Klassiker

Weniger ist mehr!

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Ein kleineres, leichteres Straßenauto mit halb so vielen Zylindern: Der Dino GT war für Ferrari revolutionär. Andrew Frankel vergleicht den älteren 206 mit seinem Nachfolger 246.

Selbst Ferrari, das nach meiner voreigenommen Meinung mehr schöne Autos gebaut hat als jeder andere Hersteller, macht nur selten alles richtig. Mehr als ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit der Dino 206 GT und der Dino 246 GT auf den Markt kamen, und sie sind bis heute die einzigen rein straßentauglichen Ferrari, denen – egal, von jedem Blickwinkel aus – kein Makel anhaftet.

Unser Ziel für diese Geschichte, diese beiden unzweifelhaft wunderschönen Autos zu fahren und zu vergleichen, wurde durch die Tatsache erschwert, dass nur 153 Exemplare des 206 gebaut wurden. Es ist nicht leicht, einen Wagen in repräsentativem Zustand zu finden, selbst wenn man die Suche auf das europäische Festland ausdehnt, wo wir einige Zeit gesucht haben – bis wir ihn fast vor unserer Nase fanden.

Mit dem Dino wagte sich Ferrari in ein neues Segment und erstmals auf einen Sechszylinder. Deshalb wurde das Modell auch nicht als Ferrari angeboten.

Als ich bei dem Ferrari-Spezialisten Barkaways in Kent ankam, um das Auto in Augenschein zu nehmen, dachte ich, ich wüsste, wie sich der 206 vom 246 unterscheidet, der aus ihm hervorging: Aluminium- statt Stahlkarosserie; 2-Liter-Aluminium-Motorblock mit Zylinderbuchsen aus Stahl anstelle von 2,4 Litern Gusseisen; freiliegender Tankdeckel; Flügelmuttern statt normaler Radmuttern. Es stellte sich heraus, dass ich fast gar nichts wusste.

Wenn heute ein Hersteller beschließt, einem Produkt ein Mid-Life-Update zu verpassen, ist die Vorgabe immer die gleiche: Es soll so anders wie möglich aussehen, aber so wenig wie möglich verändert werden. Aus diesem Grund werden Elemente wie Stoßfänger, Scheinwerfer und Kühlergrills ständig neu gestaltet. Sie können das Erscheinungsbild eines Fahrzeugs dramatisch verändern, und das zu einem Bruchteil der Kosten einer kompletten Neuentwicklung. In den späten 1960er-Jahren vertrat Ferrari jedoch eine andere Auffassung. Als es an der Zeit war, den 206 in den 246 zu verwandeln, schien die Vorgabe gelautet zu haben: Mal sehen, wie viel man verändern kann, ohne dass es jemandem auffällt.

Vorn Aluminium, hinten Stahl – aber das sind nicht die einzigen Unterschiede zwischen dem Original und dem sehr ähnlichen Nachfolger.

Die Unterschiede sind so zahlreich, dass wir eine Liste erstellt haben, um uns hier nicht zu lange aufzuhalten. Aber nur mal so: Wussten Sie, dass die Autos völlig unterschiedliche Größen haben und dass kein einziges Karosserieteil des einen in den anderen eingebaut werden kann? Der 206 ist kürzer, vor allem im Radstand, und auch niedriger.

Obwohl er der erste straßentaugliche Dino war, ist der 206 nicht das erste Auto, das den Namen von Enzo Ferraris erstem Sohn trug, der an Muskeldystrophie litt und 1956 im Alter von nur 24 Jahren starb. Vor seinem Tod hatten er und Konstrukteur Vittorio Jano Pläne für einen neuen Formel-2-Motor besprochen und das daraus resultierende Aggregat wurde für viele Rennsportwagen adaptiert. Keiner war jedoch so berühmt wie jener Dino 246, mit dem Mike Hawthorn 1958 die Formel-1-Weltmeisterschaft gewann.

Auch wenn es so aussieht – der 206 ist keinen Stundenkilometer langsamer als der 246.

Die ersten Anzeichen eines Dino für die Straße gab es Anfang 1965 und wie immer bei Ferrari steckte dahinter ein Rennprogramm. Der Motor wurde benötigt, um ein weiteres neues F2-Reglement zu erfüllen – welches vorschrieb, dass der Motor auf einem Serientriebwerk zu basieren hatte. Mindestens 500 Einheiten mussten zur Qualifikation gebaut werden. Ferrari konnte nicht annähernd so viele Exemplare herstellen, aber Fiat schon, und so erklärten sich die Turiner bereit, einen Sportwagen namens Fiat Dino zu entwickeln und den neuen Motor dafür zu verwenden. Ein Problem war gelöst. Das nächste war, dass Porsche mit einem neuen Modell namens 911 einen beachtlichen kommerziellen Erfolg feierte, und Enzo Ferrari wollte dem nicht nachstehen. Er hatte nun einen Motor für ein Straßenserienfahrzeug, aber er brauchte noch ein Auto drumherum.

Das erste Konzept wurde von Pininfarina rechtzeitig für den Pariser Autosalon 1965 entworfen und trug die Merkmale des Designs, das wir bis heute lieben: die sinnlichen Formen, die geneigten Säulen, die gerundete Heckscheibe und die in die Türen gestanzten Lufteinlasskanäle. Im folgenden Jahr wurde auf dem Turiner Autosalon das Konzeptauto Dino Berlinetta GT präsentiert, das das spätere äußere Erscheinungsbild des Dino bis auf einige kleine Details exakt wiedergab.

Als 1967 der Serien-206 GT in Turin vorgestellt wurde, lag die größte Veränderung unter der Haut: Der Motor war um 90 Grad gedreht und quer hinter dem Fahrer eingebaut worden, wie es der Lamborghini Miura vorgemacht hatte. Das gestaltete die Arbeit am Motor entsetzlich schwierig, bot aber einen perfekten Schwerpunkt und schaffte, was ebenso wichtig war, Platz für einen überraschend großen Kofferraum.

Fotos Tim Andrew // Bearbeitung Christel Flexney

Lesen Sie in OCTANE #58, welcher Dino die bessere »bella figura« auf der Straße macht.

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