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Need for Speed

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Beim Versuch, als erstes Auto die Marke von 200 Meilen pro Stunde oder umgerechnet gut 320 km/h zu durchbrechen, hat dieser spezielle Porsche einige äußerst beeindruckende Leistungen erzielt – ein BTR-1 von RUF.

Der Wettlauf um den Bau des ersten Serienautos mit einer Höchstgeschwindigkeit von 200 Meilen pro Stunde geriet in den 1980er-Jahren zu einem regelrechten Spektakel. 1987 behauptete Ferrari, dass der F40 als erster mit 201 mph (= 323,4 km/h) die Schallmauer durchbrochen habe. Bis noch im selben Jahr ein kleiner deutscher Hersteller namens RUF im Rahmen des vom amerikanischen Magazin “Road & Track” organisierten Speed-Shoot-Outs die Bestmarke auf 209 mph oder 336 km/h verbesserte.

Aufgestellt mit dem GTR “Yellowbird” auf der 8,65 Kilometer langen Geraden der VW-Teststrecke in Ehra-Lessien. Dank dieses Rekords und des späteren Werbevideos “Faszination am Nürburgring” mit RUF-Testfahrer und “auto motor und sport”-Redakteur Stefan Roser am Steuer katapultierte der Yel- lowbird RUF in das Bewusstsein eines internationalen Publikums.



“Es ist ein Auto von zugleich immenser Präsenz und verblüffendem Understatement.”

Doch die Ursprünge des Mythos RUF liegen noch ein paar weitere Jahre zurück. Obwohl er sich gerade erst auf den Weg zum eigenständigen Hersteller gemacht hatte, wurde Alois Ruf bereits 1984 zum ersten “World’s Fastest Car-Test” von R&T eingeladen. Und dazu trat er mit dem dunkelblauen RUF BTR auf diesen Seiten ebenfalls in Ehra an. Der Wagen mit Chassisnummer 1 wurde von Phil Hill und Paul Frère gefahren und erreichte eine verifizierte Höchstgeschwindigkeit von 186,2 mph (299,6 km/h). Frère schaffte sogar 189 mph (304,1 km/h), indem er beide Außenspiegel zurückklappte, und ließ damit einen Ferrari BBi, einen Lamborghini Countach und sogar einen Porsche 911 Turbo und einen 928 S hinter sich. Der BTR wurde für die Dominanz auf deutschen Autobahnen gebaut und “Road & Track” kürte ihn an diesem Tag zum schnellsten Serienauto der Welt.

Heute befindet sich der Rekordjäger von einst in Südengland, und in der Kälte und dem Nieselregen des New Forest denke ich darüber nach, ob ein solcher Tag überhaupt dazu angetan ist, solch ein Monster zu fahren. Als der turbogeladene Sechser-Boxer rumpelnd und schnaufend in Hörweite kommt, dazu ein paar Knack- und Knallgeräusche ausstößt, wird klar, dass dies kein gewöhnlicher 911er ist. Sondern ein Auto von zugleich immenser Präsenz und verblüffendem Understatement. Auf den ersten Blick ist der BTR-1 sogar recht unauffällig, aber bei näherem Hinsehen deuten mehrere kleine, aber wichtige Details auf sein schlummerndes Kraftreservoir hin.



Die Leistung des 3,4 Liter-Boxermotors wurde auf über 400 PS gesteigert.

Im Gegensatz zum zeitgenössischen 930 Turbo entschied sich RUF beim Bau seines ultimativen Straßenwagens für die schmale Standardkarosserie des 911 – die Option “Wide Body” hätte die Höchstgeschwindigkeit um mindestens 15 km/h gedrückt. Der BTR erhielt jedoch den 930-Heckspoiler in Form einer Walschwanzflosse und hinter der tief gezogenen Frontschürze verbargen sich ein externer Ölkühler sowie zwei Bremskühlkanäle. Die superbreiten 17-Zoll-Räder von RUF füllten die Radkästen perfekt aus und nur vorn verwendete RUF die Porsche-eigenen 930-Bremssättel, während an der Hinterachse eigene, verstärkte Sättel ihren Dienst versahen.

Hebt man die wuchtige Motorhaube an, gibt es wie bei jedem 911er nur sehr wenig zu sehen. Das Bild beherrscht ein riesiger RUF-Ladeluftkühler, der 35 Prozent größer ist als das 930-Standardteil. Darunter verbirgt sich ein auf dem 3,3-Liter des 930 basierendes und vom Tuner auf 3,4 Liter vergrößertes Triebwerk. Neue Nockenwellen, Kolben und ein riesiger KKK-Turbolader tragen dazu bei, Leistung und Drehmoment auf 369 PS und 480 Nm zu steigern. RUF war jedoch immer konservativ mit seinen Leistungsangaben und nach der letzten Überarbeitung bringt dieses Auto eine noch beeindruckendere Leistung von knapp über 400 PS auf die Straße.

Ein Blick unter den Heckstoßfänger zeigt eine maßgeschneiderte Auspuffanlage mit einem großen Einzelauslass pro Seite. Auf der linken Seite befindet sich zusätzlich ein kleineres drittes Rohr für das Abblasventil (Wastegate) des Turbos. Eine größere Modifikation betraf das Getriebe – eine von RUF selbst entwickelte Fünfgang-Box, die etwa ein Jahr nach Zulassung des Wagens das Porsche-Vierganggetriebe ersetzte.

Auch im Innenraum steckt der Teufel im Detail. Die blauen Ledersitze sind von Recaro, hinter ihnen spannt sich ein dezenter Überrollbügel auf. Das Interieur ist in einem herrlich patinierten Zustand und hat den Charakter eines Wagens, der sein ganzes Leben lang gut benutzt wurde. Die RUF- Veranstaltungsaufkleber an der Heckscheibe deuten darauf hin, dass seine Vorbesitzer sich auch nicht davor gescheut haben, ihn auf der Rennstrecke zu fahren. “Wir wissen es nicht genau, aber er hat wahrscheinlich mehr als 250.000 Kilometer auf dem Buckel”, sagt Händler Charles Leith, der den Wagen mitgebracht hat.

Vom Fahrersitz aus betrachtet ist es ein ganz normaler 911 Turbo, abge- sehen von drei kleinen Details: eine Ladedruckanzeige anstelle der Uhr, ein Schaltknauf, der fünf Gänge anzeigt, und ein seltsamer Drehregler aus Metall in Höhe meines linken Schienbeins … “Nicht anrühren!”, befiehlt Leith mit einem Lächeln. “Das ist der Regler für den Ladedruck, er ist momentan auf etwa ein bar eingestellt.” Dann holt er eine Tragetasche vom Rücksitz hervor. Hat er uns etwa ein Frühstück mitgebracht? Nein, darin befindet sich ein außergewöhnlich reichhaltiges Bündel an Unterlagen: In Ordnern fein säuberlich abgeheftete Rechnungen, TÜV-Zertifikate und alte Magazinartikel dokumentieren en detail die gesamte Geschichte des BTR-1. Und es ist eine ganz besondere Geschichte.

Text: Matthew Hayward // Fotos: Jonathan Fleetwood // Bearbeitung: Thomas Imhof

In OCTANE #60 erfahren Sie mehr über die Historie des RUF BTR-1.

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