er war bloß total vom Radar verschwunden.

Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht wie bei vielem, was mit Marcos zu tun hat, Rory McMath. Der Ingenieur begann 1968 als Mitarbeiter von Co-Gründer Jem Marsh bei Marcos und war an so ziemlich allen Vorgängen rund um die Marke beteiligt. Als Marcos 1971 das erste Mal in Liquidation ging, verließ er als letzter Mitarbeiter das Unternehmen. Ähnlich lief es 30 Jahre später, als Jem Marsh zum letzten Mal die Türen hinter sich abschließen musste. McMath übernahm den gesamten Bestand und gründete Marcos Heritage. Das Unternehmen wartet und restauriert Modelle der Marke – und nicht zu vergessen: verkauft bis heute jedes Jahr eine Handvoll brandneuer Mini Marcos.

»Es war wohl so, dass das Studio an Jem herantrat, um einen Marcos für Roger Moore zu bekommen, den er in der Serie statt des Volvo fahren sollte«, berichtet Rory McMath. »Jem stellte einige absurde Forderungen, was er sehr gut konnte. Also sagten sie ihm: ‚Vergiss es.‘ Die Crew stöberte in der Nähe von Borehamwood ein Auto auf und verpasste ihm diesen ‚Unfall‘, um sich über Jem lustig zu machen. Er hatte es wirklich nicht gerade mit den Medienschaffenden – er ließ sogar Journalisten für das Benzin bezahlen. Nach den Dreharbeiten verschwand das Filmauto von der Bildfläche, bis wir vor etwa zehn Jahren hörten, dass es restauriert werden sollte. Vor fünf Jahren bot mir dann der Sohn des mittlerweile verstorbenen Restaurators den Marcos zum Kauf an.«

Text James Elliot // Fotos Jonathan Fleetwood // Bearbeitung Johannes Schnettler

Lesen Sie in OCTANE #65, wie Marcos Heritage das Filmauto wieder aufbaute und Ulmenholz statt Kunststoff einsetzte.

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