Dezente technische Modifikationen machen aus diesem Kurz-Chassis-Bentley – gebaut im Stil von Woolf Barnatos persönlichem Roadster – einen hervorragenden Langstrecken-Reisewagen.
Ein Vintage-Bentley ist nicht einfach zu fahren. Jeder einzelne hat seine Marotten, und sogar die Spezialisten, die tagein tagaus an ihnen arbeiten, räumen ein, dass das Getriebe eine Herausforderung sein kann. Was natürlich – bis zu einem gewissen Grad – zum Charme des Wagens gehört.
Was aber auch der Grund ist, warum Bentley-Experte Tim Cresswell von VBE Restorations in der englischen Grafschaft Warwickshire beschloss, für sich selbst einen Vintage-Bentley zu bauen, der auf langen Fahrten etwas freundlicher zum Fahrer ist. Lange Fahrten wie die Colorado Grand Classic Rally in den USA oder die Rallye Peking-Paris. Es sollte ein Auto werden, das auch Firmengründer Walter Owen Bentley in allen wichtigen Punkten anerkannt hätte – lediglich mit einigen leichten Modifikationen zur Verbesserung der Fahreigenschaften wie beispielsweise ein 5,3-Liter-Motor und ein Getriebe mit Overdrive. Oh, und ein einzigartiges, bootähnliches Heck auf der Basis der einstigen Sonderanfertigung für »Bentley Boy« Woolf Barnato.
Der Wagen, der Cresswell inspirierte, war ein aufgeladener 4,5-Liter-Bentley, Chassisnummer 3909, der von Gurney Nutting karossiert und im Juli 1930 an Barnato ausgeliefert worden war. Für einen Bentley der Vintage-Ära sah er ungewöhnlich schnittig aus. Er hatte tief heruntergezogene Schürzen, die das Fahrgestell verhüllten und – wie die Seitenbleche der Motorhaube – mit schrägen Lüftungsschlitzen gespickt waren. Auffallend auch die rasant geschwungenen Schutzbleche der Hinterrädern.
»Er ist so einzigartig, so exotisch«, begeistert sich Cresswell über das Barnato-Auto. »Aber ich wollte nicht einfach nur eine Replika bauen – und ich konnte es auch nicht, denn das Fahrgestell, das ich hatte, stammte von einem 3-Liter-Bentley mit einem Radstand von 298 Zentimetern, während das Barnato-Auto den Radstand eines Bentley Blower hatte, nämlich 330 Zentimeter.«
Der von Cresswell als Ausgangsbasis benutzte 3-Liter-Bentley war altersschwach genug, um ohne allzu große Aufregung in Bentley-Kreisen verändert werden zu können. »Ursprünglich wollte ich ihn mit einer serienmäßigen Vanden-Plas-Touringkarosserie wiederaufbauen, aber ich bekam immer mehr Interesse daran, etwas Besonderes zu erschaffen, und das brachte mich zum Barnato-Auto. Da das Fahrgestell etwas kürzer war, wollte ich nicht, dass die Karosserie zu plump aussieht. Ich sprach einen befreundeten Designer an, der meinen Vater von Jaguar gekannt hatte. Wir haben zusammen am Design gearbeitet und ich finde, dass das Auto sogar noch besser aussieht als das Barnato-Original.«
So wie »Petronella« vor der VBE-Werkstatt vor sich hinblubbert und sich warmläuft, sieht sie echt gut aus. Aber warum Petronella? »Das war der Name meiner Großmutter väterlicherseits«, erklärt Cresswell. »Sie war Schauspielerin und nahm in den 1920ern mit Bugatti und ähnlichen Autos an Strandrennen teil. Petronella war ihr Künstlername und mein Vater wollte immer ein Auto nach ihr benennen. Als er 2017 starb, schien es für mich der richtige Schritt.«
Cresswell und sein Freund bewiesen bei der Neugestaltung der Karosserie ein gutes Händchen. Der Notsitz, den der Barnato am Heck hatte, war wegen des kürzeren Radstands keine Option. Es entstand ein kompakter und leistungsstark aussehender Roadster, der zweifelsohne zu den attraktivsten Bentley-Versionen gehört, die je gebaut wurden.
»Als spätes Exemplar eines Vintage-Bentley sah der Barnato-Roadster stark nach Art Deco aus«, sagt Cresswell. »Wir haben diesen Look dadurch aufgepeppt, dass wir die Spitzen der hinteren Schutzbleche noch dramatischer gestaltet, die Kotflügel näher an die Räder herangerückt und die Motorhaube so niedrig wie möglich gemacht haben. Um das zu erreichen, haben wir die komplette Karosserie per CAD am Computer entworfen. So konnten wir genau sehen, wie das Auto später aussehen würde, bevor es ans Metallformen ging.«
Text Mark Dixon / Fotos Tim Andrew / Bearbeitung Christel Flexney
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Diese Story finden Sie in OCTANE Ausgabe 44