Klassiker

La Dolce Vita

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Vor fast 60 Jahren spielte dieser Lancia Aurelia B24 Trasformabile eine zentrale Rolle in der italienischen Filmkomödie »Il Sorpasso«. Aber ein alternder Star ist die Ikone heute nicht mehr.

Es ist August 1962, wir sind in Rom. Umweht von der spätsommerlichen Hitze Italiens, und Bruno, gespielt vom italienischen Schauspieler Vittorio Gass- man, fährt mit seinem verbeulten Lancia Aurelia B24 »Trasformabile« verkehrt herum durch eine Einbahnstraße, um zu einem Tabakgeschäft zu gelangen. Der Film ist kaum eine Minute alt und schon ist sie da, die typische italienische Leichtigkeit des Seins, gepaart mit dem unbeschwerten Umgang mit Regeln.

Wie bei Italienern nicht anders zu erwarten, gehörten zu den bevorzugten Objekten vor allem Autos. Im Film »Il Sorpasso« (deutscher Titel: Verliebt in scharfe Kurven) stellte der lebenslustige Bruno unter Beweis, dass ein altes, schnelles Cabrio, ausgestattet mit einer lautstarken Mehrtonhupe, der perfekte Begleiter für dieses genussvolle Leben war. Außerdem brachte er die schauspielerische Karriere des jungen Jean-Louis Trintignant (in einer Nebenrolle als Brunos Freund Roberto zu sehen) und von Catherine Spaak (die Brunos verwöhnte Tochter Lilli spielte) ins Rollen.

Dieses Aurelia-Cabriolet ist eines von zweien, die 1962 in dem Film »Il Sorpasso« mit von der Partie waren. Es wurde grundlegend restauriert.

Aber nicht nur das. Der Film verhalf auch einem weiteren Protagonisten zur Unsterblichkeit: dem Lancia Aurelia B24 Cabriolet, das von da an zum Inbegriff sowohl des »dolce vita« als auch jenes überschwänglichen italienischen Fahrstils wurde. Der erste offene Lancia Aurelia B24, abgeleitet vom B20 Coupé, war der Spider, der ab 1955 gebaut wurde und immer noch als eines der schönsten Autos aller Zeiten gilt. Er wurde von Pinin Farina entworfen und hatte eine Panoramascheibe, keine Türgriffe und keine Seitenscheiben. Wenn es regnete, musste man auf ein einfaches Stoffdach und Steckfenster zurückgreifen.

Nur 240 Exemplare wurden gebaut. Um die Anziehungskraft des B24 zu erhöhen, brachte Lancia 1956 den »Tipo America Trasformabile« (italienisch für Cabriolet) heraus, ebenfalls ein wunderschönes Auto, das neben einigen kleinen Modifikationen anders gestaltete Heckflossen, eine herkömmliche Windschutzscheibe sowie längere Türen mit Kurbel- und Ausstellfenstern besaß.

Der letzte Käufer und heutige Besitzer war etwas überrascht, dass es sich bei dem angebotenen Modell um das tatsächliche Filmauto von 1962 handelte.

»Ich weiß ganz sicher, dass ich mehr als die berühmten 100.000 Lire bezahlen musste«, lacht der italienische Sammler Adalberto Beribè, der seit 2001 der Besitzer des Lancia Aurelia B24 aus dem Film ist. Aber Beribè hatte es gar nicht auf dieses spezielle Auto abgesehen. »Ich habe mich schon mit sechs oder sieben in den Lancia Aurelia B24 verliebt. In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, hatte nur der Doktor einen solchen Wagen und ich habe Stunden damit verbracht, ihn zu bewundern.

Damals habe ich beschlossen, mir eines Tages selbst einen zu kaufen. Dieser Tag kam 2001: Ein Verwandter hatte in einer Zeitschrift ein Exemplar entdeckt, das in der Nähe von Mailand zum Verkauf stand. In der Anzeige war zu lesen, der Wagen sei so, ‚wie im Film benutzt‘, und ich dachte, das würde sich auf das Modell beziehen und nicht auf das spezielle Auto. Aber das war mir egal, denn der Film hatte mich nicht interessiert – tatsächlich habe ich ihn mir erst nach dem Kauf des Autos angeschaut.«

Die kleinen Heckflossen verraten den Einfluss aus Amerika, dem sich das italienische Design Ende der 1950er-Jahre nicht entziehen konnte.

Natürlich ist Beribè heute ein Experte für den Film. »Nun ja, ich muss zugeben, dass ich durch den Film viel über das Auto gelernt habe. Und noch mehr über den Film habe ich in der Woche gelernt, die ich 2012 mit Alfio Contini verbracht habe, der damals Kameramann war. Leider ist er im März 2020 im Alter von 92 Jahren gestorben. Er erzählte mir, dass die Produktionsfirma zwei Lancia Aurelia gekauft hatte, und zwar bei einem Gebrauchtwagenhändler in der Nähe von Rom. Einen – jetzt meiner – in Himmelblau und einen in Hellgrün. Da der Film in Schwarzweiß gedreht wurde, war der Farbunterschied auf der Leinwand nicht erkennbar.«

Beribès Wagen war der vorletzte der zweiten Aurelia-B24-Serie, gebaut im Dezember 1956 und am 21. Februar 1957 vom Werk nach Terni in Umbrien ausgeliefert, wo er mit dem Kennzeichen TR 14422 zugelassen wurde. In Vorbereitung auf den Film erhielt er in Anpassung an das neue Straßenverkehrsgesetz orangefarbene Heckblinker und andere Brems- lichter. Zu dem Radio im Armaturenbrett gesellte sich ein Philips-Plattenspieler unterhalb der Anzeigentafel, der im Film den Soundtrack lieferte.

Weitere Überraschungen kamen ans Licht, als Beribè den Wagen restaurieren ließ. »Jahre später entdeckten wir unter dem Radgehäuse den rechten, vorderen Lufteinlass – von außen unsichtbar und immer noch verknautscht, seit 1962. Und Regisseur Risi erzählte später, dass es keine Aurelia war, die am Ende des Films über die Klippe stürzte – er hatte viel zu viel für sie bezahlt, um sie am Ende zu zerstören –, sondern ein unfertiges Projektfahrzeug auf Basis eines Fiat 1100, das ein Mechaniker aus Castiglioncello gebaut hatte.« Das ist der Küstenort, an dem die Schlussszene gedreht wurde.

Text Massimo Delbò // Fotos Max Serra // Bearbeitung Christel Flexney

Lesen Sie in OCTANE #54, wie die Diva Aurelia die Jahre nach dem Ruhm überlebte.

OCTANE #54

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