Er war kein Sportwagen, kein Designwunder und schon gar kein Prestigeobjekt – und doch prägte der Fiat Familiare über Jahrzehnte das Straßenbild Südeuropas. Als praktischer Ableger verschiedener Fiat-Baureihen stand er für robuste Technik, maximales Ladevolumen und die Mobilität ganzer Familiengenerationen. Bis auf diesen hier: Als Einzelstück für Fiat-Chef Gianni Agnelli gebaut, ist dieser Edel-Kombi auf Fiat 130 Basis ein exklusiver Luxus-Transporter, der im Wintersportort St. Moritz für Aufsehen sorgte.

Anfang der 1970er-Jahre war das Kombisegment in Europa noch weitgehend der Mittelklasse vorbehalten – luxuriöse Fünftürer mit großzügigem Ladevolumen galten als Marktnische. Auch Fiat hatte bei der Einführung seines Oberklassemodells 130 keinen Kombi im Programm. Dabei war das Fahrzeug durchaus auf Komfort und Repräsentation ausgelegt: Die 130 Berlina bot bei vergleichsweise kompakten Abmessungen (475 cm Länge, 181 cm Breite, 144 cm Höhe) ein geräumiges Interieur und eine überdurchschnittliche Ausstattung.
Serienmäßig kamen Einzelradaufhängung an Vorder- und Hinterachse sowie eine Servolenkung zum Einsatz – für damalige Verhältnisse alles andere als selbstverständlich. Käufer konnten zwischen einer Dreigang-Automatik von Borg Warner oder einem Fünfgang-Schaltgetriebe wählen. Der Einstiegspreis lag bei 18.900 D-Mark – ein Statement in Fiats Modellpalette. Doch wer mehr Stauraum brauchte, musste auf externe Lösungen setzen: Spezialkarosserien füllten die Lücke, insbesondere für Kunden mit gehobenen Ansprüchen wie Konzernchef Gianni Agnelli selbst.
Der V6: Fiats Oberklasse bekommt den passenden Motor
Das Sahnestück der selbsttragenden und rund 1,6 Tonnen schweren Limousine war ein neu entwickelter V6 mit zunächst 2866 Kubik und 140 PS, welche bald auf 160 PS anwuchsen. Zwei obenliegende Nockenwellen, eine vierfach gelagerte Kurbelwelle und Doppel-Fallstromvergaser von Weber charakterisierten den modernen Motor, der längs eingebaut war und natürlich die Hinterräder antrieb. Die Schweizer “Automobil Revue” konnte zwei frühe Modelle (140 PS) in Automatik- und Handschaltausführung vergleichen. Während die Automatik-Variante 13 Sekunden für den 0-100-km/h-Sprint benötigte, schaffte es die handgeschaltete Version in 10,5 Sekunden. Bei der Spitzengeschwindigkeit unterschieden sich beide mit 181 und 182 km/h nur wenig. Gleiches galt für die Verbräuche, die zwischen 11,8 und 21,6 Litern pro 100 km lagen.
Reinhard Seiffert lobte in »auto motor und sport« die kompakte und geräumige Karosserie, die sehr gute Handlichkeit, die sicheren Fahreigenschaften und die gute Ausstattung, bekundete aber etwas Mühe mit der trägen Automatik und dem im unteren Drehzahlbereich unelastischen Motor. Auch beim Design hätte er sich offenbar eine aufregendere Ausgestaltung vorstellen können, der 130 sähe wie ein zu groß geratener Kleinwagen mit überladener Kühlergrillpracht aus. Das Resümee aber war positiv: „Die Handlichkeit muss ebenso wie die Übersichtlichkeit zu den speziellen Vorzügen des 130 gezählt werden: Er ist ein Fahrer-Auto, ohne dass die Mitfahrer deshalb vernachlässigt werden. So viel Komfort hat es bisher noch in keinem Fiat gegeben, und trotzdem hat der 130 den für Fiat typischen fahrfreudigen Charakter.“

Das Coupé schwankte zwischen einer innovativen Designstudie und Serienrealität
Zum Genfer Autosalon 1971 wurde der Prototyp des von Pininfarina gestalteten Coupés präsentiert. Dieses hatte den auf 3238 cm3 vergrößerten V6 unter der Haube, dem man nun 165 PS attestierte. Wenige Monate später war dieser stärkere Sechszylinder dann ebenso für die Limousine verfügbar. Auch die Automatik wurde abgelöst, es blieb aber bei drei Stufen und dem Zulieferer Borg-Warner. Bis 1976 wurden rund 15.000 Limousinen gebaut, ein Volumen, das die weit unter den Erwartungen lag. Auch das Coupé blieb mit etwa 4500 Exemplare bis 1977 eine Randerscheinung.
Ein Fiat Familiare entsteht abseits der Großserie
Neben der Limousine zeichnete das interne Fiat Centro Stile einen Kombi. Man ließ den Karosseriebauer „Officine Introzzi“ einen Prototyp bauen, dem zwei oder drei Exemplare folgten, die sich alle in Details unterschieden. Giuseppe Introzzi war ein gelernter Karosseriebauer, der sein Geld hauptsächlich mit Umbauten von Fiat-Modellen verdiente, aber auch Panzerungen einbaute und Nutzfahrzeuge fertigte. Mit normalen Personenwagen beschäftigte sich Officine Introzzi eher weniger, die Kombis, die man nach Fiat-Tradition „Familiare“ nannte, waren genauso eine Ausnahme wie die späteren Fiat-Ritmo-Sondermodelle mit Vinyldach. Die Firma überlebte den Tod ihres Gründers im Jahr 1995 nicht. Von den vermutlich vier gebauten Exemplaren sind drei noch vorhanden.
An den Flanken montierte man unechte Holzfurniere, wie man sie auch bei amerikanischen Kombis („Woodies“) vorfand. Ein Dachträger erhielt einen Korbaufbau, in dem Gianni Agnelli seine Skier und andere Utensilien transportieren konnte.
Insgesamt werden vier Kombis für die Familie Agnelli und Freunde gebaut

Agnelli nutzte den Wagen vor allem in St. Moritz, wo er oft anzutreffen war. Um seine Leibwächter, die ihm folgten, bei Bremsmanövern zu warnen, verfügte Agnellis Kombi, der mit 3,2-Liter-Motor und Automatik ausgerüstet war, über eine zusätzliche Bremsleuchte. Ein zweiter Kombi wurde für Umberto Agnelli, Giannis Bruder, gebaut. Dieses Modell erhielt eine beige Lackierung mit bronzefarbenem Dach und wurde unter anderem 2019 auf der Bremen Classic Motorshow gezeigt. Ein drittes Auto schenkte Agnelli Guido Nicola von Aramengo, einem befreundeten Kunstrestaurierer. Dieser Wagen wies ein Dach in Rotmetallic auf. Der vierte und verschollene Wagen soll ein grünmetallisiertes Dach gehabt haben.
Agnelli nutzte den Wagen vor allem in St. Moritz, wo er oft anzutreffen war. Um seine Leibwächter, die ihm folgten, bei Bremsmanövern zu warnen, verfügte Agnellis Kombi, der mit 3,2-Liter-Motor und Automatik ausgerüstet war, über eine zusätzliche Bremsleuchte. Ein zweiter Kombi wurde für Umberto Agnelli, Giannis Bruder, gebaut. Dieses Modell erhielt eine beige Lackierung mit bronzefarbenem Dach und wurde unter anderem 2019 auf der Bremen Classic Motorshow gezeigt. Ein drittes Auto schenkte Agnelli Guido Nicola von Aramengo, einem befreundeten Kunstrestaurierer. Dieser Wagen wies ein Dach in Rotmetallic auf. Der vierte und verschollene Wagen soll ein grünmetallisiertes Dach gehabt haben.
Der silberne Agnelli 130 Familiare, der die letzten Jahre Teil der Sammlung von Corrado Lopresto war, wurde von RM/Sotheby’s zusammen mit einem besonderen Fiat Panda und Lancia Thema Familare Zagato im April 2025 online versteigert. Der Schätzpreis lag zwischen 170.000 und 300.000 Euro. Der Zuschlagpreis wurde nicht bekannt gegeben.






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10 spannende Fakten rund um den Fiat Familiare
- Der Fiat 130 war das erste Fiat-Modell mit Zahnriemenantrieb für die Nockenwellen – ein damals noch ungewöhnlicher Konstruktionsansatz in dieser Klasse.
- Ein serienmäßiger Drehzahlmesser war im 130 bereits in den frühen Siebzigern Standard, was selbst bei deutschen Oberklassemodellen noch nicht durchgängig üblich war.
- Das Fiat 130 Coupé verfügte ab Werk über elektrisch verstellbare Vordersitze – ein Novum in der Fiat-Modellpalette.
- Das 130 Coupé wurde ausschließlich bei Pininfarina in Cambiano gefertigt, Fiat selbst übernahm nur die Technikzulieferung.
- Alle 130-Modelle hatten serienmäßig eine Halogen-Fernlichtanlage – damals ebenfalls ein Fortschritt gegenüber vielen Wettbewerbern.
- Für die Introzzi-Kombis wurde der hintere Aufbau jeweils vollständig per Hand angepasst, keine Karosserieteile waren untereinander austauschbar.
- Das originale Fiat-Werkstatthandbuch zum 130 umfasste über 800 Seiten – ein Rekordwert für einen Fiat dieser Ära.
- Der Fiat 130 war eines der wenigen Fiat-Modelle mit optionaler Klimaanlage ab Werk, was in Südeuropa nur langsam Verbreitung fand.
- Ein 130 Familiare war zeitweise Teil der Filmrequisite bei Dreharbeiten in Cinecittà, wurde dort aber stark verändert und ist verschollen.
- Die Karosserie des 130 wurde in Zusammenarbeit mit dem italienischen Luftfahrtunternehmen Aeritalia aerodynamisch optimiert.
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