Der Round Door Rolls-Royce von Anna Dodge, ein umgebauter 40/50 H.P. Phantom I
Klassiker

Undenkbar, ungeheuer, unerreicht

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OCTANE Edition #03 Best of British

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Text David Burgess-Wise // Fotos Scott Williamson

WAS DEN NICHT BEKANNTEN DESIGNER DES ROUND DOOR ROLLS-ROYCE INSPIRIERT HAT, BLEIBT INDES VERBORGEN. WAS ZÄHLT, IST SCHLUSSENDLICH OHNEHIN DAS ATEMBERAUBENDE ERGEBNIS

Der vierte Besitzer des Rolls-Royce 40/50 H.P. Phantom I (auch New Phantom genannt), ein gewisser H. Smith, kaufte im Jahre 1935 den Phantom und gab vermutlich den berühmt-berüchtigten Umbau in Auftrag. Seine Wahl fiel auf einen ungewöhnlichen Karosseriebauer. Denn die 1881 von Henri Jonckheere in West andern gegründete Firma für Pferdewagen hatte seit Jahren keinen einzigen Personenkraftwagen mehr karossiert. Herr Smith war aber anscheinend dennoch davon überzeugt, der auserwählte Karosseriebauer würde die veraltete Hooper-Form durch etwas ersetzen, das es so noch nie zuvor gegeben hat. Das heutige Ergebis liefert eindeutig den Beweis: Er hatte richtig gelegen.

In Detroit war es die »Hochzeit des Jahres«: Die Motor-Millionärin Anna Dodge, Witwe von Horace Elgin Dodge Sr., heiratete Hugh Dillman. Zur Feier lud die Gastgeberin, eine der reichsten Frauen überhaupt, in eine schlossähnliche Villa in Grosse Point, der High-Society-Enklave von Motor City Detroit. Für die Flitterwochen begab sich das Paar im Mai 1926 auf das bei seinem Stapellauf in Hamburg größte Schiff der Welt: die RMS Berengia. Es ging in die alte Welt, es ging – selbstredend – nach England. Den Immobilienmakler aus Florida hatte Anna Thompson Dodge in Venedig kennengelernt – munkelten die Klatschreporter.

Der Round Door Rolls-Royce im Profil
Nachdem Anna Dodge den 40/50 H.P. Phantom I doch nicht haben wollte, welchselte der Wagen mehrfach den Besitzer. Der vierte gab vermutlich den Umbau zum Round Door Rolls-Royce in Auftrag.

Die Gondel, in der Mrs. Dodge und ihre Zofe unterwegs waren, kollidierte mit einem anderen Boot. Statt wieder ihren jeweiligen Kurs einzuschlagen, gerieten die beiden Gondoliere in einen heftigen Streit. Gerade als sie zu bedauern begann, sich ohne männlichen Schutz aufs Wasser begeben zu haben, bemerkte sie, wie eine weitere Gondel längsseits ging.

IN EINER NACHT, ALS DAS LICHT DES MONDS MIT VERFÜHRERISCHEM GLANZ IN DEN FLUTEN DES GRANDE CANALE BADETE, ALS OB DIE WELT AUS NICHTS ANDEREM BESTÜNDE ALS AUS EWIGER ROMANTIK.

Deren einziger Passagier war ein breitschultriger Kavalier, dessen Kleidung sich wie angegossen an seinen muskulösen Körper schmiegte. Hugh Dillman war der Prachtkerl, der wie gerufen zur Rettung unserer Heldin parat stand. Ein paar Worte in schneidigem Italienisch genügten, um die zeternden Bootsführer zum Schweigen zu bringen.

Die Flitterwochen sollten nach der Überfahrt als motorisierte Rundreise durch Frankreich und Italien gehen. Kaum angekommen in Southampton, begab sich das Paar in den Londoner Showroom von Rootes und erwarb dort ein Vorführ-Cabrio: einen Rolls-Royce 40/50 H.P. Phantom I (auch New Phantom genannt), aufgebaut von dem Stellmacher Hooper. Für die Spritztour auf dem Kontinent durchaus angemessen, doch der Dame gefiel das Fahrzeug nicht. Zwei Wochen später retournierte sie das Gefährt (mit der Fahrgestellnummer 94MC) bei Rootes gegen ein anderes Cabriolet (59SC).

Runde Tür des Round Door Rolls-Royce
Das namensgebende Teil des Rolls: Was den unbekannten Designer wohl zu den runden Türen bewogen hat?

Dann ging es mit dem Schnelldampfer wieder über den Atlantik, im Gepäck auch der Austausch-Rolls. Das kleine Glück der frisch vermählten Turteltauben nahm ein jähes Ende, als ihre 80-Meter-Yacht Delphine zwischen New York und Palm Beach Feuer fing. Zum Glück konnte sie für 800.000 Dollar wieder instand gesetzt werden – kein Pappenstiel bei einer 2-Millionen-Yacht mit 60 Mann Besatzung, königlicher Ausstattung inklusive einer Orgel, bei der allein die Pfeifen auf 60.000 Dollar taxiert wurden. Der Gürtel musste enger geschnallt werden: Aufgrund der hohen Unterhaltskosten wurde die Delphine 1935 trockengelegt; bis sie 1942 von der Navy beschlagnahmt wurde und Admiral Ernest J. King als Flaggschiffdiente.

FÜR DIE SPRITZTOUR AUF DEM KONTINENT DURCHAUS ANGEMESSEN, DOCH DER DAME GEFIEL DAS FAHRZEUG NICHT.

Die Ehe des Jahres erwies sich als weniger flexibel oder belastbar. Trotz 100.000 Dollar Taschengeld (jährlich) und Treuhandfonds ($ 6 Mio.) für Dillman. Nach längerer Trennung war 1947 Schluss. Anna hatte es nie verwunden, in einer Koje der Delphine ihren Mann mit einem Matrosen ertappt zu haben.

Kurz nach der Ankunft der Dillmans in der Heimat wechselte der 94MC die Besitzer: Raja Mohammed Siddiq Khan aus Uttar Pradesh, Indien, übernahm den Wagen am 25. September 1926. Der Raja von Nanpara, ein Abkömmling des Abenteurers Rasul Khan, herrschte über einen Landstrich mit mehr als 300 Dörfern und riesigen Wäldereien. In seiner Garage parkte bereits ein Silver Ghost. Der Phantom (auch mit Aufbau von Rootes) wurde angeblich vor allem bei seinen Aufenthalten im englischen Part des Vereinigten Königreichs genutzt. Der nächste Eintrag im Fahrzeugbrief, datiert im September 1933, belegt das Londoner Autohaus George Newman & Co. als neuen Besitzer.

AM 17. AUGUST 1935 ERSTAND ER DEN PHANTOM UND GAB VERMUTLICH DEN BERÜHMT-BERÜCHTIGTEN UMBAU IN AUFTRAG.

An dieser Stelle beginnt die Geschichte der Round-Door-Version Wagen. Der vierte Besitzer war ein gewisser H. Smith, der als Adresse das Hotel Welcome in der Rue la Soi in Brüssel angab. Am 17. August 1935 erstand er den Phantom und gab vermutlich den berühmt-berüchtigten Umbau in Auftrag. Seine Wahl fiel auf einen ungewöhnlichen Karosseriebauer. Denn die 1881 von Henri Jonckheere in West andern gegründete Firma für Pferdewagen hatte seit Jahren keinen einzigen Personenkraftwagen mehr karossiert. Herr Smith war anscheinend davon überzeugt, der auserwählte Karosseriebauer würde die veraltete Hooper-Form durch etwas ersetzen, das es so noch nie zuvor gegeben hat.

Der Rolls-Royce, mittlerweile weiß lackiert, war nach längerem Aufenthalt im Depot bereits in den 1980er-Jahren an einen japanischen Sammler weiterverkauft worden. Mit nicht einmal 5000 Meilen auf dem Tacho für 1,5 Millionen Dollar. Der Sammler stellte ihn gelegentlich für Ausstellungen zur Verfügung.

2001 schließlich erwarb das Petersen-Museum in L.A. den Jonckheere-Giganten. Tired Iron Works erledigte eine Komplettüberholung; die Firma aus Monrovia hatte bereits allerlei Pebble-Beach-Sieger auf der Referenzliste. Bei der Restaurierung stellte man fest, dass das ohnehin schon langgezogene Fahrwerk des Phantom von den belgischen Karosseriebauern noch weiter verlängert wurde, um es an die ausladenden Formen der neuen Karosse anzupassen. Im kalifornischen Monrovia erhielt er auch die schwarze Lackierung, mit der die futuristischen Konturen optimal zur Geltung kommen.

DER UNBEKANNTE KAROSSERIEBAUER WÄHLTE EINE FORM, DIE ES BIS DATO NOCH NIE GEGEBEN HATTE.

Der überarbeitete Round Door Rolls-Royce wurde in Pebble Beach im Jahr 2005 vorgeführt und gewann die Lucius Beebe Trophy als »der Rolls-Royce, der am deutlichsten in der Tradition von Lucius Beebe steht, einem Bonvivant, der zu unseren frühesten Juroren gehörte«. Der leichtlebige Mr. Beebe, der stets in seinem eigenen privaten Eisenbahnwaggon zu reisen pflegte, war für die Philosophie bekannt: »Wenn man schon etwas anpackt, dann sollte man es stilvoll angehen, allein auf sich selbst hören und sich verdammt noch mal um keine Einwände anderer Leute scheren.« So gesehen hat dieses einzigartig gestaltete Automobil mit der Lucius Beebe Trophy die denkbar perfekteste Anerkennung erhalten.


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