Der Bugatti Typ 59 zählt zu den seltensten und faszinierendsten Grand-Prix-Rennwagen der Vorkriegszeit. Beim Concours d’Elegance in Pebble Beach 2024 sorgte ein außergewöhnlich original erhaltenes Exemplar für internationales Aufsehen – und gewann den ersten Preis in der „Preservation Class“. Dieser Sieg war nicht nur ein Tribut an das technische Erbe von Bugatti, sondern auch ein Triumph der Authentizität über Perfektion. Die Geschichte dieses Fahrzeugs reicht zurück bis in die 1930er-Jahre – und sie liest sich wie ein Roman voller Geschwindigkeit, Glanz und beinahe verloren geglaubter Substanz.

Unerwartete Wendung bei der Wahl zum „Best of Show“
Beim Concours 2024 schien alles wie gewohnt – bis ein Bugatti aus der „Preservation Class“ plötzlich im Finale auftauchte. Ursprünglich galten andere als sichere Favoriten: ein kunstvoll karossierter Talbot-Lago, ein imposanter Packard Twelve und das gewagte Konzept des Lancia Stratos HF Zero. Dass ein unrestaurierter Rennwagen mit sichtbaren Gebrauchsspuren überhaupt berücksichtigt wurde, stellte das bisherige Verständnis von Perfektion in Frage. Mit seinem originalen Lack, gelebter Patina und sichtbarer Rennhistorie verkörperte der Bugatti eine neue Form von Authentizität – und gewann genau deshalb.
Der Bugatti Typ 59 als Ingenieurskunst auf höchstem Niveau
Der Typ 59 war Bugattis ambitionierte Antwort auf das neue 750-Kilogramm-Reglement im Grand-Prix-Sport ab 1934. Zwar verzögerte sich das Debüt des Wagens bis zum Training in Spa, doch die Technik überzeugte sofort: Ein aufgeladener Achtzylinder mit 2,8 Litern, Doppel-Nockenwelle, Trockensumpfschmierung und ein tiefliegender, verlängerter Rahmen sorgten für Leistung und Fahrdynamik auf höchstem Niveau. Auch in der Rad- und Bremsentechnik ging Bugatti eigene Wege: Statt klassischer Speichenräder nutzte man eine neuartige Kombination aus separater Aluminium-Bremstrommel und verzahnter Felge. Die 80 filigranen Drahtspeichen waren lediglich für Vertikalkräfte zuständig, während Brems- und Antriebsmomente mechanisch übertragen wurden. Ein technisch komplexes, aber leichtes System – das sich als ebenso innovativ wie charaktervoll erwies.
Zwischen Rückschlägen und historischem Sieg – die kurze Grand-Prix-Karriere des Typ 59

Der erste Renneinsatz des Typ 59 beim Training in Spa 1933 verlief enttäuschend: Starpilot Achille Varzi klagte über unzureichende Bremsen und ein schwieriges Fahrverhalten – Bugatti zog das Auto zurück. Das eigentliche Debüt folgte erst beim Großen Preis von Spanien im September, doch auch dort verhinderten technische Probleme wie sich lösende Vergaser eine Platzierung auf dem Podium. Erst 1934 zeigte sich die Weiterentwicklung: In Monaco gingen vier überarbeitete Wagen mit gelöcherten Rahmenstreben an den Start – darunter der später preisgekrönte Typ 59 mit Motor Nummer 5, mit dem René Dreyfus einen respektablen dritten Platz erzielte. Nach einem weiteren Rennen in Monthléry, das keine vorderen Platzierungen brachte, folgte am 29. Juli 1934 schließlich der erste und einzige große Grand-Prix-Sieg des Typ 59 – erneut durch Dreyfus in Spa. Dieser Erfolg blieb jedoch der letzte große Triumph eines Bugatti-Rennwagens, da die Dominanz deutscher Silberpfeile und finanzielle Schwierigkeiten Ettore Bugatti zur Aufgabe des GP-Sports bewegten. Ende 1934 wurden vier der sechs gebauten Wagen an britische Privatteams verkauft.
Vom Rennauto zum Sportwagen: das zweite Leben des Typ 59
Auch nach dem Rückzug vom Grand-Prix-Sport blieb Bugatti aktiv: Der Typ 59 mit „Motor Nummer 5“ wurde 1935 bei kleineren Rennen eingesetzt und später zum Sportwagen weiterentwickelt. Beim GP von Frankreich sorgte ein modifizierter T59/50 S mit großem 4,9-Liter-Motor für Aufsehen – nicht zuletzt, weil Fahrer Robert Benoist nach dem Verlust der Motorhaube einhändig zur Box zurückkehrte.
Nach dem Doppelsieg von Mercedes änderten die Veranstalter die Regeln: Der Grand Prix 1936 sollte zugunsten der französischen Hersteller als Sportwagenrennen stattfinden – mit Serienmotoren und handelsüblichem Kraftstoff. Bugatti entwickelte daraufhin den stromlinienförmigen T57G sowie zwei Saugmotor-T59 »Sport«, die im August 1936 ihr Debüt gaben. Wimille siegte, Benoist fiel aus. Im Winter 1936/37 folgte die endgültige Umrüstung des Wagens: neue Kurbelwelle, synchronisiertes Getriebe, geänderte Hinterachskinematik sowie Karosserieanpassungen mit Kotflügeln, Türen und Lichtanlage. Als T57S mit der Chassisnummer 57248 registriert, feierte der Umbau 1937 in Pau einen souveränen Sieg – und stellte wenig später in Montlhéry sogar einen neuen 200-km-Geschwindigkeitsrekord auf.
Königliches Erbe: Wie der Typ 59 in die Garage von Leopold III. gelangte
Nach weiteren Erfolgen 1937, unter anderem beim GP von Algerien und in Reims, wechselte der Bugatti Typ 59 in den Privatbesitz von König Leopold III. von Belgien – einem engen Freund Ettore Bugattis. Für ihn erhielt der Wagen eine neue Optik: schwarz lackiert mit gelbem Zierstreifen, den belgischen Rennfarben entsprechend. Auch technisch wurde er angepasst: mit Kompressor, Zenith-Vergaser und stromlinienförmig integrierten Scheinwerfern. Nach dem deutschen Einmarsch 1940 verschwand der Bugatti mit seinem Besitzer im Exil. Erst 1959 kehrten beide zurück nach Belgien. 1964 gelangte der Wagen in die Hände des Studenten Stéphane Falise, der ihn fortan als reines Fahrvergnügen nutzte – ohne kosmetische Überrestaurierung, aber mit technischer Hingabe. Falisés Philosophie: Patina bewahren, Mechanik perfektionieren. So überstand der Typ 59 Jahrzehnte im Einsatz, ohne jemals seine Geschichte zu verlieren.
So wurde der Typ 59 zum Denkmal auf Rädern
Nach dem Krieg gelangte der Bugatti Typ 59 in die Hände des Studenten Stéphane Falise, der ihn direkt vom abgedankten König Leopold III. erwarb – samt weiteren Bugatti-Modellen. Der Wagen blieb lange zerlegt, wurde aber später technisch überholt und wechselte 1989 zu Robert M. Rubin, dann zu Anthony Wang und schließlich 2008 an Hubert Fabri. Fabri nutzte den T59 auf legendären Strecken wie Spa, Goodwood oder dem Mont Ventoux – stets mit Respekt vor der Geschichte und im Originalzustand.
2019 ging der Bugatti in die Pearl Collection von Fritz Burkard über. Um die empfindliche Oberfläche zu erhalten, beauftragte Burkard die Restauratorin Dr. Gundula Tutt mit einer gezielten Stabilisierung von Lack und Karosserie, ohne die Authentizität zu gefährden. Denn Patina, so das gemeinsame Credo, erzählt mehr als jede Politur – sie bewahrt Geschichte. Ein Anspruch, den auch der Pebble Beach Concours teilt.






Das ganze Portrait über den Bugatti Typ 59 lesen Sie in OCTANE #78
10 spannende Fakten rund um den Bugatti
- Komplexe Felgenkonstruktion: Bugatti entwickelte spezielle Felgen mit separater Bremstrommel- und Felgeneinheit, die durch Verzahnung verbunden waren – ein Konstruktionsmerkmal, das einzigartig blieb.
- Nur acht Exemplare gebaut: Vom Typ 59 entstanden lediglich acht Fahrzeuge – vier davon wurden später an britische Privatfahrer verkauft.
- Leistung mit Stil: Der aufgeladene Reihenachtzylinder leistete rund 250 PS – bemerkenswert für ein Auto aus den 1930er-Jahren mit nur 750 kg Mindestgewicht.
- Von Grand Prix zu Grand Tourer: Einige T59 wurden nach ihrem Renneinsatz für den Straßengebrauch umgebaut – mit Scheinwerfern, Kotflügeln und bequemerem Interieur.
- Innovativer Motorumbau: Nach dem Rückzug aus dem GP-Sport wurden einige Modelle mit Saugmotoren und Tourenwagenkarosserien ausgestattet – darunter auch der spätere Pebble-Beach-Sieger.
- Ungewöhnliche Schaltkulisse: Einige Typ-59-Modelle erhielten eine Zentralschaltung mit vollsynchronisiertem Vierganggetriebe – ungewöhnlich für damalige Rennwagen.
- Kuriose Details: Die filigranen Drahtspeichen der Räder trugen nur vertikale Kräfte – die Brems- und Antriebsmomente übernahmen die innen verzahnten Trommeln.
- Aluminiumkarosserie auf Stahlrahmen: Die äußere Hülle bestand aus handgedengeltem Aluminiumblech, das über einen leichten, aber stabilen Stahlrahmen gespannt wurde – eine Bauweise, die Gewicht sparte und damals State of the Art war.
- Geteilte Öltank- und Benzinversorgung: Zur optimalen Gewichtsverteilung saß der Öltank im Heck. Der Kraftstofftank wurde ebenfalls tief montiert und ermöglichte so trotz der niedrigen Silhouette ein ausreichendes Volumen.
- Minimalistisches Cockpit: Die Fahrgastzelle war äußerst knapp bemessen. Fahrer und gegebenenfalls Beifahrer saßen direkt über der Hinterachse auf dünn gepolsterten Schalensitzen. Armaturen beschränkten sich auf das Nötigste.
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