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Die Wurzeln von Audi liegen im Osten Deutschlands. Glen Waddington fuhr mit einem einsamen Überlebenden der in Zwickau gegründeten Marke rund um Berlin.

Selbst hier ins ländliche Hinterland der deutschen Hauptstadt verirrt sich kein Trabant oder Wartburg mehr. Das einzige Ex-DDR-Mobil, das wir bislang gesichtet haben, ist ein IFA P2M Jeep Baujahr 1957. Er gehört Peter Spillner, Besitzer der Fahrzeugrestaurierung Rosenow im südlich von Berlin gelegenen Glienick. Wie im übrigen Deutschland bevölkern hier vor allem VW, Opel, Mercedes und BMW die Straßen. Und natürlich Audi, darunter der 1929 gebaute R Typ Imperator, den Spillner für das Audi Museum Mobile in Ingolstadt restauriert hat.

Dieser Imperator ist der einzige Überlebende aus einer Serie von 145. Gebaut ab 1927 in Zwickau, wo August Horch schon 1904 seine erste Automobilfabrik errichtet hatte. Wegen Streitigkeiten mit dem Finanzvorstand musste er jedoch die Horch AG verlassen und gründete mit befreundeten Investoren 1909 ebenfalls in Zwickau die August Horch Automobilwerke GmbH. Den daraus folgenden Rechtsstreit um die Namensrechte an »Horch« löste er elegant mit der lateinischen Übersetzung des Imperativs »horch!« in »audi«. Und aufhorchen muss man wirklich bei diesem mächtigen Wagen, der in mancherlei Hinsicht speziell ist.

Hier rollt der erste Achtzylinder der Marke Audi mit der magischen Grenze von 100 PS.

Zum ersten Mal kam Audi auch mit einem Dreiganggetriebe aus – Zeugnis des schon bei 1100 U/min erreichten Drehmomentgipfels. Schon mit acht km/h ließ sich der Imperator im direkten Gang ruckfrei bis zur Höchstgeschwindigkeit beschleunigen. Schließlich die Bremsen – die statt hydraulisch wie noch im Typ M nur mechanisch betätigt wurden. Und das Tollste: Obwohl der Typ R mehr Platz und 30 PS mehr bot, kostete er mit 16.575 Reichsmark ehr als 30 Prozent weniger als der 22.300 RM teure Vorgänger. Was neben dem wesentlich einfacheren Motor den um 47 Prozent niedrigeren Herstellungskosten geschuldet war. Verkauft wurden ausschließlich Fahrgestelle und keine komplett karosserierten Fahrzeuge.

Dies ist ein großer Wagen von 5,20 Meter Länge und einer offenen Tourenwagen-Karosse (sechssitziger Phaeton). Auf dem Haupt seines 4,9-Liters prangt – wie bei allen Audi ab Ende 1924 – eine »1« als Kühlerfigur – Ausweis für den Anspruch, die Nummer 1 der deutschen Auto- bauer sein zu wollen. Eine Etage darunter prangt vor dem Kühler eine glänzende »8«, wie bei Horch, um den Oberklasse-Status anzuzeigen.

»ICH GEWÖHNE MICH DARAN: ÜBERS KOPFSTEINPFLASTER WIE AUF KATZENPFOTEN ENTLANGTROTTEN – UND DANN DEN VERKEHR DURCHSCHNEIDEN WIE EIN HAI EIN MEER VOLLER TINTENFISCHE«

Damit nähern wir uns dem Ende unserer Sightseeing Tour durch Berlin. Sie führt über die Art Deco-Apartmentgebäude im noblen Stadtteil Dahlem, bekannt auch als »Berlins Oxford«, und an der Freien Universität Berlin vorbei zurück ins beschauliche Glieneck. Wo wir nun Peter Spillner treffen.

»Das ist der einzige Wagen, für den ich eine Karosserie aus nichts gefertigt habe, sagt er. »Ich fuhr nach Ingolstadt um zu sehen, was sie dort hatten und was sie wollten. Ralf Hornung hatte eine Zeichnung für einen hölzernen Rahmen. Den Rest mussten wir bauen, es gab kein Dach und keine Windschutzscheibe. Also setzte ich mich mit meinem Karosseriebauer zusammen, um einen Plan auszuarbeiten. Das Holz gibt die Form vor, dann klopft man das Metall darüber zurecht. Die ganze Arbeit liegt in den kleinen Dingen. Sogar die Türgriffe haben wir selbst gefertigt, ebenso die Klammern für die Scheibe. Ralf hatte eine Scheibe von einem anderen Auto; die haben wir uns als Vorlage ausgeliehen. Doch um alles korrekt zu machen, dienten in erster Linie Fotos vom Original-Fahrzeug.«

Der fertige Wagen ist ein Triumph, bis hin zu den Chromblenden der Einstiegsleisten, auf denen der Schriftzug »Rosenow-Wagenbau, Glienick« zu lesen ist. So imposant dieses über 90-jährige kaltblütige Drehmomentwunder heute auf uns wirkt, so wenig konnte es in den wirtschaftlich prekären späten 1920ern erwärmen. Selbst prominente Kunden wie Cecilie, letzte Kronprinzessin des deutschen Kaiserreichs, konnten den Absatz nicht erhöhen – sie wechselte mit fliegenden Fahnen zu Horch.

So blieb es nach fünf Prototypen (1927) sowie 58 (1928) und 82 (1929) Serienmodellen bei 145 Imperatoren. Noch Ende 1931, also fast zwei Jahre nach Produktionsende, standen 38 Typ R unverkauft auf Halde. Bis zum nächsten Audi mit Achtzylinder-Motor sollten dann 56 Jahre vergehen – dem Audi V8 von 1988.

Fotos Stefan Warter // Bearbeitung // Thomas Imhof

Lesen Sie in OCTANE #49 die ganze Geschichte vom Audi Imperator auf seiner Fahrt durchs historische Berlin.

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