Man nehme einen vermeintlich perfekten Supersportwagen und lasse Formel-1-Ingenieure daran feilen. Das Ergebnis ist der Honda NSX-R, einer der präzisesten Sportwagen seiner Ära. Schon der serienmäßige NSX war ein technisches Meisterwerk: ein Mittelmotor-Coupé aus Aluminium, das 1990 den europäischen Platzhirschen zeigte, wie japanische Ingenieurskunst Fahrdynamik neu definieren kann.
Doch für die „R“-Version gingen die Entwickler noch weiter. Unter der Leitung von Ayrton Sennas Renntechnikern entstand ein kompromissloser Leichtbau-Supersportler, abgestimmt für maximale Balance und Rückmeldung. Der NSX-R verzichtete auf alles Überflüssige – Komfort, Dämmung, Luxus –, um das pure Fahrgefühl zu schärfen. So wurde aus einem Traumauto eine fahrende Referenz, die bis heute als Maßstab für ein präzises Handling gilt.

Wenn Formel-1-Technik den Alltag erobert
1988 hatte Honda mit McLaren eine beispiellose Formel-1-Partnerschaft begonnen, die 15 von 16 Grand Prix-Siegen brachte. Chefkonstrukteur Gordon Murray war fasziniert von der Idee, Renntechnik alltagstauglich zu machen. Supersportwagen wie Porsche 959 oder Ferrari F40 beeindruckten ihn technisch, doch sie waren zu kompromisslos.
Murrays Vision: ein Auto, das sich auf der Rennstrecke messen, aber auch im Alltag bewegen ließ – und genau dort begann die Geschichte des Honda NSX, die Senna entscheidend mitprägte.
Ein Zufallsfund, der alles veränderte
Während seiner Zeit bei McLaren-Honda besuchte Gordon Murray das Honda-Forschungszentrum in Tochigi – ein Besuch, der seine Sicht auf Supersportwagen für immer verändern sollte. Auf dem Testgelände entdeckte er zufällig einen Prototyp des neuen Honda NSX. Dort erfuhr er, dass Ayrton Senna – damals dreifacher Formel-1-Weltmeister und Honda-Werksfahrer – an der Entwicklung mitarbeitete und der Wagen genau das verkörperte, was Murray suchte: einen fahrerorientierten Supersportwagen ohne Kompromisse im Alltag.
Der Mittelmotor-Honda bot nicht nur Leistung und Präzision, sondern auch eine erstaunliche Alltagstauglichkeit – mit funktionierender Klimaanlage, Kofferraum und der typischen Zuverlässigkeit der Marke. Als Murray den NSX selbst fuhr, war ihm klar: kein anderes Auto kam dieser Balance aus Technik, Komfort und Fahrbarkeit auch nur annähernd nahe.

Vom Konzept des HP-X zum Meilenstein der Ingenieurskunst
Der NSX hatte großen Einfluss auf die spätere Entwicklung des McLaren F1, auch wenn dessen BMW-V12 weit mehr Leistung bot. Gordon Murray war beeindruckt von der Aluminiumstruktur, der Präzision und der Fahrwerksbalance des Honda – Eigenschaften, die er später in seinem eigenen Supersportwagen umsetzte. Die Wurzeln des NSX reichen bis 1984 zurück, als Honda Pininfarina mit dem Entwurf des Prototyps HP-X („Honda Pininfarina eXperimental“) beauftragte.
Für das Serienmodell gab Chefdesigner Masahito Nakano das Ziel vor, den Ferrari 328 zu übertreffen – leichter, günstiger und zuverlässiger. Der neue 3,0-Liter-V6 C30A mit 274 PS verfügte über Titan-Pleuelstangen und das variable Ventilsteuerungssystem VTEC, das Drehzahlen bis 8300 U/min erlaubte. Eine späte technische Änderung zwang die Ingenieure dazu, den Motor um fünf Grad nach hinten zu neigen – ein Kompromiss, der das perfekte Layout des Mittelmotorwagens erst möglich machte.
Vom Jet inspiriert – Design und Technik des NSX
Das Design des NSX orientierte sich an der Aerodynamik des Kampfjets Lockheed-Martin F-16. Das weit nach vorne gerückte Cockpit sorgte für eine optimale Rundumsicht, während das lange Heck Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten bot. 1991 brachte Honda den New Sportscar eXperimental – NSX – auf den Markt und übertrug dabei direktes Formel-1-Know-how in die Serie.
Der Wagen war das erste Serienauto mit einem Vollaluminium-Halbmonocoque, inklusive stranggepresstem Rahmen und einer Leichtmetallaufhängung. Dadurch wog der NSX rund 220 Kilogramm weniger als ein vergleichbares Stahlfahrzeug. Technisch setzte er Maßstäbe: mit Vierkanal-ABS, elektrischer Servolenkung, dem VTEC-System und ab 1995 sogar der ersten elektronischen Drosselklappensteuerung in einem Honda-Serienauto. Der NSX verband so Renntechnik, Alltagstauglichkeit und Ingenieurskunst auf einem Niveau, das Konkurrenten damals nur selten erreichten.
Der NSX-R – aus Präzision wird pure Renntechnik

Der hochdrehende V6 des NSX katapultierte den Aluminiumkeil in fünf Sekunden auf 100 km/h und erreichte eine Spitze von 270 km/h. Doch trotz seiner technischen Brillanz fehlte dem Wagen das gewisse Charisma – er wirkte zu vernünftig, zu unaufgeregt, fast bürgerlich. Deshalb entschied sich Hondas Formel-1-Ingenieursteam, eine kompromisslose Variante zu entwickeln: den NSX-R. Das „R“ stand für „Racing“ – und der Name war Programm. 1992 wurde alles entfernt, was Gewicht oder Komfort brachte: Dämmung, Audioanlage, Klimaanlage, selbst der Ersatzreifen. Die schweren Ledersitze wichen Carbon-Kevlar-Schalensitzen von Recaro, die Felgen wurden durch geschmiedete Enkei-Leichtmetallräder ersetzt. Das Ergebnis: 120 Kilogramm weniger Gewicht, ein messerscharfes Handling und ein Sportwagen, der nicht mehr beeindrucken, sondern herausfordern wollte.
Technik, Handarbeit und Charakter – wie der NSX-R zur fahraktiven Legende wurde
Um das im Grenzbereich anspruchsvolle Mittelmotor-Layout zu entschärfen, überarbeiteten Hondas Ingenieure den NSX-R konsequent. Das Chassis wurde versteift, das Fahrwerk erhielt steifere Buchsen, neue Schraubenfedern, Dämpfer und einen stärkeren Stabilisator an der Vorderachse. So erhöhte sich der Grip auf der Hinterachse deutlich, während weichere Reifen das Übersteuern verringerten. In schnellen Kurven vermittelte der NSX-R dadurch eine Stabilität, die damals nur wenige Serienfahrzeuge boten. Überarbeitet wurden auch Getriebe und Achsübersetzung – das Ergebnis: 5,0 Sekunden von 0 auf 100 km/h und eine Spitze von rund 270 km/h.
Der handgefertigte V6 blieb formal identisch mit dem der Serienversion, lieferte aber durch präzisere Fertigung und geringere Toleranzen mehr Drehfreude und Spontanität. Zwischen 1992 und 1995 entstanden nur 483 Fahrzeuge, alle in reiner Handarbeit gebaut – mit der Sorgfalt eines Formel-1-Teams. Die meisten in Weiß oder Rot, ausschließlich für den japanischen Markt bestimmt. Einzelne Sondermodelle wie die in Charlotte Pearl Green lackierte Version mit Alcantara-Interieur, Mugen-Krümmern und exklusiven Enkei-Felgen gelten heute als technische und ästhetische Höhepunkte japanischer Ingenieurskunst.
Der Honda NSX-R: Ingenieurskunst im Grenzbereich
Der Honda NSX-R war mehr als nur eine leichtere oder schnellere Variante des ohnehin außergewöhnlichen NSX – er war die konsequente Rückbesinnung auf das, was Autofahren im Kern ausmacht: Präzision, Balance und Rückmeldung. In einer Zeit, in der viele Supersportwagen mit roher Leistung prahlten, setzte Honda auf Ingenieurskunst, Feinschliff und fahrerische Disziplin. Kein anderes Serienauto dieser Ära verband Leichtbau, Alltagstauglichkeit und Renntechnik auf derart harmonische Weise. Der NSX-R zeigte, dass Geschwindigkeit nicht nur in PS messbar ist, sondern in Vertrauen, Kontrolle und dem Gefühl, Teil der Maschine zu sein. Heute gilt er als einer der puristischsten Sportwagen seiner Zeit – ein Auto, das seinen Fahrer nicht überfordert, sondern mit ihm eins wird. Der NSX-R ist kein Statussymbol, sondern ein Statement: für technische Perfektion, für fahrerische Leidenschaft – und für den Mut, weniger zu tun, um mehr zu erreichen.






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10 spannende Fakten rund um den Honda NSX-R
- Produziert wurde der NSX-R nicht auf einem Fließband, sondern in einer eigenen Fertigungslinie im Werk Takanezawa bei Tochigi.
- Jeder Motor wurde nach der Montage 30 Minuten auf dem Prüfstand eingefahren und anschließend von einem Meisteringenieur freigegeben.
- Der NSX-R hatte eine Batterie mit kleinerer Kapazität, um Gewicht zu sparen – selbst der Kabelbaum wurde gekürzt.
- Die Frontscheibe war dünner als beim normalen NSX, um weitere 2,5 Kilogramm zu sparen.
- Statt Teppichboden nutzte der NSX-R lackierte Aluminiumflächen, um jedes Gramm unnötiges Gewicht zu vermeiden.
- Der NSX-R nutzte eine spezielle Reifenmischung von Bridgestone Potenza RE010, die ausschließlich für dieses Modell entwickelt wurde.
- Der Lackierprozess dauerte über 20 Stunden, weil das Aluminium besonders empfindlich auf Unebenheiten reagierte.
- Der CW-Wert lag bei hervorragenden 0,32, was für einen Mittelmotor-Sportwagen dieser Zeit außergewöhnlich war.
- Die Farbwahl war stark limitiert – Championship White galt als offizielle R-Farbe, in Anlehnung an Hondas Formel-1-Fahrzeuge.
- Der NSX-R erreichte auf der Rennstrecke Tsukuba Circuit eine Zeit von 1:05,7 Minuten – schneller als viele europäische Supersportwagen jener Zeit.
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