Der Stromlinienwagen Porsche Typ 64 frontal
Klassiker

Die unglaubliche Geschichte des Porsche Typ 64: Verschollen und doch überlebt

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Text Delwyn Mallett // Fotos Tom Salt

LANGE WURDE ANGENOMMEN, NUR EINER VON INSGESAMT DREI PORSCHE-STROMLINIEN-PROTOTYPEN HÄTTE DEN ZWEITEN WELTKRIEG ÜBERLEBT. DOCH ES GIBT EIN ZWEITES EXEMPLAR DES TYP 64 – MIT EINER UNGLAUBLICHEN GESCHICHTE

Als im Frühjahr 1945 in Europa der Zweite Weltkrieg endete, kam endlich wieder Frieden, begleitet von einem prachtvollen Sommer. Mit dem Frieden und der Sonne kamen ein paar amerikanische GIs, die sich all der »Privilegien« erfreuten, wie sie die Sieger am Ende eines bitteren Kriegs einfordern. Auf Kosten der Besiegten wollten sie sich ein bisschen was gönnen. In einem Postkartendörfchen in Österreich, in Zell am See, entdeckten die in einer Ski-Schule einquartierten Soldaten einen winzigen Wagen. Mit seinem futuristischen Look war der anders als alles, was sie – in Europa oder in ihrer Heimat – je gesehen hatten. Ein Kanister Benzin genügte, schon kam das kleine Stromlinien-Gefährt in Gang – zum Vergnügen und Erstaunen der Soldaten.

In dieses Coupé einzusteigen, war nicht einfach. Saß man erst mal drin, wurde es extrem eng und drückend heiß. Deshalb hatte irgendwer die grandiose Idee, einfach das Dach abzusägen. Blöderweise kam es keinem der Spaßfahrer in den Sinn, den Ölstand ihres mittlerweile schwer mitgenommenen »Renners« zu kontrollieren. Es kam, wie es kommen musste: Der Motor fraß sich fest, das Spielzeug hatte ausgedient, die Überreste landeten auf einem Misthaufen.

Das war’s dann schon, das Ende, ein schändliches Ende für den zweiten der drei VW 60K10 Rekordwagen, konzipiert für das Straßenrennen Berlin-Rom. Der Vandalismus, der Nummer 2 zerstörte, ist längst Teil der Porsche-Folklore. Nun hat eine Reihe von Zufällen zur Auferstehung eines der wichtigsten Modelle der Autogeschichte geführt. Genau: Er ist auferstanden, der Ur-Porsche, der Vorläufer des 356, der Urahn des heutigen 991.

Porsche Typ 64 im Seitenprofil
Geheimnisvoll, wie nicht von dieser Welt mutet der Stromlinien-Porsche an.

Ferdinand Porsche stellte sein Konzept für ein bezahlbares Auto für die Massen(produktion) im Jahre 1934 vor. Das Konzept kam an, das Projekt mit der Typ-Nummer 60 bekam grünes Licht. Die Entwicklungsarbeit am VW-Prototyp war 1938 so gut wie abgeschlossen. Zu Porsches Missvergnügen sollte das Fahrzeug nun allerdings »Kraft durch Freude« heißen. In der justament fertiggestellten Porsche-Fabrik in Zuffenhausen war man emsig dabei, den VW zu bauen: eine Testserie von vierundvierzig Fahrzeugen.

Zur Massenmobilisierung des Volks mit dem KdF-Wagen kam es nicht. Die Silberpfeile von Auto Union und Mercedes dominierten die Grand-Prix-Rennen der Zeit, und ihre Version eines Straßenrennens wie in Le Mans oder der Mille Miglia sollte im September 1938 stattfinden. Zuvor war Porsches Vorschlag, einen Sportwagen auf VW-Basis zu bauen – intern »Projekt Typ 64« genannt – wiederholt abgelehnt worden. Das Konstruktionsbüro Porsche wurde beauftragt, einen »Rekordwagen« auf KdF-Basis zu konstruieren. So kam der Typ 64 zustande.

DEN T64 INS SONNENLICHT ROLLEN ZU SEHEN, VERURSACHT EIN SCHWINDELERREGENDES GEFÜHL: ALS OB DIE ZEIT RÜCKWÄRTS LÄUFT

Drei Fahrwerke mit Motoren (nummeriert als 38/41, -42 und -43), wurden für die Stromlinienmodelle abgezweigt; hinzu kam ein vierter Antrieb (38/46) als Ersatz. Der erste Typ 64 wurde am 19. August 1939. Hitler begann den Zweiten Weltkrieg. Internationale Autorennen fanden in Europa nicht mehr statt. Bei Porsche wurden jedoch die beiden anderen Rekordwagen zu Ende gebaut; der zweite im Dezember 1939, der dritte im Juni 1940. Der zweite T64 hatte in der Zwischenzeit, wie erwähnt, zwar den Krieg, aber nicht den Frieden überstanden, womit lediglich Wagen Nummer 3 erhalten blieb.

Fahrer im Cockpit des Porsche Typ 64
Da schlägt das Herz des Porsche-Fans Saltos: Wann hat man schon die Gelegenheit den ältesten aller Porsche zu lenken?

Den T64 ins Sonnenlicht rollen zu sehen, verursacht ein schwindelerregendes Gefühl: als ob die Zeit rückwärts läuft. Die makellose schwarze Nitrozellulosefarbe (für die Lackierung musste eine Sondergenehmigung eingeholt werden) glüht wie polierte Lakritze, während die von Verdunklungsblenden überdeckten Bosch-Scheinwerfer und die antiken Nummernschilder – inklusive passenden V-Stempeln, die den Kauf von kriegsbedingt rationiertem Benzin gestatteten – den Eindruck verstärken, man hätte uns ins Jahr 1941 versetzt. Ein Druck auf den Anlasser, und die kleine 985-ccm-Maschine erwacht mit einem heiseren Röcheln.

Während ich versuche, mich in dem winzigen Cockpit zurechtzufinden, komme ich mir vor wie ein Küken, das versucht, sich zurück in die Eierschale zu quetschen. Ist man erst mal drin, verstärken die behagliche Passform, die steil gerundeten Konturen der Kabine und die unmittelbare Nähe der Außenhaut das Gefühl, in einem Ei zu stecken. Alles ist nah an einem dran: das Lenkrad, die Armaturen, das Dach, die Windschutzscheibe.

Die Autobahnstrecken von Berlin nach Rom hätte man relativ komfortabel bewältigen können; aber die Überquerung der Alpen wäre kaum ohne Rippenprellungen auf Seiten des Beifahrers gelungen: Das Drehen des Lenkrads zwingt quasi dazu, die Ellbogen auszufahren, zumal es nur wenige Zentimeter von der Brust des Fahrers entfernt beinahe senkrecht auf der Säule sitzt.

DIE BREMSEN SIND ANSCHEINEND IHRER AUFGABE MEHR ALS GEWACHSEN, ABER ICH HÜTE MICH DAVOR, SIE BIS ZUM ANSCHLAG DURCHZUTRETEN

Der Schalthebel sitzt vertraut vertikal in zentraler Position, aber viel näher an der Hand als beim 356er. Die unmittelbare Nähe zum Lenkrad erweckt dagegen einen altertümlichen Eindruck, der dem modern wirkenden Äußeren zuwiderläuft. Der T64 wiegt nur 585 Kilogramm, also ähnlich viel wie der 550er Spyder, und ist damit 162 Kilo leichter als der 356. Die Bremsen sind anscheinend ihrer Aufgabe mehr als gewachsen, aber ich hüte mich davor, sie bis zum Anschlag durchzutreten. Beim Schalten muss man Zwischengas geben und Zwischenkuppeln, um knirschende Geräusche zu vermeiden. Als lebenslanger Porsche-Fan bin ich schon glücklich wie ein Kind, hinter dem Steuer dieses außergewöhnlichen Autobahn-Cruisers sitzen zu dürfen und mich den Sounds und Vibrationen dieses ältesten aller Porsche hinzugeben.


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