Klassiker

»Nimm niemals den Fuss vom Gas«

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Nur wenige wissen, wie unglaublich hart die Rallye Spa-Sofia-Lüttich war: 90 Stunden Nonstop-Vollgasfahren mit einer Stunde Pause. Zweimal wurden die Schweden Gunnar Palm und Erik Carlsson mit dem Saab 96 Sport Zweite – für beide waren dies ihre größten Erfolge im Motorsport.

Gunnar Palm und ich stehen vor dem mehr als 100 Jahre alten Wasserkraftwerk Olidan in Trollhättan, der Hauptstadt von Saab. Vor uns drei Saab 96: ein weißer serienmäßiger Sport und zwei Rallye-Versionen, in denen Palm (84) viel Zeit als Co-Pilot des großen Erik Carlsson »vom Dach« verbracht hat.

»Es ist ein Wunder, was wir mit diesen Autos erreicht haben«, sagt Palm. »Wir hatten viel weniger Leistung als die anderen, also lautete Eriks Strategie: ‚Nimm niemals den Fuß vom Gas.‘ Unsere Saab waren auch relativ schwer und untersteuerten, aber das allgemeine Handling war sehr gut. Sie waren stark und zuverlässig – und die Mechanik war einfach. Außerdem haben wir immer dafür gesorgt, dass wir bis aufs Äußerste vorbereitet waren. Dadurch waren wir mehr als einmal in der Lage, die großen Werksteams auszustechen, die ein fünf- bis zehnmal höheres Budget hatten als wir.«

Der 96 war das Basisfahrzeug für die Rallye-Versionen. Er verfügte über eine Dreizylinderversion des Saab-Zweitaktmotors mit einem Hubraum von 841 ccm und serienmäßig 38 PS. 

Dass wir hier in Trollhättan sind, ist eigentlich eine Geschichte für sich – die mit dem niederländischen Sammler Michiel Bakker begann, einem großen Liebhaber der unverwechselbaren schwedischen Marke. Vor einiger Zeit erfuhr Bakker, dass der originale Saab 96 Sport, mit dem Carlsson und Palm 1963 an der Rallye Spa-Sofia-Lüttich teilgenommen hatten, irgendwo oberhalb von Stockholm stand und versteigert werden sollte. Er ergriff die Initiative und erwarb das legendäre Auto. Bakker: »Der Verkäufer hatte den Wagen aus der Fabrik übernommen, allerdings ohne Motor. Es gelang ihm jedoch, einen Originalmotor mit den drei Vergasern zu besorgen, und er restaurierte den Wagen so, wie er war, als Gunnar Palm und Erik Carlsson ihn fuhren.«

Nach einigen leichten Restaurierungsarbeiten kam Bakker die Idee, mit dem Saab eine Art »Pilgerfahrt« nach Trollhättan zu unternehmen, wo er einst gebaut worden war, und dort ein Treffen mit Palm zu arrangieren. Diese Idee wurde nicht nur von Palm, sondern auch von Peter Bäckström, dem Kurator des Saab-Automuseums, sehr begrüßt – und ehe wir uns versahen, wurde daraus eine kleine Wiedervereinigung. 

Die drei Vergaser in einer Reihe, wie sie in einem serienmäßigen 96 Sport zu finden waren. Der Saab 96 ging als Underdog ins Rennen …

Um das Trio zu vervollständigen, hatte Peter Bäckström noch etwas Besonderes aus seinem Museum herausgeholt: ein 96er-Modell mit der Nummer 283 und dem Kennzeichen P77558, mit dem Carlsson und Palm 1963 die Rallye Monte Carlo gewonnen hatten. »Es ist nicht das echte Auto«, berichtet Bäckström, »das ist leider nicht mehr da, aber es ist ein exakter Nachbau. Viele Saab-Werkswagen hatten Unfälle oder wurden an Konkurrenten verkauft und haben weiter ein herausforderndes Dasein im Rallyesport geführt. Ein paar haben auch das überlebt, wie der P97349.«

Die Frage, wie viele Werks-Saab 96 Sport gebaut wurden, kann er nicht beantworten. »Als Saab 1981 den Rallyesport einstellte, war die Motorsportabteilung so enttäuscht, dass sie alles wegwarf, die Teile und die komplette Dokumentation«, sagt der Museumskurator. Es ist ihm anzumerken, dass er dieses Archiv gern in seinen Händen gehabt hätte. Auch Palm kennt die genaue Zahl nicht. »Wir sind mit zwei Teams angetreten, mit Erik und Pat Moss als Fahrer. Ich glaube, die Sportabteilung hat für jede Saison zwei Autos gebaut, plus ein Ersatzauto. Es gab eine Reihe von Semi-Werkswagen für Privatteams und es wurden Teile für Leute hergestellt, die selbst einen 96er umbauten. Die Sportabteilung nutzte jede Gelegenheit, um etwas Geld zu verdienen, denn das Budget war sehr klein.«

Als die Welt noch analog war – Stoppuhren im Saab 96, der bei der Rallye Spa-Sofia-Lüttich in den Jahren 1963 und 1964 jeweils als zweiter ins Ziel kam.

Zu den großen Rallyes, die Palm mit Carlsson im Saab 96 – auch bekannt als »Bullnose« – gefahren ist, gehören die East African Safari, die Rallye Monte Carlo und die Rallye Spa-Sofia-Lüttich, ein Killer für die Autos und außergewöhnlich anstrengend für die Besatzungen. Im Jahr 1963 erreichten nur 20 der 119 Teilnehmer das Ziel in Lüttich, 1964 waren es nur 21 von 98 Teilnehmern.

1963 führte die Veranstaltung, die auch als »Marathon de la Route« bekannt ist, auf direktem Weg von Spa in die bulgarische Hauptstadt Sofia, wo eine einstündige Zwangspause eingelegt wurde, die die Fahrer hauptsächlich zum Essen nutzten. Anschließend trat die gesamte Meute – oder zumindest das, was von ihr übrig geblieben war – gleichzeitig die lange Fahrt zurück nach Lüttich an.

Palm ist voller Geschichten aus den Jahren 1963 und ‘64 und hat sichtlich Freude daran, sie zu erzählen, solange er noch kann. »Es lässt sich kaum beschreiben, wie unmenschlich hart es war. Tag und Nacht fahren, auf schwierigen Straßen, mit einem extrem hohen Durchschnitt. Es waren 90 Stunden Hölle: 5500 Kilometer mit viel Schotter, über den Passo di Gavia, den Passo di Croce Domini und das Stilfser Joch, so schnell wir konnten, ohne Pause, durch die Nacht, bei Nebel und Dunst. Ich staune immer noch über Eriks Ausdauer und seine Fähigkeiten am Steuer – unglaublich! Sie sollten wissen, dass das Straßennetz damals viel schlechter war als heute. Jugoslawien hatte nur den Autoput quer durchs Land, viel mehr gab es nicht.«

Text Ton Roks // Fotos Luuk van Kaathoven // Bearbeitung Christel Flexney

Lesen Sie in OCTANE #59 noch mehr über Palms Rallye-Erlebnisse im Saab 96.

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