Tombs Special, rückseitig aufgenommen
Klassiker

Der Timbs Special ist wieder da!

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OCTANE#09

 

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 Text Ken Gross // Fotos Peter Harholdt

DER TIMBS SPECIAL LÖSTE IN DEN 1940ER-JAHREN WAHRE BEGEISTERUNGSSTÜRME AUS UND VERSCHWAND ANSCHLIESSEND IN DER VERSENKUNG. JETZT KANN ER WIEDER BEWUNDERT WERDEN.

Beim Concours d’Élégance in Pebble Beach tauchte 2012 ein Auto auf, das fast niemand mehr erkannte. Lang und luxuriös wie eine Yacht, windschlüpfrig, mit Heckantrieb, atemberaubend. Sehr sinnlich. Der wie aus einer Fantasiewelt auftauchende Roadster ist über 62 Jahre alt. Ein Einzelstück, entworfen von Norman Timbs in Kalifornien – wo sonst? – zu einer Zeit, in die einzutauchen sich lohnt.

Im Februar 1942 wurde in Amerika die Produktion von Pkw für den Privatgebrauch eingestellt. Nach dem Ende des Krieges herrschte eine immense Nachfrage nach neuen Autos. Da es noch nicht viele neue aufregende Modelle gab, begannen Bastler im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, Vorkriegsautos umzubauen und zu modernisieren.

Cockpit des Timbs Special
Die Innenausstattung könnte aus einem luxuriösen Speedboot stammen. Drei Jahre dauerte der Bau des Roadsters und verschlang stattliche 10.000 Dollar.

Zugeschaut, mitgebaut: Wie das ging, erfuhr man im bereits 1944 veröffentlichten Blue Book of Custom Restyling, später auch in Sonderausgaben von Fawcett Publications, und als das Zeitschriftenimperium von Robert E. Petersen abhob, berichteten Hot Rod, Car Craft, Rod & Custom und Motor Trend über die aufkeimende Eigenbau-Szene.

IRGENDWANN NERVTE ES TIMBS, DASS JEDER DEN WAGEN ANSTARRTE – ER KONNTE NIRGENDWO HINFAHREN, OHNE AUFMERKSAMKEIT ZU ERREGEN

Einige talentierte Typen montierten ihre Autos von Grund auf, gewöhnlich (aber nicht immer), indem sie bestehende Rahmen modifizierten und Serienmotoren einbauten. Sie konstruierten ein Auto nach ihrem Geschmack und für ihren Gebrauch, und wenn es auffällig genug war, erschien ein Bericht darüber in einem der einschlägigen Magazine. Der Autor des Blue Books nannte diese Fahrzeuge »Sport Customs«.

Die Bezeichnung Sport ist jedoch irre führend, denn bei diesen Sonderanfertigungen handelte es sich in der Regel um schwere Straßenkreuzer mit weichen Federn und Motoren, die nur in den seltensten Fällen getuned waren. Fast jeder Eigenbau wurde in irgendwelchen Hinterhöfen aus simplen Teilen zusammengeschraubt. Schon in der Hinsicht nimmt der Roadster von Norman Timbs eine Ausnahmestellung ein. Timbs’ radikaler Roadster zierte im Oktober 1949 die Titelseite der zweiten Ausgabe von Motor Trend.

Timbs Roadster frontal
Ein Ufo? Auch heute noch, viele Jahrezehnte später, muss man diesen Wagen einfach anstarren. Genau diese Aufmerksamkeit hat Norman Timbs irgendwann derart gestört, dass er den Special loswerden wollte.

Mit der fließenden Linie und den eleganten Rundungen verkörperte er das Gegenteil des amerikanischen Zeitgeists. Zu den Ausstattungsmerkmalen gehörten unter anderem nach innen gewölbte Kotflügelenden und ein ausgeschnittenes Cockpit ohne Türen. Die futuristische Erscheinung des Timbs Special genügte, um alle schwer zu beeindrucken.

Der Motor ist nahezu mittig auf dem Chassis montiert, dahinter befinden sich der Tank und das Reserverad. Der Innenraum des Timbs könnte aus einem luxuriösen Speedboot stammen. Der Drehzahlmesser im Stewart-Warner-Instrumentenbrett reicht bis 5000 U/min. Die Cockpit-Innenwände, die Armaturenbretteinfassung und die Sitze sind mit hellbraunem Leder bezogen. Ein Dach gibt es nicht. Die komplette Front des Roadsters besteht aus einem einzigen Stück geschwungenen Metalls mit einem verchromten Kühlergrill, der an den des Cisitalia erinnert. Das Auto sieht aus, als wäre es in einer einzigen Form gegossen worden – auch von unten.

ALS DIE MEISTEN SERIENAUTOS NOCH SEHR HOCH UND EHER KASTENFÖRMIG WAREN, MUSS DIESES GEFÄHRT WIE EIN WELTRAUMFAHRZEUG ANGEMUTET HABEN

Drei Jahre hatte der Bau des Wagens in Anspruch genommen und 10.000 Dollar verschlungen. Seine Länge betrug 5,3 Meter bei einem Radstand von 2,97 Metern und einer Spur von 1,42 Metern. Sein Gewicht: 1134 Kilogramm. Der Roadster wurde auf diversen Ausstellungen bewundert. Norman Timbs jun. erinnert sich, wie stolz sein Vater darauf war.

»Er hatte sogar ein ausführliches Skizzenbuch erstellt, aber der Wagen war so futuristisch, dass man nirgendwo hinfahren konnte, ohne dass jeder stehen blieb und ihn anstarrte. Das geschah dauernd und irgendwann hatte er die Nase voll davon.« Also entschloss er, seine Kreation zu verkaufen. Im Februar 1950 inserierte er das Auto für 7500 Dollar in der Zeitschrift Road & Track . 1952 kaufte ein Airforce-Pilot das Auto. 

Blick auf Motor, Tank und Reserverad des Timbs Special
Der Motor ist nahezu mittig auf dem Chassis montiert, dahinter befinden sich der Tank und das Reserverad.

Auf den Fotos eines Artikels in Motor Life ist zwei Jahre später zu erkennen, dass er umlackiert worden war. Dem Bericht zufolge wurde die Aluminiumkarosserie in Einzelteilen auf einem Holzbock von Hand gedengelt und zusammengeschweißt – und zwar von keinem Geringeren als Emil Deidt. Timbs jun. glaubt, sie sei von der Firma California Coachworks angefertigt worden, wo der Rennwagenkonstrukteur Deidt eine Zeitlang beschäftigt war.

»Die Leistung ist fast genauso gut wie das Aussehen«, war in Motor Life zu lesen. Der Motor sei »auf etwa 200 PS hochgetunt worden, ein Topspeed von 190 km/h kein Problem. « Danach kam der Special viel rum: Er tauchte in der Science-Fiction-Serie Buck Rogers auf, parkte jahrelang in einem Restaurant in Kalifornien, verschwand dann im Antelope Valley in der Wüste, wo ihn der Ausstatter eines Filmstudios entdeckte und erwarb. Damit wären wir in diesem Jahrhundert angekommen – und der Special im Petersen Automotive Museum in L.A.

Nach Jahren in der Wüste, den Elementen ausgesetzt, befand er sich in keinem guten Zustand. Gary Cerveny erwarb den Roadster und beschloss, diesen restaurieren zu lassen. Der Auto-Sammler Roger Morrison empfahl schließlich, den Wagen zur Restaurierung an die Firma Custom Auto in Colorado zu übergeben. Dave Crouse von Custom Auto hat schon so manchen historisch bedeutenden Hotrod restauriert, aber die Aufbereitung des Timbs Special war kein einfaches Unterfangen.

»Es war ein Mörderjob, das Auto ist ein Monster«, so Crouse. Die Arbeit von Crouse & Co. War keine leichte. »Nachdem wir die Form korrigiert hatten, machten wir uns an die Oberfläche – und das zog sich hin! Um eine gleichmäßige Trennfuge hinzubekommen, mussten wir das Heck endlos oft abnehmen. Sonst kommt man nicht überall ran. Deshalb haben wir ein Gerüst gebaut. Manchmal muss man sich halt was Neues einfallen lassen.«

DIE RESTAURIREUNG WAR UNGLAUBLICH AUFWÄNDIG – UND DAS IST NOCH UNTERTRIEBEN. ZUM GLÜCK KONNTE NORMAN TIMBS AUSFÜHRLICHES SKIZZENBUCH HELFEN

Einen ebenso hohen Arbeitsaufwand erforderte die Lackierung. »Wir hatten ein kleines Stück Original-Lack von einem Kart, das Timbs für seine Neffen gebaut hatte«, erzählt Crouse. »Damit ging Gary Cerveny zu einer bekannten Hotrod-Lackiererei, die dann mit verschiedenen Farbtönen experimentierte und schließlich die korrekte Farbe mit dem richtigen Anteil Goldpartikeln mischte.« Andere Aufgaben erforderten regelrechte Detektivarbeit. Norman Timbs jun., in dessen Büro ein gerahmtes Titelblatt von Motor Trend hängt, hatte lange nach dem Auto gesucht. Als er es fand, konnte er es aber nicht kaufen.

»Der Typ, der es damals besaß, war ein bisschen größenwahnsinnig. Ich bin sehr froh, dass das Auto nun von jemandem restauriert wurde, der die Mittel dafür hatte. Zum Glück hatte mein Vater sein Notizbuch aufgehoben, sodass die Restaurateure Anhaltspunkte hatten.« Der lange verschollene Timbs Special gewann beim Amelia Island Concours d’Élégance im März 2010 einen Firmenpreis und erhielt anschließend eine Einladung nach Pebble Beach.

Das Publikum umschwärmte den Timbs Special den ganzen Tag lang, während gleichzeitig Gary Cerveny – mit freundlicher Unterstützung seiner Frau Diane – wieder und wieder die Geschichte ihres Autos erzählten. Mit Ehrungen an beiden Küsten der Staaten ist der Timbs Special eine Hommage sowohl an die Visionskraft seines Schöpfers als auch die handwerkliche Fertigkeit seiner Restaurateure.


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