#46, Lancia, D20, D23, D24, Spyder, Mille Miglia, Panamericana
Klassiker

Lancia D23 Spyder – Nur einer kam durch

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Gianni Lancias Hunger nach Rennerfolgen brachte legendäre Rennwagen wie den D23 Spyder und den D24 Berlinetta hervor. Im Jahr 1953 erzielten sie einen großartigen Dreifachsieg bei der berüchtigten Carrera Panamericana. Vom D23 ist nur noch einer übrig – und wir durften ihn fahren.

Der D23 ist ein faszinierendes Auto. Er stammt aus der Zeit, als Lancia alles in Bewegung setzte, um im internationalen Motorsport erfolgreich zu sein. Und er war die Verbindung zwischen zwei anderen legendären Lancia-Rennwagen, dem D20 und dem D24. Und er führt uns zurück zur Carrera Panamericana, dem härtesten, großartigsten und gefährlichsten Straßenrennen aller Zeiten. Um die Rolle des D23 in der Geschichte von Lancia zu verstehen, ist ein Blick auf den Vorgänger, den D20, notwendig. In den frühen 1950er-Jahren beschränkten sich die Motorsportaktivitäten von Lancia hauptsächlich auf Rennen und Rallyes mit dem eleganten Sechszylindercoupé Aurelia B20 GT, das seine Qualitäten 1951 mit einem zweiten Platz bei der Mille Miglia und einem Klassensieg in Le Mans unterstrich.

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Für Gianni Lancia, den Sohn von Firmengründer Vincenzo, war das aber nicht annähernd genug. Er hungerte nach großen Motorsporterfolgen auf internationaler Bühne und ließ speziell für die bedeutenden Straßenrennen wie die Mille Miglia und die Carrera Panamericana einen neuen Rennwagen bauen. Dieser neue Renner, der D20, betrat am 26. April 1953 in Brescia die Bühne des gehobenen Motorsports – bereit für die berühmten tausend Meilen durch Italien. Es war ein vollblütiger Rennwagen mit einem Chassis aus dünnen Stahlrohren, einem Dach als tragendem Element und Einzelradaufhängung an beiden Achsen; die Schiebehülsen an der Vorderachse hatten ausgedient. Unter der Haube schlummerte ein um 60 Grad geneigter V6-Motor aus der Feder von Ettore Zaccone Mina.

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Der Motor hatte mit dem Aurelia-Motor – abgesehen von der V6-Konfigu- ation – nichts gemein. Die Ventilsteuerung geschah nicht durch Stößelstan- gen, sondern mittels vier obenliegender Nockenwellen. Der Sechszylinder wurde von drei Weber-Doppelvergasern versorgt und hatte halbkugelige Brennräume mit zwei Zündkerzen pro Zylinder. Dieser neue Rennmotor leis- tete 220 PS, was zur damaligen Zeit für einen Dreilitermotor enorm viel war. Ein Transaxle-Vierganggetriebe übertrug die Leistung auf die Hinterräder. Bemerkenswert war, dass die Bremstrommeln sowohl vorn als auch hinten innen angebracht waren. Damit konnte das ungefederte Gewicht so niedrig wie möglich gehalten werden. Die Teleskopstoßdämpfer wurden von zusätzlichen Reibungsdämpfern unterstützt, die der Pilot vom Cockpit aus mithilfe einer Kette verstellen konnte. Die von Pininfarina gestylte Karosserie bestand aus Aluminium.

Die Erfolgsbilanz der D20 fiel durchwachsen aus, Lancia fällte daraufhin die Entscheidung, alle Coupés in Spyder zu verwandeln, um so das Gewicht zu reduzieren und die Wendigkeit zu erhöhen. Der neue Spyder erhielt die Bezeichnung D23. Bis zum 23. Juli waren alle vier Autos umgebaut. Der Ursprung ist jedoch bis heute erkennbar. Auf den Frontflügeln des Louwman-D23 prangt noch immer der Schriftzug Pininfarina, als stille Erinnerung an sein früheres Leben als D20 Berlinetta.

Mit seinem aggressiven, blutrot bemalten Grill sah der D23 ziemlich wild aus. Und spartanisch war er auch, eben ein richtiger Rennwagen, gebaut mit einem einzigen Ziel: in kürzester Zeit so viel Asphalt wie möglich zu schlucken und damit den Ferrari das Leben schwer zu machen. Technisch unterschied er sich kaum vom Coupé: derselbe Motor, keine Schiebehülsen an der Vorderachse und rundum innenliegende Bremstrommeln.

Heute ist der einzig überlebende D23 in der Louwman-Sammlung zu Hause. Unser Autor Ton Roks konnte den charismatischen Renner einige Runden bewegen. Und jetzt rein in den Wagen. Um den Luftstrom zu verbessern, ist der Beifahrersitz abgedeckt. Unter der Abdeckung befinden sich die Handbremse, der Schalthebel und die Einfüllstutzen der beiden Benzintanks. Das Cockpit ist überraschend einfach, das Armaturenbrett dominiert ein Jaeger-Drehzahlmesser, der bis zu 8000 U/min anzeigt, schräg darunter die wegen der Lenkradspeichen nur schwer abzulesenden Anzeigen für Wasser- und Öltemperatur. Der D23 hat kein Gramm Metall zu viel, selbst die Flügelmuttern an den Speichenrädern sind gelocht. Der Spyder bringt 800 Kilogramm auf die Waage, 50 weniger als das Coupé. Beim nicht aufgeladenen V6 mit 220 PS bedeutet dies ein Leistungsgewicht von 3,6 Kilogramm pro PS.

Der V6 – eine reine Rennmaschine mit grünen Ventildeckeln – sitzt ein gutes Stück hinter der Vorderachse, was ihn quasi zu einem Mittelmotor macht. Wie damals üblich, sind die Weber-Doppelvergaser vom Typ 42DCF7 in einem halbmatten Schwarz lackiert. Die Luft wird durch die Öffnung ober- halb des Kühlergrills mit voller Kraft zu den Vergasern geleitet. Bei hoher Geschwindigkeit entsteht eine Art Rameffekt auf die hungrigen Einlässe.

Der V6 ist laut, aber nicht ohrenbetäubend, und ein bisschen launenhaft und roh. Die Kupplung erfordert einen kräftigen Pedaldruck, würdevolles Anfahren gehört eher nicht zum Repertoire des D23. Hinter den vorderen und seitlichen Plexiglasscheiben sitzt man ziemlich geschützt, der Wind dringt kaum ins Cockpit. In den Kurven muss man allerdings den Kopf neigen, um Verzerrungen in den Scheiben zu vermeiden und den Scheitelpunkt gut zu erkennen. Die Bremsen werden nun langsam warm und das leichte Ziehen nach rechts schwindet zusehends. Als ich ein paarmal scharf bremse, um den Bremsweg auszuloten, verlangsamt der 67 Jahre alte Renn-Lancia erstaunlich gut – und spurtreu. Zur damaligen Zeit hinkte die Bremskraft noch weit hinter der Motorleistung hinterher, umso beeindruckender die Verzögerung. Die Bremsen lassen sich gut dosieren, das Auto bleibt stabil, und je wärmer die Trommeln werden, desto besser bremsen sie den D23 ab.

Text: Ton Roks
Fotos: Frits van Eldik

Bearbeitung: Christel Flexney

Lesen Sie in der OCTANE #46, wie die Testfahrt in dem legendären Rennwagen ausgeht und

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