Der Mercedes 2-Liter Targa Florio war 1924 Teil des siegreichen Werksteams der Daimler-Motoren-Gesellschaft. Gebaut für die Strapazen des berühmtesten Straßenrennens seiner Zeit, kämpfte er sich über enge Serpentinen, staubige Bergstraßen und glühenden Asphalt. Hundert Jahre später rollt derselbe Wagen erneut durch Sizilien – nicht mehr auf der Jagd nach Sekunden, sondern als rollendes Denkmal einer Ära, in der Mut und Technik über Sieg oder Niederlage entschieden. Und ja: Auch damals schon spielte das kräftige Rot eine besondere Rolle.

1924 trat Mercedes mit drei auffällig rot lackierten Rennwagen zur legendären Targa Florio auf Sizilien an – ein ungewohnter Anblick, denn deutsche Rennfahrzeuge fuhren damals traditionell in Weiß. Die mutige Farbwahl sollte ein Vorbote des Erfolgs sein: Christian Werner gewann das anspruchsvolle Straßenrennen als erster Nicht-Italiener überhaupt und holte auch die Coppa Florio für die fünfte Extrarunde. Damit sicherte sich Mercedes neben dem Einzelsieg auch die »Coppa Termini« für das beste Werksteam.
Einer der drei eingesetzten Zweiliter-Wagen wurde von Christian Lautenschlager pilotiert, der das Rennen auf dem zehnten Platz beendete. Dieses Fahrzeug existiert noch heute und befindet sich seit 1937 im Besitz von Mercedes-Benz. Nach Jahrzehnten im Museum wurde es 2023 von Mercedes-Benz Classic aufwendig restauriert – pünktlich zum 100. Jubiläum der Targa Florio.
Die Targa-Florio-Strecke von 1924 ist bis heute legendär. Sie beginnt im Ort Caltavuturo und führt über Polizzi Generosa, Collesano und Campofelice nach Cerda – Orte, die in der Geschichte des Motorsports einen festen Platz haben. Die kurvenreichen Straßen, die karge Landschaft, die wechselnden Höhenprofile – vieles ist noch so, wie es vor rund 100 Jahren war. Damals führte der Kurs fast ausschließlich über unbefestigte Wege, heute ist er weitgehend asphaltiert. Doch die Atmosphäre ist geblieben: rau, fordernd und eindrucksvoll.
Im Cockpit des Mercedes Benz Targa Floria
Das Cockpit des Mercedes Zweiliter Targa Florio ist eng und auf das Nötigste reduziert. Fahrer und Beifahrer – traditionell der Mechaniker – sitzen leicht versetzt nebeneinander, das große Vierspeichenlenkrad und der Schalthebel befinden sich rechts. Türen gibt es nicht: Der Einstieg erfolgt über die hintere Blattfeder direkt in den Sitz.
Auffällig ist die Pedalanordnung mit dem Gaspedal in der Mitte und der Bremse rechts daneben, getrennt durch die Lenksäule. Die Handbremse sitzt außen und ist im Fahrbetrieb wichtig. Der Motor wird per Kurbel gestartet, Regler am Lenkrad steuern Gemisch und Leerlauf. Nach wenigen Kurbelumdrehungen erwacht der Vierzylinder mit dumpfem Klang.
Die Konuskupplung verlangt Feingefühl – zu langsames Einkuppeln führt zu Überhitzung. Das offene Getriebe mit H-Schaltung funktioniert nach kurzer Eingewöhnung erstaunlich präzise, insbesondere mit Zwischengas. Die Lenkung reagiert direkt, das Fahrzeug wirkt dynamisch und stabil. Die Fußbremse ist schwach, die Handbremse unterstützt deutlich spürbar.
Auch ohne Kompressor bietet der Motor genug Drehmoment für steile Passagen. Die Übersetzung begrenzte die Höchstgeschwindigkeit auf rund 120 km/h – ein bewusstes Setup für enge Kurven und wechselndes Terrain.

Eine Strecke voller Legenden und Gefahren
Die Madonie-Rennstrecke galt 1924 zu Recht als „reifenmordend“: Über 1.500 Kurven, lose Schotterwege und Hindernisse wie Eselskarren oder freilaufende Tiere machten die Targa Florio zu einem der gefährlichsten Rennen der Welt. Bei über 100 km/h auf kaum befestigten Straßen kämpften Fahrer mit Hitze, Staub und unberechenbaren Situationen – manche gaben wegen Hitzschlags auf.
Ein besonderer Ort entlang der Strecke ist Collesano. Dort befindet sich das offizielle Targa-Florio-Museum in der Via Vincenzo Florio, gegründet von einem Busfahrer, der einst Rennlegenden beförderte. Noch heute finden sich rund um Collesano und Cerda Spuren dieser Zeit – bemalte Mauern, bekannte Ortsnamen und Erinnerungen an eine Ära, in der Mut wichtiger war als Technik.
Technik-Pionier der frühen 1920er-Jahre
Bereits 1922 setzte die Daimler-Motoren-Gesellschaft erste aufgeladene Motoren bei der Targa Florio ein – mit innovativer Technik, aber noch ohne Rennerfolg. Zum Einsatz kam ein Vierzylinder mit Roots-Kompressor, zwei obenliegenden Nockenwellen, Vierventiltechnik und zentraler Zündkerze – für die Zeit ein Meilenstein.
Der spätere Zweiliter-Motor leistete bis zu 150 PS und setzte auf Querstromprinzip, mit Quecksilber gekühlten Auslassventilen und erstmals verschweißtem Zylinderkopf. Das nur 3,80 Meter lange und 921 Kilo leichte Fahrzeug war das kompakteste im Starterfeld 1924. Fahrwerk, Übersetzung und Windschutzscheibe wurden speziell an die rauen Bedingungen Siziliens angepasst – eine gelungene Verbindung aus Leichtbau und technischer Finesse.
Historischer Triumph auf Sizilien: Mercedes dominiert die Targa Florio 1924

Bemerkenswert war schon die Anreise: Die für die Targa Florio aufgebauten Mercedes-Rennwagen wurden auf eigener Achse von Stuttgart bis nach Genua gefahren, wo sie per Schiff nach Sizilien überführt wurden. Drei der vier Fahrzeuge gingen letztlich an den Start. Trotz der Strapazen auf der Strecke konnte Mercedes die Targa Florio und die parallel gewertete Coppa Florio für sich entscheiden. Der siegreiche Zweiliter-Kompressorwagen setzte sich mit deutlichem Vorsprung gegen die Konkurrenz von Alfa Romeo und Fiat durch. Im Ziel lagen über acht Minuten zwischen ihm und dem nächstplatzierten Fahrzeug. Am Ende hatten nur 21 von 37 gestarteten Teilnehmern die Ziellinie gesehen – eine Runde später bei der Coppa Florio waren es sogar nur noch 16. Die Durchschnittsgeschwindigkeit auf der anspruchsvollen, kurvenreichen Strecke betrug knapp 66 km/h, der Rundenrekord lag bei über 68 km/h – bemerkenswerte Werte für das Jahr 1924. Der Triumph in Sizilien markierte einen Meilenstein für den frühen deutschen Motorsport und unterstrich das technische Niveau der aufgeladenen Mercedes-Rennwagen jener Zeit.
Warum Rot? Die Farbe des Sieges und ihre forensische Rekonstruktion
Die rote Lackierung der Mercedes-Rennwagen von 1924 war weit mehr als ein optisches Stilmittel – sie war eine taktische Maßnahme. Bereits 1922 hatte Graf Giulio Masetti seinen Mercedes bewusst in der italienischen Rennfarbe lackieren lassen, um sich den Respekt – oder zumindest das Wohlwollen – der sizilianischen Tifosi zu sichern. Zwei Jahre später griff die Daimler-Motoren-Gesellschaft diese Idee auf: Die Werksteam-Wagen erschienen rot lackiert an der Startlinie der Targa Florio. Der Plan ging auf – erst nach dem Rennen merkten viele Zuschauer, dass kein Alfa oder Fiat, sondern ein deutscher Wagen gesiegt hatte. Um den exakten Farbton ein Jahrhundert später rekonstruieren zu können, war kriminalistische Detailarbeit gefragt. Restauratorin Dr. Gundula Tutt fand an versteckten Stellen winzige Lackreste, die unter dem Mikroskop analysiert wurden. So konnte der authentische Rotton mit seiner originalen Pigmentstruktur identifiziert und für die Restaurierung verwendet werden – ein Stück Farbgeschichte, das den Geist von 1924 wieder aufleben lässt.
Die unterschätzte Taktik hinter dem historischen Sieg
Der Triumph von Mercedes bei der Targa Florio 1924 war kein Zufall – er war das Ergebnis akribischer Vorbereitung. Bereits Monate vor dem Rennen reiste Einsatzleiter Max Sailer nach Sizilien, um die Madonie-Strecke bis ins Detail zu analysieren. Diese Voraussicht zahlte sich aus: Durch optimierte Abläufe konnte die Standzeit beim Nachtanken und Reifenwechsel um ganze 30 Sekunden auf nur noch zweieinhalb Minuten verkürzt werden – ein entscheidender Vorteil. Auch heute noch ist die Perfektion an der Box ein Markenzeichen von Mercedes, ob historisch oder in der Formel 1. Der restaurierte Zweiliter-Rennwagen, der einst Geschichte schrieb, hat inzwischen zahlreiche Stationen rund um den Globus hinter sich – von Solitude über Pebble Beach bis zurück auf die Targa Florio. Nun hat er wieder seinen Platz im Mercedes-Museum eingenommen – als Symbol für Technik, Präzision und Rennsportgeschichte.






Das ganze Portrait über den Mercedes Targa lesen Sie in OCTANE #77
10 spannende Fakten über den Mercedes Targa 2-Liter
- Der Zweiliter-Rennwagen war das erste Projekt von Ferdinand Porsche nach seinem Wechsel von Austro-Daimler zur Daimler-Motoren-Gesellschaft.
- Innovative Ventilkühlung: Die Auslassventile waren hohlgebohrt und mit Quecksilber gefüllt – zur besseren Ableitung der Hitze und damit für höhere Standfestigkeit bei langen Rennen.
- Verschweißter Zylinderkopf und Zylinder: Um Dichtungsprobleme zu vermeiden, wurden Zylinderkopf und Zylinder erstmals verschweißt.
- Maximale Drehzahl: Der Motor konnte kurzzeitig bis zu 4800 U/min erreichen, wobei ab 5000 U/min Pleuelschäden drohten.
- Kompakte Maße bei hoher Agilität: Mit 3,80 Metern Länge, einem Radstand von 2.650 mm und nur 921 kg Leergewicht galt das Fahrzeug als das wendigste im Starterfeld.
- Angepasste Karosserie für den Renneinsatz: Der Wagen erhielt eine schmale Windschutzscheibe und Halterungen für zwei Reservereifen – notwendig wegen der oft beschädigten Reifen auf Schotterpisten.
- Neuer Rundenrekord trotz widriger Bedingungen: Mit durchschnittlich 68,2 km/h stellte Christian Werner einen Rundenrekord auf – trotz Schotter, Hitze und unübersichtlicher Streckenführung.
- Erfolgreiche Folgeeinsätze: Nach dem Sieg bei der Targa Florio erzielten die Fahrzeuge weitere Erfolge bei Bergrennen wie dem Solitude- und dem Klausenpass-Rennen.
- Leichtbauweise: Das Fahrzeug wog nur 921 kg trocken und 1015 kg mit Betriebsstoffen, was für die damalige Zeit sehr leicht war.
- Heute Ausstellungsstück im Mercedes-Benz Museum: Nach zahlreichen Einsätzen bei historischen Events steht der Wagen heute dauerhaft im Mercedes-Benz Museum in Stuttgart – in der Ausstellung „Rennkurve“.
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