Klassiker

Romeos Giulietta

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Dies ist keine Shakespeare-Romanze: Der italienische Sammler Corrado Lopresto besitzt elf Alfa Romeo Giulietta – und jeder einzelne ist historisch wichtig. Im Gespräch verrät er die Geheimnisse seiner einzigartigen Sammlung.

Nicola Romeo, der italienische Ingenieur, schrieb Geschichte im Jahr 1920, als er der Bezeichnung der Firma, die er einige Jahre zuvor übernommen hatte – Anonima Lombarda Fabbrica Automobili – seinen Nachnamen hinzufügte. Es war die Geburtsstunde der Marke Alfa Romeo. Doch es vergingen mehr als drei Jahrzehnte, bis eine Gruppe von Alfa-Romeo-Technikern in Paris zusammenkam – manche sagen, es sei in einem Bistro mit einem Livemusiker gewesen, andere meinen sich zu erinnern, auf einer Party mit einem russischen Dichter gewesen zu sein – und feststellte: »So viele Romeos, aber keine einzige Giulietta.« Doch ein Jahr später kam eine Julia in die Mailänder Geschichtsbücher: Auf dem Turiner Autosalon debütierte im April 1954 der Alfa Romeo Giulietta Sprint.

Gegen alle Gewohnheit war die erste Version keine Limousine, sondern ein Coupé – entworfen von Franco Scaglione und hergestellt im Bertone-Werk in Grugliasco. Die Limousine, die später das Rückgrat der Modellreihe werden sollte, kam ein Jahr später heraus, wobei sich die Markteinführung aus technischen Gründen verzögerte. Der neue 1,3-Liter-Zweinockenwellenmotor aus Leichtmetall – heute selbst eine Legende – brüllte für eine Limousine etwas zu laut, so dass die Techniker sich bemühen mussten, seinen Charakter etwas abzumildern, der sonst im Coupé sehr geschätzt war.

Eine Galerie, die ihresgleichen sucht. Die raresten und wichtigsten Exemplare der Giuliett erzählen die ganze Modellgeschichte.

Die ursprüngliche Baureihenbezeichnung 750 verweist darauf, dass die Giulietta als reines Stadtauto geplant war, doch der Kontrahent Fiat 600 ließ sie wachsen und einen Platz unterhalb des Alfa 1900 einnehmen. Sie war das Meisterwerk des Ingenieurs Giuseppe Busso unter der Aufsicht von Orazio Satta Puliga und Rudolf Hruska. Und sie entwickelte sich äußerst zukunftsorientiert.

Vom Coupé Sprint und der Limousine über den Spider (von Pinin Farina) ab 1955 und den »Renn«-SZ von Zagato ab 1960, den Sprint Speciale von Bertone ab 1957 und den Giardinetta-Kombi der Carrozzeria Colli. Die komplette Garde der italienischen Tuner und Karosseriebauer wollte die Giulietta veredeln, was zur Folge hatte, dass sie ein Jahrzehnt lang das meistbeachtete Auto des Landes war.

Eine kleine Augenweide – Motor im Alfa Roeo Giulietta Spider Pinin Farina “Racing” von 1955.

Heute steht sie bei Sammlern hoch im Kurs, nicht zuletzt auch bei dem italienischen Architekten und Liebhaber Corrado Lopresto, der elf Exemplare besitzt (sowie das Chassis Nummer eins des Quadrifoglio Oro aus den 1980er-Jahren und das Genfer Ausstellungsfahrzeug des aktuellen Serienmodells). »Als ich Teenager war, besaß ein Freund der Familie einen Alfa Romeo Giulietta Spider«, erzählt Lopresto.

»Ich mochte es sehr, darin herumgefahren zu werden. Als ich anfing, Autos zu sammeln, war meine erste Giulietta der heruntergekommene Bertone Spider. Niemand wollte ihn haben, viele zweifelten an seiner Originalität, aber als ich in Pebble Beach gegen einen 2.3, 2.9 und einen 33 den dritten Platz in der Klasse belegte, verstand ich, dass die Giulietta überall auf der Welt etwas bedeutet.«

Das Cockpit im Giulietta Spider Bertone – es wurden nur zwei Prototypen gebaut, gezeichnet von Franco Scaglione.

Der Prototyp Alfa Romeo Giulietta Sprint Veloce Bertone von 1954 ist ein Schlüsselwerk in der Geschichte der Carrozzeria Bertone und von Alfa Romeo. Ein Maß für seine Bedeutung ist, dass zwei Bertone-Karosserienummern in seinem Motorraum eingestanzt sind. Ursprünglich wurde er 1953/54 von Alfa Romeo als Testwagen für die Entwicklung des späteren Sprint gebaut. Er war mit einer Alfa-Romeo-Karosserie ausgestattet, die Ingenieur Giuseppe Scarnati entworfen hatte, der 1957 zum Leiter des »Centro Stile« bei Alfa Romeo avancierte und 1961 die Giulia und 1972 die Alfetta entwarf. Der Wagen war ein Prototyp und seine Karosserie, die den Spitznamen »hässliches Entlein« erhielt, wies bereits die Dimensionen und die grobe Form des späteren Sprint auf, war jedoch sehr einfach und aus stilistischer Sicht unvollendet.

Deshalb wurde ein Team aus erfahrenen Designern hinzugezogen, um das Projekt zu vollenden: Sprint-Produktmanager Rudolf Hruska beauftragte Mario Boano (von Carrozzeria Ghia) und Franco Scaglione sowie einen sehr jungen Giorgetto Giugiaro und Nuccio Bertone selbst. Zur Überwachung stellte er Giovanni Michelotti als externen Berater ein. Gemeinsam formte dieses unglaubliche Team die Linien des Alfa Romeo Giulietta Sprint und schuf eines der schönsten Autos, die je gebaut wurden.

Der 1954 auf dem Turiner Autosalon vorgestellte Sprint sollte ursprünglich nur in einer Stückzahl von 100 bis 200 pro Jahr gebaut werden, doch schon auf dem Salon wurden 500 Bestellungen entgegengenommen. In der Folge schickte Bertone sich an, einen Vertrag über 20.000 Stück zu erfüllen und sich zum kleinen Hersteller mit einer industrialisierten Produktionslinie zu mausern. In der Zwischenzeit diente Scarnatis Chassis mit der Nummer zwei weiterhin als Versuchsfahrzeug mit der Maßgabe, es niemals zu verkaufen. 1956 wurde es nach einem Aufenthalt bei Alfa Romeo, wo Fahrer Bruno Bonini es für die Entwicklung der Veloce-Version testete, an die Carrozzeria Bertone übergeben. Dort erhielt es die neue Sprint-Karosserie mitsamt einer neuen Karosserienummer – eingestanzt direkt über der vorherigen – und setzte sein Dasein als Testwagen fort.

Text Massimo Delbò // Fotos Thomas Macabelli // Bearbeitung Christel Flexney

Lesen Sie in OCTANE #59, welches die Lieblings-Giuliettas des Sammlers sind.

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