Klassiker

Der Tank war seiner Zeit voraus

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Den Rennwagen neu erfinden – wie oft wurde das versucht! Ettore Bugatti setzte 1923 ganz auf Aerodynamik und schuf den T32, wegen seiner Form auch Aero-Tank genannt. Einzigartig aber sieglos.

Nur wenige rennwagen waren außergewöhnlich genug, um wie der Bugatti T32 einen Spitznamen zu erhalten, geschweige denn gleich deren sieben: Tank, Schildkröte, Trilobit, Käseglocke, Käfer, Schnecke und Rollschuh. Die so mannigfaltigen wie unterschiedlichen Bezeichnungen zeugen zugleich von der Faszination wie von der großen Ratlosigkeit der Zeitgenossen angesichts dieses revolutionären Rennwagens. Der hatte so gar nichts mit all dem zu tun, was vor 100 Jahren sonst auf Rennstrecken zu sehen war. Sein erster und zugleich letzter Auftritt erfolgte am 1. Juli 1923 beim dramatischen Grand Prix von Frankreich in Tours.

Schon sein Karosseriedesign unterschied sich von allem, was 1923 im Rennwagenbau üblich war. Die Aluminium-Vollverkleidung aus einem Stück war ganz nach aerodynamischen Kriterien entwickelt worden. Deshalb genießt der Wagen bis heute eine gewisse Bekanntheit. Aber auch unter der Karosserie war er sehr innovativ konzipiert oder anders gesagt: Hier wurde der Rennwagen ohne jegliche Rücksicht auf Konventionen noch einmal neu erfunden. Die Physik diktierte das Konzept: Reduzierte Dimensionen sparten Gewicht, ein tiefer Schwerpunkt und eine ausgeglichene Massenverteilung kamen der Fahrdynamik zugute und eine aerodynamische Form senkte den Luftwiderstand.

Kompaktes, innovatives Technikpaket im aerodynamischen Alukleid. Wie bei einem Tropfen ist das runde Stück vorn, das spitze Ende hinten.

Es sind Kriterien, die bis heute gelten, wie auch die sich ergebenden Zielkonflikte: Geringe Abmessungen sparen zwar Masse, ein kurzer Radstand führt aber zu einem instabileren Fahrverhalten auf den Geraden. Eine Vollverkleidung senkt den Luftwiderstand, erhöht aber das Gewicht und generiert mehr Auftrieb. Es sind also wohlüberlegte Kompromisse zu finden, Extremlösungen in einem Bereich sind nicht hilfreich. Der Bugatti 32 ist in Vielem ein gelungener, avantgardistischer Gesamtkompromiss. Sein größtes Handikap ist der extrem kurze Radstand von zwei Meter (ein Austin Mini von 1959 hatte 2,1 Meter), der auf den langen Geraden von Tours und beim Bremsen zu einem ziem- lich instabilen Fahrverhalten führte, das lange Zeit fälschlich der Aerodynamik angelastet wurde.

Während bei Rennwagen bis in die 1930er-Jahre der Leiterrahmen mit darunter aufgehängten Achsen und darauf gesetztem Motor Standard war, beschritt Bugatti beim T32 einen grundlegend neuen Weg. Zwar finden sich zwei wagenlange Längsträger. Aber die Querverbindungen sind nicht einfache »Sprossen« wie bei einer Leiter, sondern vorne und hinten praktisch identische, brückenartig aufgesetzte, dreidimensionale Konstruktionen, die Federn und Achsen tragen. Ein weiteres tragendes Element ist eine quergestellte Gitterkonstruktion am hinteren Ende des Motors. Insgesamt trägt sie ebenfalls zu einer Chassisversteifung bei. Die später im Rennwagenbau so wichtige Torsionsfestigkeit dürfte dank dieser Konstruktion gegenüber einem flachen Leiterrahmen um einiges höher gewesen sein als bei den Konkurrenten.

Gelochter Längsträger und Getriebe an der Hinterachse (Transaxle) – das war damals state-of-the-art.

Bei der Aufhängung handelt es sich auf den ersten Blick um eine traditionelle Starrachsenkonstruktion. Allerdings liegen bei einer solchen die Achsen und die Federn unterhalb des Chassis, wodurch bei klassischen Rennwagen bis zum Zweiten Weltkrieg das relativ hochbeinige Erscheinungsbild entstand. Da Bugatti aber aus aero- und fahrdynamischen Gründen eine geringe Bodenfreiheit anstrebte, wurden beide Achsen oberhalb des Rahmens platziert. Sowohl vorne wie hinten finden sich Viertelelliptikfedern, die von oben auf die Achse greifen. Bei der traditionellen Bauweise waren hinten Halbelliptikfedern unterhalb des Rahmens üblich. Das hätte sich bei den obenliegenden Achsen aber nicht darstellen lassen.

Hintere Chassisbrücke für die obenliegenden Viertelelliptikfedern an der Hinterachse sowie der spezifisch geformte Treibstofftank.

Während bei den traditionellen Rennwagen damals die Federn zugleich die Achsführung übernahmen, trennte Bugatti Federung und Achsführung, indem er beiden Achsen recht lange Längslenker in Form von abgekanteten Blechstreifen verpasste. Vorne lagen sie recht weit außen, hinten flankierten sie das Transaxle-Getriebe. Das liegt mit dem Differenzial verblockt an der Hinterachse. Grundsätzlich sorgt diese Lösung für eine ausgewogene Gewichtsverteilung und belastet die Antriebsachse, was die Traktion verbessert. Im Verbund mit einer Starrachse handelt man sich damit aber ein erhöhtes Gewicht der ungefederten Massen ein, was die Federung schlechter ansprechen lässt. Dies war für einen Rennwagen, der sowieso einen kleinen Federweg hat, aber kein gravierender Nachteil.

Für das Transaxle-Konzept gab es noch einen anderen Grund: Bugatti setzte zwecks Gewichtsersparnis neben dem sehr knappen Radstand auf eine Wagenbreite von nur 1,2 Metern. Dies war im Zusammenspiel mit dem langen Reihen-Achtzylinder-Motor nur möglich, wenn Fahrer und Beifahrer nicht vollständig hinter dem Motor zu sitzen kamen, sondern nach vorne versetzt und mit den Beinen neben dem schmalen Motor, ein absolutes Alleinstellungsmerkmal des T32. Ein Getriebe am Motorausgang hätte so schwerlich noch Platz finden können.

Text Gerhard Schütz // Fotos G.Schütz, Bugatti Automobiles S.A.S.

Lesen Sie in OCTANE #68, worin die besondere Finesse der Karosserie bestand und warum das trotzdem nicht zum Sieg im Rennen reichte.

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