Klassiker

Die Kanonenkugel

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Während der Lamborghini Countach sein 50-jähriges Jubiläum feiert, spürt OCTANE den Star eines der größten Autofilme aller Zeiten auf: den 400S aus »The Cannonball Run«.

Sucht man im Internet nach den zehn besten Filmen aller Zeiten, taucht dieser bestimmt nicht auf. Er rangiert noch nicht einmal unter den Top 100. Aber da Sie Autos mögen – wovon wir ausgehen, wenn Sie diesen Artikel lesen –, werden Sie wissen, dass die Actionkomödie »The Cannonball Run« einen neuen Standard für Hollywood-Filme über Autos etablierte. Die Handlung ist witzig, manchmal fast surreal, und die Besetzung erstklassig: Burt Reynolds, Roger Moore, Farrah Fawcett, Jackie Chan, Dean Martin … Aber was diesen Film wirklich von allen anderen Autofilmen unterscheidet, ist die Anzahl der beteiligten Autos und deren Anziehungskraft. Und ein Lamborghini.

Wie in »The Italian Job« ist die Eröffnungsszene ikonisch – und zeigt ebenfalls einen Lamborghini. Aber da dieser zwölf Jahre jünger ist, steht in »Auf dem Highway ist die Hölle los« kein orangefarbener, von rundlichen Formen geprägter Miura P400 im Mittelpunkt, sondern ein spitzer, schwarzer Countach LP 400S. Die 3 Minuten und 26 Sekunden der Eröffnungsszene mit dem sie begleitenden Soundtrack eines 12-Zylinders mit Fallstromvergaser sind so tief mit der Legende des Automobils verwoben, dass viele Countach-Besitzer (sowohl damalige als auch heutige) zugegeben haben, dass ihre Lamborghini-Begeisterung von diesem Film herrührt.

Mit dem Cannonball-Run wurde der Lamborghini Countach endgültig zur Auto-Ikone.

In dem Film war ein Stück Highway südöstlich von Las Vegas, das die Stadt Henderson mit Boulder City verbindet, Schauplatz eines Tauziehens zwischen einem Countach aus dem Jahr 1979 und einem Pontiac Firebird TransAm 4.9 Turbo T-Top aus dem Jahr 1980 – einem der besten Fahrzeuge der »Nevada Highway Patrol«. Genau diesen Countach sehen Sie hier. Der Film basiert auf der Geschichte eines realen, heldenhaften Straßenrennens – inspiriert von den Pionierfahrten von Erwin George »Cannon Ball« Baker quer durch ganz Amerika –, das als Protest gegen drakonische neue Verkehrsgesetze stattfand.

Im Herbst 1973 erließ der damalige Präsident der USA, Richard Nixon, als Reaktion auf das Ölembargo der OPEC im Zusammenhang mit der Suezkanal-Krise und dem Jom-Kippur-Krieg den »Emergency Highway Energy Conservation Act«, ein Gesetz zur Energieeinsparung. Es wurde vom Kongress im Januar 1974 verabschiedet und verlangsamte das komplette Land – mit einem landesweiten Tempolimit von 55 Meilen pro Stunde (88 km/h). Es sollte für zwölf Monate gelten, die zeitliche Begrenzung wurde jedoch ein Jahr später aufgehoben. Das Gesetz wurde für zwei Jahrzehnte zum Albtraum aller amerikanischen Autofahrer und brachte Millionen von Dollar an Bußgeldern ein

Zehn Jahre sind vergangen, seit der Countach so restauriert wurde, wie er im Film zu sehen war.

1970 hatte Brock Yates, ein bekannter amerikanischer Autojournalist, Schriftsteller und CBS-Boxenreporter sowie Kommentator des Winston Cup (heute NASCAR), bei einem Bier mit seinen Kollegen von »Car & Driver« ein informelles Cross-Country-Rennen vorgeschlagen. Sie benannten das Rennen »Cannonball Baker Sea-to-Shining-Sea Memorial Trophy Dash« – zu Ehren des verstorbenen Erwin George »Cannon Ball» Baker, der wegen seiner transamerikanischen Rekordfahrten Berühmtheit erlangt hatte.

Im Frühjahr 1971 war Yates bereit, in die Fußstapfen von Baker zu treten. In einem 1971er Dodge Sportsman Van mit dem Spitznamen »Moon Trash II« legte er zusammen mit Steve Smith, Jim Williams und seinem Sohn Brock Jr die 4608 Kilometer von der »Red Ball Garage» in der East 31st Street in Manhattan zum »Portofino Inn« in Redondo Beach, LA, in 40 Stunden und 51 Minuten zurück.

Die ausgestellten Radkästen traten zunächst am für Walter Wolf angefertigten Werksunikat in Erscheinung. Die Antennen, den Frontflügel und die zwölf Auspuffrohre erhielt der Wagen eigens für den Film.

Kurz darauf erschien ein ausführlicher Bericht von Yates in der Zeit- schrift »Car & Driver«. Die Leser waren von diesem Abenteuer so begeis- tert, dass sie Yates drängten, es zu wiederholen. Am 15. November 1971, kurz nach Mitternacht, versammelten sich acht Autos in New York, um die Fahrt nach Westen anzutreten. Diesmal fuhr Yates gemeinsam mit Dan Gurney in einem Ferrari 365 GTB/4 Daytona. Sie kamen als Erste an, legten die Strecke in 35 Stunden und 54 Minuten zurück und erreichten eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 128,7 km/h. Mit diesem Coup erlangte das Cannonball-Rennen Legendenstatus und wurde bis 1979 jährlich (und immer öfter illegal) ausgetragen.

Die gesetzlose Seite des Rennens gefiel dem Hollywood-Regisseur und ehemaligen Stuntman Hal Needham, der den Film »Ein ausgekochtes Schlitzohr« (Originaltitel: »Smokey and the Bandit«) mit Burt Reynolds in der Hauptrolle geschrieben und inszeniert hatte. Er bat Yates, das Drehbuch für seinen neuen Film zu schreiben. Der im Sommer 1980 gedrehte Streifen »The Cannonball Run« zeigte bemerkenswerte Autos in Aktion und zeugte von der Kompetenz und Leidenschaft von Yates und Needham. Die Traumfabrik Hollywood machte damit den Lamborghini Countach, der das Rennen im Film gewann, zum Star.

»Wie viele andere aus meiner Generation, die Autos lieben, habe auch ich den Film gesehen«, sagt Jeff Ippoliti, der heutige Besitzer des Countach aus Celebration, Florida. »Ich war 18 Jahre alt, aufgewachsen im Hinterland von New York, und verliebte mich in den Countach. Es war das erste Mal, dass ich ein solches Auto in Aktion sah. Der Sound hat mich total überwältigt. Bis dahin hatte ich Lamborghini und Ferrari nur in Zeitschriften gesehen. Ich war wahrscheinlich ein Dutzend Mal im Kino, und selbst in meinen kühnsten Träumen hätte ich nicht gedacht, dass ich einmal einen Countach besitzen würde, schon gar nicht den, der im Film verwendet wurde.«

Text Massimo Delbò // Fotos mit freundlicher Genehmigung von Preston Rose/Hagerty Drivers Foundation // Bearbeitung Christel Flexney

Lesen Sie in OCTANE #58, wie dieser Countach das Cannonball-Rennen überlebte.

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