Bugatti Bébé neben seinem Vorbild Bugatti Type 35
Klassiker

Teurer Bugatti für kleine Prinzen

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 Text Giles Chapman

KONZIPIERT ALS EINZELSTÜCK FÜR DAS KIND, DAS SCHON ALLES HAT, WURDE DAS BÉBÉ FÜR BUGATTI RECHT SCHNELL UND ÜBERRASCHEND ZUM VERKAUFSSCHLAGER – UND FAST BELIEBTER ALS SEIN GROSSES VORBILD

Ein ziemlich originalgetreues Abbild des Bugatti Type 35 im Maßstab 1:2 – nur der Achtzylinderreihenmotor wurde leider nicht in einer „halben Version“ nachgebaut. Stattdessen nahm ein Elektromotor dem kleinen Bugatti-Prinzen das in-die-Pedale-treten ab. Das fahrbare Spielzeug sollte dann als Werbegeschenk unters Volk gebracht werden. So wurde 1927 ein Prototyp des Bébé in Mailand präsentiert. Schlussendlich wurde das „Bébé“ an die zwei Meter lang. Es war zwar sehr teuer, dennoch riss man dem Macher zwischen 1927 und 1936 mehr als 500 Exemplare aus der Hand.

Ettore Bugatti hätte es das Herz gebrochen, wenn er miterlebt hätte, wie sein Sohn nach dem Zweiten Weltkrieg daran scheiterte, Bugatti in der Oberklasse der Premium-Hersteller zu halten. So sehr ihn das zerstört hätte, so sehr liebte er seinen Sohn Roland. Bei Rolands Geburt 1922 in Dorlisheim waren Vater und Mutter bereits 41 Jahre alt. Das Baby hatte zwei viel ältere Schwestern und einen Bruder – Jean, noch in Köln geboren. Es wurde vorwiegend zu Hause unterrichtet. Und verhätschelt. Oder zumindest verwöhnt.

EIN 12-VOLT-ELEKTROMOTOR BEWEGTE DAS BÉBÉ – MUSKELKRAFT DES FAHRERS, GESCHWEIGE DENN KÖRPERLICHE ANSTRENGUNG, WAR ALSO UNNÖTIG

Schon mit fünf Jahren konnte Roland das Rad an seinem eigenen Bugatti wechseln. Ja, der Kleine hatte seinen eigenen Wagen. Über den Ursprung dieser Sonderanfertigung gibt es mehrere Legenden. Eine lautet, der Bugatti Bébé sei ein Überraschungsgeschenk der Belegschaft an den Sohn des Chefs gewesen. Wahrscheinlicher scheint, Ettore selbst habe ihn in Auftrag gegeben, um den Bub an die zugedachte Rolle des Automagnaten heranzuführen.

Der Wagen war ein ziemlich originalgetreues Abbild des Bugatti Type 35 im Maßstab 1:2. Die so charakteristischen Felgen waren Miniaturabgüsse aus derselben Metalllegierung wie beim Original, die Karosserie aus Aluminium. Nur der Achtzylinderreihenmotor wurde leider nicht in einer 50-Prozent-Version nachgebaut … Der kleine Roland musste deshalb aber nicht etwa seine zarten Füßchen beanspruchen und in die Pedale treten, um das Spielzeug zu bewegen. Mit einem Elektromotor – 12 Volt, verborgen über der Starrachse hinten – wurde das Spielmobil über das rechte Hinterrad angetrieben. Über einen Wendelpotentiometer war das Gaspedal mit dem Gleichstrom-Motor verbunden, entsprechend simpel war das Einlegen des Rückwärtsganges – durch einfaches Umschalten der elektrischen Spannung.

HEUTE IST EIN BÉBÉ EINE DURCHAUS ERNSTZUNEHMENDE WERTANLAGE  – OBGLEICH DIE SPITZENPREISE DER KLEINEN ETWAS EINGEBÜSST HABEN

Authentisch war wiederum die Vorderradaufhängung mit halbelliptischen Federn, weniger nah dran die Trommelbremse mit Holz-Bremsklotz an jedem Rad. Die Gestaltung anderer Details war dem Vorbild sehr nahe – von den 355×45-Wulstreifen über die Kühler-Attrappe bis hin zur Motorhaube mit 16 Lüftungsschlitzen auf jeder Seite. Selbstverständlich konnte man die entzückenden Reifen abnehmen und die Haube öffnen.

Als Ettore sah, wie Roland mit dem Miniatur-Boliden über das Anwesen in Molsheim brauste, kam ihm die Idee, das Spielzeug als Werbegeschenk unters Volk zu bringen. Gesagt, getan. 1927 wurde ein Prototyp des Bébé in Mailand präsentiert. Da er für kleine Leute – im Alter zwischen sechs und acht Jahren – angefertigt wurde, erweiterte man den Radstand zugunsten größeren Fußraums von 1299 mm auf 1350 mm. Dadurch war dieser Bébé an die zwei Meter lang (1800 mm, Spurweite 625 mm). Der Charakter des Prototyps, dem großen Original so charmant nahe, blieb damit auf der Strecke. Doch der neue Bébé wurde dadurch zu einem langlebigeren Spielzeug. Kenner erkennen den verlängerten Bug an der Anzahl der Lüftungsschlitze (21).

TATSÄCHLICH GAB ES KLEINE RENNEN IN DER HIGH SOCIETY – NATÜRLICH AN DER PROMENADE

Der Bébé war sehr teuer. Doch das tat seiner Popularität keinen Abbruch. Mehr als 500 Exemplare verließen zwischen 1927 und 1936 das Werk. Prinz Hassan von Marokko war einer der berühmtesten Minipiloten. Zu speziellen Bébé-Rennen fand sich die High Society an den Seepromenaden von Deauville bis Monte Carlo ein.

Alles, was Rang und Namen hatte, versammelte sich, um den kleinen Rennfahrern zuzujubeln. Dabei waren die Pummeligeren der kleinen Lieblinge ganz klar im Nachteil. Für nicht wenige von ihnen endete so ein Rennen in Tränen aufgelöst oder schlicht in einem veritablen Wutanfall, weil jedes Gramm zu viel auf den Rippen die Höchstgeschwindigkeit des 68 Kilogramm schweren Gefährts von ca. 18 km/h empfindlich ausbremste.

NICHT SCHLECHT GEMACHT – ABER EBEN NICHT DASSELBE WIE DAS ORIGINAL

Heute ist ein Bébé eine durchaus ernstzunehmende Wertanlage – obgleich die Spitzenpreise der Kleinen, gegenüber den Preisen vor der Finanzkrise, etwas eingebüßt haben. Damals wurde einer, einst im Besitz von Briggs Cunningham, zudem ein sehr frühes Exemplar, von Gooding & Co für 110.000 Dollar versteigert, wobei der vorab geschätzte Preis bei 60.000 Dollar lag.

Im Jahr 2011 kam bei RM Auctions ein späteres Exemplar (Fahrgestellnummer 449) für umgerechnet nur noch € 30.000 unter den Hammer. Verlassen kann man sich darauf, dass es noch einige Exemplare gibt. Vielleicht sind nicht alle aus der Originalserie, die Ettore in Auftrag gab, aber dafür sind sie auch viel preiswerter: Ein Nachbau von Crosthwaite & Gardiner ging beim Goodwood Revival für 6000 Pfund weg.

Tula Engineering produziert seit 30 Jahren als „Type 52“ maßstabgetreu verkleinerte Type 35 aus Glasfaser und Leichtmetall mit Kartmotor für rund € 10.000. Nicht schlecht gemacht – aber eben nicht dasselbe wie das Original. Bei den echten befindet sich die Seriennummer auf einer Art Hundemarke, die an die Innenseite des Kühlergrill gelötet ist. Die Bezeichnung „Type 52“ begegnet einem ständig überall, beginnt man erst einmal, sich für ein Bébé zu erwärmen. Der Grund ist nicht ganz leicht nachvollziehbar, da diese Nummer in Molsheim nie einem Modell zugeordnet worden war. Offiziell wurde die Bezeichnung T52 für das Projekt eines 5-Liter-Motors mit Vierventilzylinderkopf verwendet – geplant als Update für den Type 46 – der allerdings nicht realisiert wurde.

BEI DEN ECHTEN BEFINDET SICH DIE SERIENNUMMER AUF EINER ART HUNDEMARKE, DIE AN DIE INNENSEITE DES KÜHLERGRILL GELÖTET IST.

Die Originalskizzen für den kleinen Nachbau, datiert vom 20. Mai 1927, bezeichnen den Kleinen schlicht als „Type Bébé“. Die begriffliche Verwirrung geht wohl zurück auf Hugh Conway, den Bugatti-Guru, der 1963 aus unerfindlichen Gründen anfing, den Bébé umzutaufen in Type 52. Höchstwahrscheinlich hat er sich dabei einfach in den bisweilen undurchdringlichen Geflechten der firmeneigenen Namensgebungen verfranst. Ein bisschen blöd, aber wahr. Doch wir wollen nicht kleinlich sein: Verzeihen wir ihm also diesen Fauxpas, da die Bugatti-Welt ihm so unendlich viel zu verdanken hat!


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