Opel-Rennwagen von 1903 bei der Kronprinz-Wilhelm-Rasanz
Klassiker

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Text Berthold Dörrich // Fotos Kai R. Joachim

GESCHWINDIGKEIT IST SUBJEKTIV. UND SPASS NICHT DER QUOTIENT VON ENTFERNUNG DURCH ZEIT. OCTANE-LESERIN ANJA BUSCH IM OPEL-RENNWAGEN VON 1903 BEI DER KRONPRINZ-WILHELM-RASANZ

Geschwindigkeit ist für Sie ganz einfach eine physikalische Größe? Sie messen Ihr Vorwärtskommen auch noch ganz altmodisch in Kilometern pro Stunde? Oder ist Ihr Bewusstsein schon so geschärft, dass Sie auf neumodische Nebensächlichkeiten wie Tachometer und Drehzahlmesser beruhigt verzichten und sich ganz auf Ihr untrügliches Gefühl verlassen können? Auf das zuverlässigste Instrument, das es gibt: Je breiter das Grinsen, um so höher der Speed. Der Eindruck von Geschwindigkeit potenziert sich mit jedem Jahr, um das das Baujahr des Fahrzeugs sinkt. Und desto größer der Spaß an der Rasanz. So einfach kann die Definition von Freude am Fahren sein.

Opel-Rennwagen von 1903 vor historischer Kulisse
Welch ein Anblick – geht es idyllischer?

Wenn dieser Slogan nicht von BMW genutzt würde, dann dürfte Opel ihn sich auf die Fahnen schreiben. Erfunden 1903. Da war das Automobil immerhin schon 18 Jahre alt – volljährig nach heutigen Begriffen. Aber wenn man ehrlich ist, immer noch ein Stück näher an der motorisierten Pferdekutsche als an dem, was wir heute unter einem Auto verstehen. Fünf Jahre vorher hatten die Söhne von Adam Opel, der selbst nie Autos bauen wollte, dessen Vorname heute trotzdem stolz ein Modell der Marke ziert, damit begonnen, fahrbare Untersätze zu produzieren.

Wegen fehlenden Erfolgs mussten sie die Produktion kurz nach der Jahrhundertwende vorerst wieder einstellen. Führend waren seinerzeit die französischen Marken, die sich auf den Straßen Europas in Lang-streckenrennen duellierten. Nach mehr oder minder erfolglosen Versuchen, es den Franzosen gleichzutun, entschieden sich die Opel-Brüder, eine Lizenz von Darracq für den Bau ihrer Fahrzeuge zu erwerben – trieben aber parallel die Entwicklung eines eigenen Wagens voran, des 10/12 PS.

Opel-Rennwagen von 1903 in der Natur
Auch im Grünen macht der Opel-Rennwagen eine gute Figur.

Für das Debüt auf der Frankfurter Pferderennbahn, wenige Kilometer von Rüsselsheim, erleichtern sie die Konstruktion kompromisslos. Übrig bleibt nur das nackte Fahrgestell mit einer leichten Motorhaube und zwei dürren Sitzen für Fahrer und Beifahrer. Statt schwerer Holzspeichenräder setzen die Brüder auf Räder mit Stahlspeichen – was Opel aus der Fahrradproduktion bestens bekannt ist. Nun reicht die Leistung des 1,9-Liter-Motors für eine flotte Fahrt über die Galopprennbahn Niederrad. Schon seit dem Vorjahr hatte sich dieses Autorennen zu einem Spektakel entwickelt, zu dem die Zuschauer in Massen herbeiströmten. Es ging über 1609 Meter, die englische Meile, um den sandigen Kurs.

Konkurrenten schoben sich gegenseitig von der Piste, in Ermangelung leistungsfähiger Bremsen schossen sie hinaus, mit Glück gingen sie im Drift durch die Kurven; mehr oder weniger kontrolliert; meistens weniger. »Die große Zahl von Konkurrenten«, mahnte die Allgemeine Automobil-Zeitung, »gibt zu Befürchtungen Anlass. In der Tat erfolgt gleich in der ersten Kurve eine Carambolage …« Am Steuer des Opel-Rennwagens saß erstmals Fritz Opel, der mit dem Eigenbau seine Klasse gewinnt. Zu einem Höhepunkt der Opel-Renngeschichte entwickelt sich wenige Jahre später das Kaiserpreisrennen, das zu diesem Zeitpunkt größte deutsche Motorsport-Ereignis überhaupt.

KONKURRENTEN SCHOBEN SICH GEGENSEITIG VON DER PISTE, IN ERMANGELUNG LEISTUNGSFÄHIGER BREMSEN SCHOSSEN SIE HINAUS

Um seine neuen, speziell für den Kaiserpreis entwickelten Wagen der 8-Liter-Klasse ausgiebig zu testen, meldet das Werk 1907 zwei Autos zunächst bei der halsbrecherischen Targa Florio in Sizilien. Der Einsatz verläuft nicht sehr ermutigend. Kurz vor dem Start zieht Fritz Opel seine Nennung zurück. Carl Jörns, der spätere Opel-Seriensieger, weicht einer Ziege aus und endet mit gebrochenem Vorderrad im Straßengraben. Trotzdem schicken die Opel-Brüder im gleichen Jahr drei Wagen ins Rennen um den Kaiserpreis, bei dem, ganz patriotisch, auch ein Sonderpreis für den besten deutschen Wagen ausgeschrieben ist. Auf einer 125 Kilometer langen Rundstrecke geht es durch den Taunus.

DIE GRÖSSTEN BEGEISTERUNGSSTÜRME LÖST ABER DER 6. PLATZ VON CARL JÖRNS AUF DEM OPEL AUS

Wie seit einigen Jahren üblich, ist die Strecke komplett gesperrt und muss dreimal durchfahren werden. Dass es trotzdem hochherging, beschreibt ein Bericht der Automobil-Welt: »Schon in der ersten Runde musste Poege (Mercedes) wegen eines Vergaserdefektes, Chevalier Florio (Darracq) wegen einer Reparatur am Zylinder, Hugo Wilhelm (Métallurgique) durch eine Kollision mit einem Meilenstein und Gabriel (de Dietrich) wegen eines Defekts am Benzinbehälter aus dem Rennen scheiden …« Am Ende gewinnt schließlich Felipe Nazzaro auf Fiat. Die größten Begeisterungsstürme löst aber der 6. Platz von Carl Jörns auf dem Opel aus. »Es war nicht leicht, gegen solche Fahrer, wie sie die Italiener und Belgier stellten, anzukommen, um so höher muss der Opelsche Erfolg angerechnet werden«, schrieb die Frankfurter Zeitung am Tag danach.

Unter lauten Beifallsstürmen nimmt Jörns den Pokal für den besten deutschen Wagen aus der Hand von Kaiser Wilhelm II. entgegen, der sich daraufhin entschließt, Opel-Motorwagen zu fahren. Opel feiert den Erfolg in großformatigen Anzeigen, wird Kaiserlicher Hoflieferant und beginnt seinen Aufstieg zu einem der bedeutendsten deutschen Automobilhersteller. Die Ausfahrt anno 2013 im Opel-Rennwagen von 1903 bei der Kronprinz-Wilhelm-Rasanz gerät dagegen deutlich gemütlicher. Jens Cooper von Opel Classic hat den Wagen perfekt vorbereitet, um gemeinsam mit unserer Leser-Gewinnerin Anja Busch die Strecke der Kronprinz-Wilhelm-Rasanz unter die Räder zu nehmen. Als Erinnerungstour an die legendäre Fahrt des Grafen von Schaesberg Tannheim zum Besuch des autoverrückten deutschen Kronprinzen Wilhelm 1907 in Düsseldorf gedacht, sollte die Rasanz auf historischer Route von Schloss Krickenbeck nach Düsseldorf führen. Doch die dortigen Behörden machten dem Veranstalter wenige Tage vorher einen Strich durch die Rechnung.

MIT VEREINTEN KRÄFTEN KAMEN AM ENDE ALLE AUTOS WIEDER KLAR, UM NACH 99 AUFREGENDEN KILOMETERN AM SPÄTEN NACHMITTAG WIEDER IM SCHLOSS KRICKENBERG EINZULAUFEN

Und so verlief die Strecke nach kurzfristiger Umplanung von Schloss Krickenbeck zum Schloss Dyck und zurück. Zusammen mit 24 seltenen Edwardians und Fahrzeugen bis Baujahr 1927 schlängelte sich der Opel im Korso bei herrlichem Wetter durch die niederrheinische Landschaft. Kaum einer der Teilnehmer dürfte die ausgefallene Ankunft in Düsseldorf vermisst haben, obwohl einige im Stil der Zeit gekleidete Damen beim Defilée auf der Düsseldorfer Modemeile eine tolle Figur gemacht hätten.

Anfällige Reparaturen auf der Strecke gerieten gerne mal zum Stelldichein der Messing-Spezialisten. Mit vereinten Kräften kamen am Ende alle Autos wieder klar, um nach 99 aufregenden Kilometern am späten Nachmittag wieder im Schloss Krickenberg einzulaufen. Zeitnahmen oder Prüfungen gab’s bei der Rasanz keine. Dass die meisten (gefühlt) stets am Rande der absoluten Höchstgeschwindigkeit unterwegs waren, bewies auch unsere Gewinnerin: ihr Grinsen signalisierte noch lange nach Ende des Ausritts 70 km/h – mindestens.


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