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Hier kommt die Queen

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Diese Daimler-Limousine war die erste Staatskarosse von Königin Elizabeth II. – damals, als sie noch Prinzessin war. Glen Waddington erzählt ein königliches Märchen.

Wer anders als Daimler, seit 1900 »Königlicher Hoflieferant für Motorfahrzeuge«, hätte das größte britische Serienauto seiner Zeit herstellen können? Zumindest verwendete das Magazin »The Autocar« beim Test des DE27 im Januar 1948 diesen Superlativ. Wobei die Tester selbst zugaben, dass ihm bei Radstand und Gesamtlänge ein paar Zentimeter auf den Daimler DE36 fehlten. Folglich war der DE27 damals »nur« das zweitgrößte Auto des Königreichs. Und wenn er deshalb vielleicht nicht ganz für den König geeignet war, so war er doch perfekt für Prinzessin Elizabeth. Tatsächlich diente der hier vorgestellte DE27 von 1947 als erste Staatslimousine Ihrer Königlichen Hoheit.

Die junge Prinzessin war mit den königlichen Daimler ihres Vaters und seiner Vorgänger aufgewachsen. 1944 schenkte Georg VI. ihr zum 18. Geburtstag einen Daimler DB18 2 1⁄2 Liter. Dessen Kennzeichen JGY 280 nahm Elisabeth zu jedem ihrer folgenden Privatwagen mit. Ihren provisorischen Militärführerschein erwarb die Prinzessin, als sie 1945 im Auxiliary Territorial Service (ATS) diente, der Frauenabteilung des britischen Heeres. Danach fuhr sie ihren DB18 regelmäßig und ließ ihn während eines Aufenthalts auf Malta sogar dorthin überführen.

Am 2. Februar 1948 wurde der DE27 mit dem Kennzeichen HRH 1 für »Her Royal Highness« zugelassen und dem Palast-Fuhrpark für Prinzessin Elisabeth übergeben.

Da die Prinzessin ein immer öffentlicheres Leben führen und offizielle Termine wahrnehmen musste, griff sie öfters auf einen der Lanchester von König Georg oder eine seiner sehr speziellen Daimler-Staatskarossen zurück. Ende 1947 heiratete Prinzessin Elizabeth ihren Verlobten Philip Mountbatten. Die Royal Air Force und die Women’s Auxiliary Air Force (WAAF), ein militärischer Ersatzdienst für Frauen, samelten daraufhin Geld für ein Hochzeitsgeschenk. Das junge Paar erhielt, so die offizielle Formulierung, »einen Steinway-Flügel und einen Scheck zur persönlichen Verwendung durch Prinzessin Elizabeth«.

Was könnte sie mit den geschenkten 4000 Pfund anfangen? Der Buckingham Palast schlug eine neue Limousine vor, und zufällig hatte Daimler einen sechszylindrigen DE27 mit einem über 1,80 Meter hohen Hooper-Aufbau auf Lager. Der Wagen lag damit zwischen ihrer eigenen Limousine und den königlichen Achtzylindern. Das Fahrgestell war kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gebaut und Ende 1945 zum Karossieren an Hooper geliefert worden. Bei der Erstzulassung Ende Dezember 1946 für das Jahr 1947 trug er das Kennzeichen FVC 355. Der Privatsekretär der Prinzessin schrieb an Luftwaffenchef Lord Tedder und erklärte nüchtern: »Das Auto wird für die Prinzessin von größtem Nutzen sein«. Das Argument überzeugte offenbar, denn am 2. Februar 1948 wurde der DE27 mit dem Kennzeichen HRH 1 für »Her Royal Highness« zugelassen und dem Palast übergeben.

Der Reihensechszylinder mit vier Litern Hubraum hat 110 PS und schafft 130 km/h Spitze.

Elegantes Detail: Die hoch aufragende Karosserie des Daimler kommt ohne hintere Türsäule aus. Das gewährte den königlichen Insassen einen ungehinderten Blick nach draußen – und gute Einblicke für Schaulustige bei den Anlässen, wenn sich die junge Prinzessin und der Herzog von Edinburgh im wahrsten Sinne des Wortes sehen ließen. Der Chauffeurbereich war mit strapazierfähigem dunkelblauem Leder ausgestattet, im Fond schufen weiche und warme »West of England«-Wollbezüge in Rehbraun ein palast-ähnliches Ambiente; auf Wunsch wärmten passende Überdecken die königlichen Füße.

Eine elektrisch versenkbare Glasscheibe trennte die beiden Bereiche voneinander, zudem gab es elektrische Fensterheber, ein Radio im Fond und zwei nach vorn umzuklappende Einzelsitze vor der Rückbank. Auf beiden hinteren Türen prangte das königliche Wappen, auf dem Dach setzte ein Blaulicht bei Bedarf die Sonderrechte durch und das Dach trug einen Halter für die königliche Standarte.

Das Cockpit ist knapp geschnitten, aber behaglich. Das cremefarbene Leder ist nicht original und geht auf einen früheren Besitzer zurück.

Schon nach wenigen Wochen durfte der Daimler seine ersten offiziellen Termine wahrnehmen. Am 23. April 1948 holte er das königliche Paar von der St. George’s Chapel auf Schloss Windsor ab, nachdem sie zu Lady und Ritter des Hosenbandordens ernannt worden waren. Drei Wochen später nahm er die junge Prinzessin und den Herzog am Pariser Gare du Nord in Empfang und kutschierte sie am 13. Mai durch die französische Hauptstadt.

Neben den öffentlichen Auftritten nutzte das junge Paar den Daimler auch für Familienausflüge. So erlebte der heutige König Charles III. am 5. Januar 1949 im Alter von sieben Wochen darin seine erste Autofahrt. Während der kleine Charles in den Armen von Prinzessin Elizabeth lag, chauffierte sein Vater Prinz Philip die Familie plus die königliche Krankenschwester vom Buckingham Palast nach Sandringham. Im November fuhren Elizabeth und ihre Schwester Margaret in der Karosse mit dem Kennzeichen HRH 1 am Londoner Coliseum Theater vor.

Doch schon bald sollte er nicht mehr die Nummer eins im Fuhrpark sein, das royale Kennzeichen die Seiten wechseln und eine zwei Generationen überdauernde Tradition gebrochen werden: Rolls-Royce trat auf den Plan. Die Luxusmarke stellte sich nach dem Zweiten Weltkrieg neu auf und experimentierte mit leistungsstärkeren Motoren in einem verblüffend schnellen Bentley Mark V-Prototyp. Er bewegte sich so schnell vom Fleck, wie es der Spitzname »Scalded Cat« (verbrühte Katze) andeutete. Der Herzog von Edinburgh (Prinz Philip) erfuhr davon, durfte eine Probefahrt machen und war begeistert. Am 15. November 1948 erhielt Rolls-Royce den Auftrag, eine Limousine zu bauen, die repräsentativ genug für öffentliche Auftritte war und zugleich schnell genug, um dem Herzog Freude zu bereiten.

Fotos Andy Morgan // Bearbeitung Johannes Schnettler

Lesen Sie in OCTANE #70, wie der Daimler den königlichen Fuhrpark verliess – und zum Miettaxi wurde.

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