Klassiker

Eine Klasse für sich

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Fünf Jahrzehnte sind vergangen, seit Mercedes-Benz die erste S-Klasse auf den Markt brachte. Glen Waddington hat sich auf die Spur des größten Modells begeben: des 450 SEL 6.9.

Ziemlich flott sind wir unterwegs. Nicht, dass wir brettern, aber wir lassen es zwischen den Kurven ganz schön krachen. Ja, krachen lassen trifft es wohl am besten. Lange, gerade französische Asphaltbänder in der Nähe von Le Mans, sanft gewellte Landschaften, alte Nationalstraßen, die Art von Szenario, für die Citroën einst die DS entwickelte.

Was erwähnenswert ist, denn der Mercedes 450 SEL 6.9 hat ein sehr ähnliches Fahrwerk und verfügt über etwas, was der DS immer fehlte: die passende Antriebskraft. Wie Jay Leno in der letzten Ausgabe von OCTANE sagte: “Ein Luxusauto mit einem Vierzylindermotor und 100 PS lässt sich nur schwer verkaufen.” Und diese S-Klasse hat einen V8. Einen sehr großen V8.

Taucht diese Front im Rückspiegel auf, macht man bereitwillig Platz.

Außerdem ist sie die erste Vertreterin einer einst neuen Gattung, die auch 50 Jahre später noch auf dem Markt ist: Die Sonderklasse befindet sich jetzt in der siebten Generation. Vorgängerbaureihen wie der “große Ponton-Mercedes” und der “Heckflossen-Mercedes” waren mit Sechszylindermotoren erhältlich gewesen und der unmittelbare Vorgänger war sogar als SEL (Sedan Einspritzung Lang) angeboten worden. Aber das war ein Luxusauto für das moderne Zeitalter. Außerdem hatten der 3,5- und vor allem der 4,5-Liter-V8-Motor, die den 2,8 Liter großen Basismotor ergänzten, eindeutig den US-Markt im Visier.

Als der W 116, die erste offizielle S-Klasse, am 25. September 1972 in Spanien der Presse vorgestellt wurde – kurz vor seinem öffentlichen Auftritt auf dem Pariser Autosalon im Oktober –, war der dicke 6.9 noch drei Jahre entfernt. Und diese Reihenfolge ist ungewöhnlich. Dirk Henning Strassl, damals Werbemann bei Mercedes-Benz, hatte zwei Jahre zuvor beschlossen, die noch geheime S-Klasse geladenen Journalisten an der Costa Brava vorzustellen, und alle sollten im exklusiven Hotel Cap Sa Sal wohnen, und zwar solange die Sonne noch schien.

An der spanischen Costa Brava ist der 6.9 in seinem Element.

Strassl hatte in Barcelona Spanisch studiert und kannte die Gegend gut. Er verband seine Liebe zur iberischen Halbinsel, ihrem Wetter und ihren luxuriösen Unterkünften mit teutonischer Gründlichkeit. Mit dem Gouverneur von Girona vereinbarte er speziell für die Fahrpräsentation die Neuasphaltierung eines knapp zehn Kilometer langen Straßenabschnitts zwischen Aigua Blava und Palafrugell. Dort, zwischen Barcelona und der französischen Grenze, testeten die Journalisten den Sechszylinder-280, den V8-getriebenen 350 SE und einige Vorserienmodelle des 450 mit verstärktem Fahrwerk – als Hinweis darauf, wozu die S-Klasse in der Lage sein würde.

Die “Rennstrecke” umfasste geschwungene S-Passagen und schnelle Kurven; sie führte durch das Marktstädtchen Palafrugell und eine schnelle, etwa zwei Kilometer lange Gerade entlang, bevor es durch die zahlreichen Kurven zurück nach Aigua Blava ging – die Aufmerksamkeit der örtlichen Polizei lag derweil anderswo. Und so wurde bekannt, dass es eine neue Luxuslimousine gab, die auch auf anspruchsvollen Straßen eine anständige Geschwindigkeit erreichen konnte. Und da war an den 6.9 noch lange nicht zu denken.

Noblesse oblige: Nussbaumleisten und Rippenvelours vom Feinsten.

Mercedes-Benz war selbstredend ziemlich zuversichtlich, was die Fähigkeiten seines neuen Autos anging. Es war ausgiebig auf der Lieblingsstraßenroute der Ingenieure, der “Teststrecke Friedrichsruhe” etwa 75 Kilometer von Stuttgart entfernt, getestet worden. Dieses Straßenstück war von Mercedes-Ingenieuren in den 1960er-Jahren kartiert und mit genau 34,5 Kilometern vermessen worden. Es bot eine Reihe unterschiedlicher Asphaltoberflächen und Bedingungen, um das Fahrwerk eines Autos zu testen und abzustimmen, sowie zwei kürzere Runden (18,9 und 26,5 km) für spezifische Testbedingungen.

Dort konnten die Mercedes-Testfahrer Daten sammeln und ihre Verbesserungen umsetzen, die dann sofort bewertet werden konnten. Jahr für Jahr ging es auf dieselbe Strecke; die Testingenieure kannten jeden Zentimeter davon. So konnten sie den genauen Grad der erzielten Verbesserung erkennen. Der W116 wurde dort getestet, wie auch schon der Versuchswagen C 111 zuvor. Dieser verlieh der S-Klasse seine Doppelquerlenker-Vorderradaufhängung mitsamt dem bahnbrechenden, sicherheitsrelevanten Lenkrollradius null und der Bremsnick-Abstützung.

Text: Glen Waddington Fotos: Mercedes-Benz // Bearbeitung: Christel Flexney

In OCTANE #63 erfahren Sie mehr über die Entwicklung der ersten S-Klasse.

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