Klassiker

Ligier und sein kurzer Traum

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Der Ligier JS2 – mit Rennsportgenen versehen, aber für die Straße entwickelt – hätte viel mehr Erfolg verdient, als es die Marktbedingungen zuließen. Marc Sonnery ist diesem Mysterium auf den Grund gegangen.

Guy Ligier hatte einen schwierigen Start ins Leben. 1930 geboren, wurde er im Alter von sieben Jahren Waise und verließ mit 15 Jahren die Schule, um eine Metzgerlehre zu machen. Er entwickelte eine Leidenschaft für sportliche Betätigung und wurde 1947 französischer Rudermeister. Seine Passion für Rugby brachte ihm eine Berufung in die französische B-Nationalmannschaft – es war der perfekte Sport für den stämmigen, temperamentvollen jungen Mann aus Vichy.

Mit dem Motorsport kam er erstmals 1957 beim »Coupe du Salon« in Montlhéry auf einem Simca 1300 in Berührung. Über die Formel Junior 1960 – seine erste Erfahrung mit Einsitzern – führte sein Weg 1964 in die Formel 2, wo er einige gute Ergebnisse erzielte. In den Jahren 1966 und 1967 bestritt er insgesamt zwölf Formel-1-Rennen, allerdings mit weit weniger Erfolg. Trotzdem schaffte er es in eine Szene des Films »Grand Prix«, in der er einen Cooper-Maserati in French Racing Blue pilotierte – es war sein erster Kontakt mit dem berühmten Dreizack. Sein Karrierehöhepunkt war jedoch der Sieg beim 12-Stunden-Rennen von Reims 1967 mit seinem besten Freund Jo Schlesser in einem Ford GT40 MkIIb. Als Schlesser im dar- auffolgenden Jahr beim GP von Frankreich in Rouen ums Leben kam, fühlte sich Ligier veran- lasst, aus dem Einsitzer-Rennsport auszusteigen.

Die großen Scheinwerfer-Augen verschwanden beim späteren JS2.

Nachdem er sich die verschiedenen verfügbaren GT-Fahrzeuge angesehen hatte, befiel ihn die Befürchtung, sein Team würde lediglich als eines von zahlreichen Kundenteams behandelt werden. Ermutigt durch seinen unternehmerischen Erfolg beschloss er, sein eigenes Auto zu bauen. Dies sollte in Abrest, in der Nähe von Vichy, geschehen. Woraus später der JS2 wurde, begann als JS1-Rennwagen; die Initialen JS sollten von nun für jedes Ligier-Modell verwendet werden – in Erinnerung an seinen Freund Jo Schlesser.

Auftritt Michel Tétu. Der französische Ingenieur kam von der Sportwagenmarke CD von Charles Deutsch und René Bonnet zu Ligier. Guy Ligier beauftragte ihn mit der Entwicklung des JS1, der mit einem Mittelmotor ausgestattet, stabil und leicht sein sollte. Aber er musste auch attraktiv sein, um den Verkauf zu fördern – also brauchte Ligier einen Designer. Die Wahl fiel auf Pietro Frua. Der Italiener musste seinen ursprünglichen Entwurf jedoch überarbeiten.

Die stark gepolsterten Sitze geben guten Halt und das Cockpit entspricht der Serienausstattung.

Tétu entwickelte innovative Ideen wie ein Chassis aus einem Sandwichmaterial mit einem zentralen Träger. Er war der Meinung, dass Wabenplatten, wie sie damals in Rennwagen verwendet wurden, zu kostspielig gewesen wären. »Ich entschied mich für ein Chassis aus Klegecell-Platten: harter PVC-Schaum, verkleidet mit Blechen aus einer Aluminiumlegierung, in die Stahlelemente integriert sind, um die Hauptbelastung aufzufangen«, erklärte er später. So etwas hatte es noch nie gegeben. Die Karosserie wurde noch einmal leicht überarbeitet, nachdem Tétu sie in einem Windkanal getestet hatte.

Zwei Typen von Ford-Motoren kamen bei Tests zum Einsatz. Beim ersten kurzen Versuch wurde ein F2-Motorblock verwendet; das Auto war im April 1970 mit Jean-Claude Andruet am Steuer sofort schneller als der 911 von Porsche. Es folgte ein 2,6-Liter-V6-Motor, der mit einem Citroën-SM-Getriebe gekoppelt war – dem einzigen, das passte. Niemand ahnte, wie prophetisch das war.

Pietro Frua zeichnete die Linien im typischen Sportwagen-Stil der 1970er-Jahre.

Die schnittige neue Straßenversion JS2 sollte über Ford-Händler verkauft werden … doch dann kam die Ernüchterung. Aufgrund eines Interessenkonflikts mit seinem im Entstehen begriffenen Rennwagen GT70 weigerte sich Ford, weitere Motoren an Ligier zu liefern – nur um wenig später das GT70-Projekt einzustellen. Doch damit nicht genug. Ligier verlor von heute auf morgen seine Autobahnbauverträge und damit auch seine Baufirma.

Der Unternehmer hatte zwei Krisen zu bewältigen, dabei war ihm, ohne es zu wissen, der Einsatz eines Motors mit zu hohem Schwerpunkt erspart geblieben. In die Enge getrieben, entschied er sich für die Flucht nach vorn und baute einen offenen Sportprototypen, den JS3 mit Cosworth-V8-Motor. Die Einzelanfertigung trug dazu bei, den Bekanntheitsgrad der Marke zu erhöhen. In Le Mans belegten Guy Ligier und Patrick Depailler zeitweise den fünften Platz, bevor technische Probleme das Duo einbremsten. Nach stundenlanger Reparatur überquerten die beiden schließlich unklassifiziert die Ziellinie, doch die Dramatik rund um den JS3 sorgte für großen Jubel bei den Zuschauern.

Die Zeit war jetzt endlich reif für den Bau des Straßenfahrzeugs JS2. Bei den Rennversionen war die Chassis-Konstruktion des JS1 beibehalten worden, aber für die Straßenvariante war dies zu kostspielig, so dass eine neue Konstruktion aus Stahl und Polyurethanschaum entwickelt wurde. Tétu passte das Heck des Chassis an und verbreiterte den Motorraum, um Platz für den 90o-V6 des SM zu schaffen. Gleichzeitig drehte Citroën den Achsantrieb um, denn die Antriebswelle des SM-Motors lief in entgegengesetzter Richtung zu der des Ford-Motors.

Fotos Denis Noten // Bearbeitung Christel Flexney

Lesen Sie in OCTANE #64, warum der Ligier JS2 nach nur 82 Exemplaren abrupt eingestellt wurde.

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