Klassiker

Der richtige Stoff

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50 Jahre ist es her, dass Porsche den 911 Carrera RS 2.7 auf den Markt brachte, den kultigsten 911er überhaupt – und den ersten mit Heckspoiler. Matthew Hayward trifft den verantwortlichen Aerodynamiker und vergleicht die beiden Versionen des legendären Autos.

Es war ein holpriger Start. “Auf der Teststrecke haben alle über diesen 911 gelacht. Sie meinten, dass er mit diesem seltsamen Ding am Heck auf keinen Fall schneller sein kann … aber es hat sich gelohnt.” Es lässt sich nicht leugnen, dass Tilman Brodbeck – der Vater des Porsche-Entenbürzels – eine schwierige Aufgabe vor sich hatte, als er den Auftrag erhielt, das Fahrverhalten des 911 auf der Rennstrecke zu “reparieren”, doch der junge Ingenieur nutzte seinen Background aus der Flugzeugtechnik und der Aerodynamik und tat genau das. Die tagelange Tüftelei im Windkanal brachte eine Legende hervor: den 911 Carrera RS 2.7.

Allein die Erwähnung der Buchstaben RS für Rennsport dürfte jedem Porsche-Enthusiasten einen Schauer über den Rücken jagen. Die Bezeichnung verkörpert das Streben des schwäbischen Unternehmens nach Perfektion auf der Rennstrecke. Seit ihrer Einführung, die einen Wendepunkt in der Geschichte von Porsche markierte, sind nun 50 Jahre vergangen.

Auf dem Pariser Salon de l’Automobile feierte der Carrera RS im Oktober 1972 sein Debüt.

Am 5. Oktober 1972 auf dem Pariser Autosalon der Weltöffentlichkeit vorgestellt, war dieser Wagen nicht nur der erste 911er, der den Namen Carrera trug, sondern auch der erste Porsche mit der Zusatzbezeichnung RS. Er war ein reines Homologationsfahrzeug, von Beginn an mit dem Ziel entwickelt, Profi-Teams und Privatfahrern gleichermaßen einen rennstreckentauglichen 911 zu bieten. Was perfekt funktioniert hat. Doch während der RS 2.7 als Gruppe-3- und -4-Version bald Rennsiege im Dutzend holte, katapultierte ihn sein Fahrverhalten auf der Straße in die Stratosphäre des Sammlermarktes. Und natürlich haben die daraus resultierenden hohen Werte dem RS den Status eines begehrens- und verehrenswerten Fahrzeugs eingebracht. Doch wird er diesem Ruf auch nach 50 Jahren noch gerecht?

Ich werde es gleich herausfinden. Zum ersten Mal sitze ich am Steuer eines absolut perfekten Exemplars: eines gelben Touring, der direkt aus dem Porsche-Museum kommt. Es ist ein brütend heißer Tag in Zuffenhausen auf dem Gelände des “geheimen Lagers” des Porsche-Museums, in dem der Hersteller den überwiegenden Teil seiner historischen Sammlung aufbewahrt. Den schlanken Original-RS in der Gegenwart der Nachfolgemodelle 964 und 993 RS zu sehen – ganz zu schweigen von so ziemlich jedem 911 GT3 – ist geradezu erhellend.

Das gelegentliche Knallen und Knacken des Auspuffs im Schubbetrieb verrät die auf die Rennstrecke ausgerichtete Vollblutnatur dieses Autos. Unter der Motorhaube sitzt eine 2,7-Liter-Version des luftgekühlten Sechszylindermotors aus dem 2.4 S, auf dem der RS ursprünglich basierte. Dank Benzineinspritzung gibt er sich auch im unteren Geschwindigkeitsbereich zivilisiert und gefügig, doch die hochmodernen, reibungsarmen nikasilbeschichteten Zylinderwände, die die gefährlich dünnen Bohrungswände eines Motors verstärken, der nicht für eine derartige Leistungsausweitung gedacht war, sind so ziemlich die einzige radikale Veränderung. Aber gerade dadurch erreicht er seine 210 PS.


Die Leichtbau-Version ist etwas mehr “hardcore” – und wertvoller – als der Touring.

Schon auf den ersten langsamen Kilometern durch einige der etwas stärker besiedelten Dörfer und Städte im Umfeld offenbart sich der aufgeschlossene Charakter des Wagens. Die Lenkung ist leichtgängig, auch bei niedrigen Geschwindigkeiten, und obwohl es ein wenig Geduld erfordert, alle Gänge in der etwas ungenauen Schaltkulisse zu finden (auch das ist bei einem 911er dieses Alters normal), sind die Schaltvorgänge selbst zufriedenstellend. Abgesehen von der typischen versetzten Sitzposition ist der RS auch überraschend bequem. In der Touring-Ausführung (M472) entspricht der Innenraum fast vollständig dem des 2.4 S, mit großen, bequemen Sitzen und allen serienmäßigen Ausstattungselementen.

Zum Thema Fahren später mehr. Jetzt hat Tilman Brodbeck erst einmal eine Geschichte über das Heck – und anderes – zu erzählen. Nachdem er als Karosserietechniker bei Porsche angefangen hatte, stellte er fest, dass sein Background in Flugzeugtechnik und Aerodynamik ihm ein Fachwissen gab, das er beim 911 gut gebrauchen konnte: “Es gab ein Problem mit dem frühen Auto. Es war vorn sehr leicht und anfangs haben wir Blei in die Frontstoßstange getan, um sie etwas schwerer zu machen. Nach einem Jahr der Forschung und des Testens haben wir im Windkanal der Uni Stuttgart dann diese spezi- elle Form für die vordere Stoßstange entwickelt.”

Der Einbau von Brodbecks neuer Schürze in den 911 2.4 S führte zu einer deutlichen Verringerung des Auftriebs an der Front und erhöhte die Stabilität des Autos bei hohen Geschwindigkeiten. Er fährt fort: “Unser technischer Geschäftsführer Ferdinand Piëch wollte das so schnell wie möglich in die Produktion bringen, weil es auch den cw-Wert verbesserte. Doch die Einkaufsabteilung meinte, es würde mindestens zwei Jahre dauern, um die Werkzeuge und Formen für ein Stahlteil herzustellen. Piëch hatte daraufhin die Idee mit der Glasfaser. Aber was würde passieren, wenn man gegen die Bordsteinkante führe und der Ersatz teuer würde? Für Piëch kein Problem: Das würde den Ersatzteilverkauf ankurbeln!”

Text: Matthew Hayward // Fotos: Porsche // Bearbeitung: Christel Flexney

In OCTANE #61 erfahren Sie, wie die Entwicklung des Carrera RS 2.7 weiterging und wie er sich im Detail fährt.

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