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Lancia Delta Integrale: Vom kompakten Alltagsauto zur Rallye-Legende

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Was einst als unscheinbarer Kompaktwagen begann, wurde zur Ikone des Motorsports. Der Lancia Delta Integrale vereinte brutale Kraft, Allradtechnik und italienisches Temperament – verpackt in ein kantiges Blechkleid mit ausgestellten Radhäusern. Sechsmal gewann er die Rallye-Weltmeisterschaft, dominierte die Gruppe A wie kein anderes Auto und prägte eine ganze Ära. Doch sein Mythos reicht weit über Schotterpisten und Serpentinen hinaus – denn bis heute gilt der Delta Integrale als einer der faszinierendsten Sportler mit Straßenzulassung.

Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte des Delta Integrale

Der Ursprung des Lancia Delta Integrale liegt im Rallye-Reglementwechsel der 1980er-Jahre. Nachdem die extrem leistungsstarken Gruppe-B-Fahrzeuge – darunter auch der Delta S4 – zwischen 1982 und 1986 für Furore sorgten, führte ein tödlicher Unfall 1986 bei der Tour de Corse zum sofortigen Verbot dieser Klasse. Die Motorsporthoheit FISA ersetzte sie 1987 durch die seriennahe Gruppe A. Lancia reagierte schnell und entwickelte auf Basis des frontgetriebenen Delta HF ein Allradfahrzeug mit turbogeladenem Vierzylindermotor.

Der resultierende Delta HF Integrale war deutlich stärker, robuster und fahrdynamisch optimiert – perfekt für die Anforderungen der neuen Gruppe-A-Rallyes. Das Fahrzeug wurde kontinuierlich weiterentwickelt und dominierte zwischen 1987 und 1992 die Rallye-Weltmeisterschaft mit sechs aufeinanderfolgenden Konstrukteurstiteln. Den Höhepunkt dieser Serie bildete 1992 die Sonderserie Delta Integrale Evo 1 Martini 6, die als Hommage an diese sechs WM-Titel und den Sponsor Martini Racing entstand.

Die technische Evolution des Lancia Delta Integrale

Die Transformation zum Rallye-Champion begann 1987 mit dem Delta HF 4WD – äußerlich seriennah, aber mit Allradantrieb, 2,0-Liter-Turbo und 165 PS in der Straßenversion. Die Gruppe-A-Rallyeversion leistete bereits über 260 PS. Noch mit schmaler Karosserie gewann Lancia sofort die Markenweltmeisterschaft – inklusive Doppelsieg für Juha Kankkunen und Miki Biasion in der Fahrerwertung.

1988 folgte mit dem Delta HF Integrale die erste deutlich überarbeitete Ausbaustufe. Sie erhielt eine verbreiterte Spur, ausgeformte Kotflügel, einen größeren Garrett-Turbolader und leistete nun 185 PS. Das Allradsystem verteilte das Drehmoment im Verhältnis 56:44 und ermöglichte beeindruckende Traktion. Fahrleistungen wie 6,6 Sekunden von 0 auf 100 km/h und 214 km/h Spitze machten den Integrale auch auf der Straße zum Hochleistungsträger.

Schon 1989 kam mit der 16V-Variante die nächste Weiterentwicklung. Sie war an der Motorhaubenausbuchtung erkennbar, erhielt breitere Felgen sowie eine neue Kraftverteilung (47:54), die speziell auf Asphalt Vorteile bot. Den Schlusspunkt setzte 1991 das Serienmodell Evoluzione 1 mit 210 PS – technisch gereift, optisch markant und bereit für die finale Stufe der Rallye-Erfolgsgeschichte.

Rallye Version des Lancia Delta Integrale

Viele limitierte Sonderserien brachten WM-Siege ein

Mit der zweiten von vielen limitierten Sondereditionen feierte Lancia 1992 den fünften WM-Titel in Folge. Der Delta HF Integrale Evoluzione 1 Martini 5 kam auf 400 Exemplare. Nur folgerichtig, dass nach dem Gewinn eines weiteren Markentitels die nächste Edition folgte – eben »unser« Evo 1 Martini 6 mit seiner markanten türkisfarbe­nen Alcantara-Ausstattung.

Nach dem letzten WM-Erfolg des Delta 1992 neigte sich auch die Laufbahn des Serien­modells dem Ende zu. Die ultimative Version Evo 2 16V mit einer auf 215 PS leistungsgestei­gerten Version des von Lampredi entworfenen 2,0-Liter-Motors kam Mitte 1993 auf den Markt. Die nicht gerade originell benannte Final Edition läutete das Produktionsende im November 1994 ein. Die Allradversionen kamen auf eine Gesamtstückzahl von 44.296 Exemplaren – keine schlechte Bilanz für ein Homologationsmodell, von dem anfangs bei­spielsweise nur 50 Achtventiler für den briti­schen Markt vorgesehen waren.

Lancia Delta Integrale Evo 1 Martini 6: Die limitierte Sonderserie

Zum Ende der Motorsport-Ära des Lancia Delta Integrale entstand 1992 die limitierte Sonderserie Martini 6 – benannt nach dem gleichnamigen Hauptsponsor und den sechs WM-Titeln in Folge.

Insgesamt entstanden 310 Exemplare des Evo 1 Martini 6, technisch basierend auf dem Integrale Evoluzione 1 mit 2,0-Liter-Turbomotor, Allradantrieb und 210 PS. Neben der klassischen Martini-Grafik auf weißem Lack zählte die türkisfarbene Alcantara-Innenausstattung mit roten Kontrastnähten zu den auffälligsten Merkmalen.

Einzelne Fahrzeuge dieser Edition wurden abweichend vom Serienprozess gefertigt. Unter Projektleitung von Ing. Rodolfo Gaffino di Rossi entstand in Kooperation mit dem Entwicklungsbüro Autec und der exklusiv arbeitenden Scuderia del Pilota mindestens ein Exemplar außerhalb der regulären Fiat-Fertigung. Diese Einheiten entstanden im Umfeld von Sonderprojekten, die üblicherweise für diplomatische oder repräsentative Zwecke gebaut wurden. Die Scuderia war beispielsweise an der Umsetzung des Delta Cabriolet für Gianni Agnelli oder des Lancia Giubileo Landaulet für Papst Johannes Paul II beteiligt.

Einige Quellen vermuten, dass ein spezielles Fahrzeug der Martini-6-Reihe ursprünglich nicht als Teil der auf 310 Stück limitierten Auflage gedacht war, sondern als Einzelanfertigung im Auftrag des Fiat-Konzerns entstand – möglicherweise für den 2000 verstorbenen Edoardo Agnelli. Diese Annahme lässt sich durch verfügbare Produktionsunterlagen allerdings nicht zweifelsfrei belegen.

Technisch entspricht die Sonderserie weitgehend dem Serienstand des Evoluzione 1. Einzelne Fahrzeuge sollen jedoch mit einem modifizierten Abarth-Steuergerät ausgestattet worden sein, das die Leistung auf etwa 280 PS anhebt. Mit der breiteren Spur, einteilig gepressten Kotflügeln und überarbeiteter Vorderachsgeometrie wurde das Fahrverhalten deutlich geschärft. Die Allradtechnik mit asymmetrischer Drehmomentverteilung (56:44) sorgte für hohe Traktion in allen Lagen. Das präzise Lenkverhalten bei höherem Tempo und die relativ komfortable Fahrwerksabstimmung machten den Integrale auch außerhalb des Rennbetriebs zu einem vielseitig nutzbaren Sportgerät.

Trotz kompakter Maße bietet der Integrale vier vollwertige Sitzplätze und eine Heckklappe. Die Alltagstauglichkeit wurde nur geringfügig durch den eingeschränkten Kofferraum und die teils spürbare Karosserieverwindung bei offenem Fenster beeinflusst. In Kombination mit dem leistungsstarken Turbomotor und dem neutralen Fahrverhalten zählt der Martini 6 heute zu den technisch ausgereiftesten und zugleich emotionalsten Varianten des Delta Integrale.


10 spannende Fakten rund um den Lancia Delta Integrale

  1. Offiziell wurde der Martini 6 ausschließlich in Weiß (Bianco) mit Martini-Streifen ausgeliefert – andere Lackierungen existieren nur als Umbauten oder Einzelanfertigungen.
  2. Die türkisfarbene Alcantara-Innenausstattung war exklusiv dem Martini 6 vorbehalten und bei keinem anderen Serienmodell ab Werk verfügbar.
  3. Jeder Martini 6 trug eine nummerierte Plakette auf dem Armaturenbrett, um die Limitierung auf 310 Stück sichtbar zu machen.
  4. Der Listenpreis des Martini 6 lag in Italien bei rund 53 Millionen Lire, was damals etwa 55.000 D-Mark entsprach – ein hoher Preis für einen Kompaktsportler.
  5. Das offizielle Lancia-Zubehörprogramm bot ergänzende Martini-Details an, darunter eine passende Fahrzeugabdeckung im Martini-Design.
  6. Einige Exemplare wurden mit einer leichten Differenzierung in der Elektronik ausgeliefert, was spätere Tuningmaßnahmen erschwerte – vermutlich ein Diebstahlschutz.
  7. Lancia testete am Martini 6 erstmals neue Materialien für den Innenraum, darunter UV-beständiges Alcantara und spezielle Klebstoffe für Türverkleidungen.
  8. Das 16V-Modell war das erste mit einer asymmetrischen Drehmomentverteilung (47 % vorne / 53 % hinten) – optimiert für Asphalt.
  9. Der Name „Integrale“ wurde 1989 offiziell eingeführt, vorher liefen die Allradmodelle unter dem Zusatz „4WD“ oder „HF Turbo 4WD“.
  10. Viele Integrale wurden bereits in den 1990er-Jahren in Japan exportiert, weshalb heute ein großer Teil des weltweiten Bestands dort gepflegt erhalten wird.
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