Klassiker

Britische Rarität

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Einst im Erstbesitz eines britischen Schauspielers ist dieser nahezu unangetastete Aston Martin MK II nach einem halben Jahrhundert aus einem Scheunenversteck aufgetaucht.

Einer der großen Fortschritte unserer Social­-Media­-getriebenen Welt ist die Demokratisierung der Hyper­bel. Ehemals Politikern, Journalis­ten und Werbetextern vorbehalten, ist das sprachliche Stilmittel der Übertreibung heute für alle da … und so zwangsläufig verwässert.

»Ikonenhaft« bedeutet heute kaum mehr als »ziemlich gut«, als »legendär« gilt etwas, »von dem man vielleicht schon mal gehört hat«, und die »nationale Größe« bezeichnet »einen sehr beliebten Menschen« – der aber darüber hinaus seiner öffentlichen Rolle womöglich kaum gerecht wird. Und sogar in unserer kleinen Welt gibt es ein Beispiel: Wurde je ein Wort so über­strapaziert wie »Scheunenfund«?

Dieser Mk II zeigt, wie die Autos damals wirkllich waren. Er ist einer der ältesten, nahzu unverändert Überlebenden jener Epoche.

Aber mit einem solchen haben wir es hier wirklich zu tun. Es ist ein Aston Martin Mk II von 1934, der – wegen seiner erstaunlichen Originalität – nicht nur auf einzigartige Weise zeigt, wie diese Autos damals waren, sondern auch einer der ältesten, nahezu unveränderten Überlebenden seiner Spe­zies ist. Aston Martin hatte kaum mehr als 300 Autos gebaut, als dieser Wagen die Fabrik ver­ ließ. Jeder, der mit ihm zu tun hat, kennt ihn als 402, nach seiner Chassisnummer B4/402/S. Da die Fahrgestellnummern des Mk II und seiner Sportversion namens Ulster bei 400 begannen, ist dieses Auto das dritte dieses Typs. Es entstand im Februar 1934 an dem Ende 1926 neu bezoge­nen Firmenstandort in Feltham in der Grafschaft Middlesex und wurde zeitgleich mit dem anerkannt ersten Ulster gebaut, Fahrgestell 403.

Natürlich ist es mit einem Ulster, den es auch mit einer schnittigeren Zweisitzerkarosserie gab, etwas leichter, bei der Mille Miglia starten zu dürfen. Doch rechtfertigt das den Kaufpreis von 1,7 Millionen Euro für einen Ulster gegenüber 350.000­ bis 450.000 Euro für einen guten Mk II?

Der Besitzer nahm ihn 1969 mit einem Motorschaden von der Straße – und steckte ihn für 50 Jahre in eine Scheune.

Beim Mk II verfolgte Aston Martin unbeirrt seinen kommerziell waghalsigen Weg, so gut wie alles im eigenen Haus zu bauen, während andere Hersteller alles, was sie konnten, anderswo ein­ kauften und sich allein auf die Montage konzent­rierten. Was insgesamt billiger war. Zugegeben, er hatte eine ENV­-Hinterachse und zugekaufte Inst­rumente und Scheinwerfer, aber alles andere, egal ob Bremse oder Getriebe oder Benzinstutzen, kam aus dem Hause Aston. Dieses Beharren auf Selbstversorgung erklärt, warum die Autos so teuer waren (besonders im Fall des 1,5­-Litre) und warum die Firma kein Geld verdiente.

Die gesamte Vorkriegsproduktion von Aston umfasste nur etwa die Hälfte der Produktion des späteren DB5. Das macht die Vorkriegsautos – auch wenn Aston nie Massenproduktion betrieben hat (die Firma wird 2021 ihr 100.000. Auto bauen, in ihrem 108. Geschäftsjahr) – zu echten Raritäten. Und je tie­ fer man in die Materie einsteigt, desto einzigarti­ger wird der 402. Bedenkt man, dass von allen Mk II (kurzes Chassis, langes Chassis, Ulster, Limousine und so weiter) nur 165 Exemplare gefertigt wurden und dass nur 61 davon 2+2­Sit­ zer waren wie dieser, dass einige dem Verfall anheim gefallen sind und dass die meisten ande­ren mindestens einmal restauriert wurden, dann erkennt man, dass der 402 einen ganz besonde­ren Status einnimmt.

Von den 165 gebauten Aston Martin MK II ist dieser praktisch als einziger fast komplett im Originalzustand – eine absolute Rarität.

Der erste Besitzer war der britische Schauspie­ler Sir Ralph Richardson, der überwiegend auf der Bühne zu Hause war, aber auch in Literaturverfil­mungen wie etwa »Doktor Schiwago« mitspielte. Damals musste man ziemlich reich sein, um sich einen Aston Martin leisten zu können, aber einen Führerschein brauchte man 1934 in England noch nicht. Die Einführung dieses Nachweises ein Jahr später gilt gemeinhin als der Grund dafür, dass viele der Autos schnell in neuen Besitz übergingen.

In diesem Fall war das ein J. H. Thomas, der nach eigenen Angaben das fünfte Mitglied im »Aston Martin Owners Club« (AMOC) war, was bedeuten würde, dass er den 402 im Jahr 1935 besaß. Als nächster Besitzer gilt ein gewisser G. L. Hawkins, der das Auto nach zwei Jahren an den in Leicester praktizierenden schottischen Arzt Cecil Gibson verkaufte, der wiederum später Betriebsarzt des AMOC wurde und James Bond, über Ian Fleming, einlud, dem Club beizutreten. Fleming antwortete, dass er, da weder er noch Bond im Besitz eines Aston Martin seien, die Einladung an die Fahrbereitschaft des MI6 wei­tergegeben habe. Als Besitzer Nummer fünf folgte ein Mister G. R. Edmondson aus Woking, der ihn aber nur kurze Zeit besaß, bis Tony Bubb ihn 1962 für 365 Pfund erstand – kaum weniger, als ein neuer Mini damals kostete.

Nachdem der 402 aus Bubbs Scheune befreit wurde, stellt sich die 64.000­Euro­-Frage: Wie geht es weiter? Blakemore will anderen Leu­ten nicht vorschreiben, wie sie ihr Geld auszuge­ben haben, aber wenn es nach ihm ginge, sollte der Wagen nur konserviert, nicht aber restauriert werden. »Eine Konservierung ist immer befriedi­gender als eine Restaurierung. Es ist nicht so schwierig, einen restaurierten Mk II zu kaufen, aber dies ist wahrscheinlich das letzte Exemplar, das man in diesem originalen, aber rettbaren Zustand kaufen kann.«

Text James Elliott // Fotos Matthew Howell // Bearbeitung Christel Flexney

Lesen Sie in OCTANE #53, was der letzte Aston-Besitzer mit dem Mk II erlebte.

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