Für Freunde von Oldtimern und Veteranen – aber auch good old fun – ist es ein Pflichttermin.Das Goodwood Revival entführt seine Besucher alljährlich zum zweiten September-Wochenende in einen Timewarp, den der deutsche Fotograf Uli Weber kongenial eingefangen hat.
Der junge Charles Settrington hatte sich als Fotograf in London einen Namen gemacht. Danach hatte es zunächst nicht ausgesehen, als er mit 16 seine Ausbildung im feinen Eton College Hals über Kopf abbrach, weil man dort für seine fotografischen Ambitionen wenig Verständnis zeigte. “Wir mochten uns beide nicht besonders”, beschrieb Charles diese Zeit später einmal – wie immer man das interpretieren mag.
Nach Jobs als Still-Fotograf für Regisseur Stanley Kubrick schlug er sich in Ostafrika als Reportage-Fotograf durch, bevor er in den 80er-Jahren in London für Werbeagenturen tätig wurde. Mit Erfolg, denn seine Fotos prägten schnell die Kampagnen für Levi’s, Laura Ashley oder Silk Cut, die legendäre Zigarettenmarke.
Settringtons Karriere als Fotograf und sein Leben als Künstler hätten also gut und gerne in der Metropole London weitergehen können, wenn da nicht plötzlich ein beachtliches Erbe in sein Leben getreten wäre. Nicht dass er sich dessen nicht schon bewusst war, als er seine Arbeit als Fotograf in London begann. Aber die Aussicht, den Rest seines Lebens als Verwalter riesiger Ländereien und alter Herrenhäuser in der südenglischen Provinz zu verbringen, erscheint einem jungen Kreativen verständlicherweise nicht besonders verlockend.
Trotzdem hängte Lord Charles Settrington seinen Fotografenjob an den Nagel und übernahm 1993, mittlerweile von seiner Familie auch mit dem adäquaten Titel Charles Henry Gordon-Lennox, Earl of March and Kinrara ausgestattet, von seinem Vater die Verwaltung des Familiensitzes Goodwood Estate. Gott sei Dank gab es neben der traditionellen Pferderennbahn, großen Feldern und einigen tausend Schafen in der Familie March ein paar andere Traditionen, auf die sich aufbauen ließ, wenn einem auch außerhalb von London der Sinn nach Spannung und schnellem Lebensstil stand.
Charles’ Großvater, Freddie March, der 9. Duke of Richmond, hatte 1935 den Grundstein dafür gelegt, als er einige seiner adligen Freunde vom Lancia Owner’s Club einlud, im Vorgarten seines elterlichen Anwesens ein kleines Rennen zu fahren, um zu sehen, wer als Erster oben am Hügel ankam.
Freddie hatte eine Vorliebe für schnelle Vorwärtsbewegung, seit er – ebenfalls als “Mr. Settrington” – eine Mechanikerlehre bei Bentley angetreten hatte und nebenbei erfolgreich Rennen fuhr. Nicht gerade zur Freude seiner adligen Eltern, die ihm daraufhin die finanzielle Unterstützung entzogen.
1939 war damit aber ohnehin Schluss. Freddie March, der wie später sein Enkel Charles nach wilden Jugendjahren aufs elterliche Anwesen zurückgekehrt war, stellte der Royal Airforce, die auf der Suche nach geeigneten Flächen zur Errichtung von Flugplätzen für die alliierten Bomber- und Jägergeschwader war, einen Teil von Goodwood Estate zum Bau der Westhamptnett RAF Airbase zur Verfügung. Nicht nur Start- und Landebahnen, Hangars und sonstige Gebäude wurden nun hier errichtet, sondern rund um die Airbase herum entstand auch eine Rundstraße, über die man jede Stelle des Flughafens schnell erreichen konnte.
Der Ausgang des “Battle of England” ist hinreichend bekannt, schließlich verstummten die Spitfires, Typhoons und Hurricanes und in Goodwood drohte wieder gepflegte Langeweile einzuziehen. Nachkriegs-England brauchte jetzt vor allem Lebensmittel für seine darbende Bevölkerung, Rinder, Schafe, Getreide. Alles, was auf Goodwood Estate immer schon produziert worden war.
Doch England hatte auch einen ungestillten Hunger nach Thrill und Motorsport. Leider stand das Land nach dem Krieg ohne eine einzige Rennstrecke da. Brooklands hatte 1939 seine Pforten geschlossen – die holprige Backstein-Rennstrecke war ohnehin nicht mehr zeitgemäß. Außerdem war das Gelände in der Zwischenzeit in einen Produktionsstandort für Flugzeuge verwandelt und durch deutsche Bomber ziemlich beschädigt worden.
Nicht so die verwaiste Westhampnett Airbase mit ihrer Zufall oder Fügung? – 3,8 Kilometer langen Rundstraße, deren Eignung als Rennstrecke Freddie March natürlich nicht verborgen blieb. Ebenso wenig wie die Erkenntnis, dass er wohl eher zum Rennfahrer, denn zum Landwirt geboren war.
Bevor die Rennerei in England wieder begann, dauerte es allerdings ein paar Jahre, aber am 18. September 1948 war es so weit. Freddie March eröffnete den “Goodwood Motor Racing Circuit” – Englands erste permanente Rennstrecke nach dem Krieg – mit einer Fahrt im Familien Bristol 400, bevor sich die jungen Helden auf die Strecke stürzten.
Mit dabei war ein gewisser Stirling Moss, der das Rennen der 500er-Klasse in einem Cooper JAP gewann. In den Folgejahren trugen sich spätere Berühmtheiten wie Graham Hill, Mike Hawthorn oder Roger Penske in die Siegerlisten ein. Besonders spektakulär waren die Runden des jungen Jim Clark im weiß/grünen Lotus Cortina in den 9-Stunden-Langstreckenrennen sowie den Sportwagenrennen der Tourist Trophy, die stets den Schwerpunkt der Rennaktivitäten in Goodwood bildeten. Daneben war die Formel 1 in Goodwood zu Gast, allerdings wurden hier nie internationale Grand-Prix-Rennen ausgetragen.
1962 wurde Stirling Moss die St. Mary’s Kurve im nördlichen Teil der Rennstrecke in einem solchen Rennen zum Verhängnis, als er in seinem Lotus von der Strecke abkam und in den Erdwall knallte, der die Strecke begrenzte.
Moss musste schwer verletzt seine Karriere beenden. Die Gefahr, die von diesen Erdwällen ausging und die Weigerung der Streckenbetreiber, Schikanen zur Reduktion der mittlerweile für eine Flughafen-Hilfsstraße doch recht hohen Geschwindigkeiten der Rennwagen einzubauen, führte dann 1966 auch zum Aus von Goodwood als Rennstrecke.
Wieder legte sich Ruhe über Goodwood Estate – außer wenn hin und wieder mal Teams zum Testen auf die Strecke kamen. So wie im Sommer 1970 das McLaren Team. Mit fatalem Ausgang: Bruce McLaren kam von der Strecke ab, knallte zwar nicht in die äußeren Erdwälle. Aber im Infield stand noch ein Beton-Bunker – Überbleibsel aus Goodwoods Zeiten als Airbase? – an dem sein M8D CanAm-Bolide zerschellte, nachdem sich Teile der Karosserie gelöst hatten.
Neben Wiesen, Weiden, Zedern- und Eichenwäldern, dem herrschaftlichen Goodwood House, einer Pferderennbahn, Rindern, Schafen und dem dazugehörigen Landwirtschaftsbetrieb hatte Charles also auch ein gutes Stück Rennhistorie von einen Vorfahren geerbt. Allerdings auch die Notwendigkeit, das große Landgut wirtschaftlich am Leben zu erhalten. Gott sei Dank gehörte zum Erbe auch die Liebe zur schnellen Fortbewegung von sei- nem Großvater Freddie, auf die sich, gepaart mit Sinn für Historie, Stilsicherheit und der nötigen Nase fürs Geschäft, aufbauen ließ.
Und so eröffnete der Earl of March am 18. September 1998, genau 50 Jahre nach der Eröffnung der Rennstrecke von Goodwood im immer noch familieneigenen Bristol 400, die Rennen des ersten Good- wood Revival auf der mittlerweile liebevoll restaurierten Rennstrecke. Nicht nur die fatalen Erdwälle sind noch immer da. Nach wie vor fehlen sinnvolle Auslaufzonen für die scharf gefahrenen Rennen. Immerhin wurden im Start-Ziel-Bereich Schikanen eingebaut, was die Dramatik genau vor den Tribünen weiter steigert.
Mitterweile verstrahlt auch das Gebäude der Rennleitung – mit seinem chrakteristischen Turm – nach einer liebevollen Restaurierung wieder den Charme der 50er-Jahre. Kein Fahrzeug, das jünger als 1966 ist, darf das Veranstaltungsgelände befahren, was zu der skurrilen Situation führt, dass sogar die Rettungsfahrzeuge historischen Datums sind. Und ein Großteil der zuletzt mehr als 150.000 Zuschauer, die am zweiten September-Wochenende zum Timewarp nach Goodwood pilgern, machen sich einen Spaß daraus, passend zeitgenössisch gekleidet, perfekt inszeniert, in eine andere Zeit abzutauchen. Sehr zur Freude der Fotografen, deren mittlerweile digitalem Handwerkszeug sich an diesem Wochenende Motive bieten, die ansonsten nur mit großem Styling-Aufwand zu realisieren wären.
Dabei ist das Goodwood Revival nicht ein Maskenball. Es lebt von der Begeisterung und davon, dass durch die Verbindung von scharf gefahrenen Rennen, exzentrischen Charakteren auf und neben der Rennstrecke und einem liebevoll authentischen Umfeld eine Rennatmosphäre wiedererweckt wird, von der Kenner der damaligen Szene sagen, dass sie dem Original näherkommt als alles andere.
Für den Earl of March ist das Ganze mittlerweile ein lohnendes Geschäft geworden, das es ihm ermöglicht, das angetretene Familienerbe zu wahren – und mittlerweile sicher auch zu mehren.
Mehr als 500 festangestellten Mitarbeitern bietet Goodwood heute einen Arbeitsplatz. Auf der Farm werden ökologische Lebensmittel produziert. Pferderennbahn, Golfplatz und Hotel sind traditionelle Anziehungspunkte.
Und seit einigen Jahren gibt es sogar eine Automobilproduktion auf Goodwood Estate: der geschäftstüchtige Lord hat einen Teil seiner Ländereien an BMW verpachtet, wo seither Rolls-Royce Automobile stilgerecht produziert werden.
Uli Weber, deutscher Fotograf, der seit mehr als zwanzig Jahren in London lebt und dort zur absoluten Elite der Fashion- und Celebrity-Fotografen aufgestiegen ist, lernte den Earl of March bei einem Fotoshooting kennen und kam vor zwei Jahren zum ersten Mal zum Revival. Er war von der Stimmung und den Motiven begeistert, die sich ihm dort boten. Aus der gemeinsamen Liebe zur Fotografie, die Uli Weber und den Earl of March verbindet, entstand so mit “Goodwood Revival” ein perfekt fotografierter, opulenter Bildband, der jedem, der das Revival einmal selbst erlebt hat, den Geruch von feinem Rhizinusöl wieder in die Nase treibt. Der Earl persönlich hat das Vorwort verfasst und signierte die ersten Exemplare beim Revival 2014. Uli Webers Buch kann für 49,90 Euro in unserem Shop bestellt werden.
Text: Berthold Dörrich // Fotos: Uli Weber
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