Originalzustand. Was bedeutet das? Wir wissen, dass ein Auto in diesem Zustand weitaus höher bewertet wird als eines, das komplett restauriert wurde – und zwar heute mehr denn je. Man sagt, ein Auto sei nur einmal original. Wenn der Originalzustand weg ist, ist auch die Historie ausgelöscht. Auch bei diesem Bentley 3.5 litre Vanden Plas Drophead Coupé?
Aber was für den einen noch »original« ist, kann für den anderen schon »dran rumgefummelt« sein. Und wo liegt die Grenze zwischen Patina und Gammel, zwischen »aus einer anderen Zeit« und »veraltet«? Versteht man »original« als »wie gebaut«, dann darf bezweifelt werden, ob ein Auto als Gesamteinheit jemals länger als die erste Nanosekunde seiner Existenz wirklich original ist. Denn danach setzt Veränderung ein, Molekül für Molekül.
Vor mir liegt ein faszinierendes, kleines Buch mit dem Titel »Originals«. Es enthält Geschichten, die voll des Lobes über original erhaltene Autos sind, sich aber auch mit dem Thema der Unmöglichkeit totaler Originalität beschäftigen und zu definieren versuchen, was Originalität realistischerweise bedeuten kann. Der ehemalige Direktor des Brooklands-Museums, Allan Winn, urteilt in seinem Beitrag, dass die Originalität beeinträchtigt ist, sobald ein Auto aus dem in der Realität kaum vorkommenden abgedunkelten, klimatisierten Kokon, in dem kein ultraviolettes Licht Schaden anrichten kann, in dem Dichtungen geschmeidig und Flüssigkeiten flüssig geblieben sind, herausgefahren wird. Er vergleicht das mit einem 100 Jahre alten roten Bordeaux, der einen wunderbaren Besitz darstellt, solange er kühl und dunkel gelagert ist, dessen Mystik aber dahin ist, sobald die Flasche geöffnet wird. Da bleibt einem nur die Hoffnung, dass er noch gut schmeckt.
Vor diesem Hintergrund präsentiert sich dieser Bentley 3,5 litre Vanden Plas von 1937 als der vermutlich originalste und besterhaltene in Derby gebaute Bentley der Welt. Er hat erst 15.500 Meilen auf dem Tacho, wurde nie restauriert und funktioniert hervorragend. Die erstaunliche Sammlung an historischen Dokumenten umfasst die Original-Bestellung samt Rechnung für den Bentley 3.5 litre Vanden Plas, das Original-Garantiezertifikat in seinem originalen Pappkuvert mit alter George-V-Briefmarke und natürlich das Original-Handbuch im violetten Einband.
Und der Lack, ist der auch original? Der Bentley ist auf der langen Einfahrt von Anthony Hodgsons großem ehemaligen Bauernhaus geparkt, im Hintergrund ein Glasfaser-Nachbau einer Supermarine Spitfire in Originalgröße (früher hatte der Besitzer des Bentley eine echte, die er für Kunstflüge nutzte). Ich schaue mir den Lack genau an, und, oh je, der hintere Kotflügel auf der Fahrerseite ist etwas zu braun im Vergleich zu seinen drei kastanienfarbigen Kollegen. Und er hat auch ein paar mehr Risse. Wahrscheinlich das Ergebnis einer Reparatur Mitte des letzten Jahrhunderts mit einer Farbe von etwas geringerer Qualität als der, die Vanden Plas, der Konstrukteur der aluminiumverkleideten Eschekarosserie des Bentley, ursprünglich verwendet hatte. Verbuchen wir es unter »Patina« oder »Leben«.
Dieser Bentley wurde »mit sanfter Hand in einen früheren, besseren Zustand zurückversetzt« und nicht »mit vielen neuen Teilen wie neu gemacht«. Oder wie Hodgson es ausdrückt: »Ich habe ihn nicht restauriert, sondern ihm nur eine verdammt gute 15.000-Meilen-Inspektion verpasst.«
Text Jon Simister Fotos Tim Andrew Bearbeitung Christel Flexney