Detailfoto einer Pizza
Szene

Roadbook: Perfekte neue Welt?

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OCTANE#13

 

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Text Gabriele Spangenberg, Berthold Dörrich

Wer weiß: Der eine oder andere Autohersteller baut vielleicht ein nicht perfektes, dafür aber hoch emotionales Auto, mit dem wir so viel Spaß haben können, dass der Belag von der Pizza gerutscht ist, bis wir zu Hause sind! 

Presenting Editor Gabriele Spangenberg
Presenting Editor Gabriele Spangenberg

// Lieber Berthold,
sag mal, steh ich auf dem Schlauch? Habe ich missverstanden, warum Autos gebaut werden? Ich zweifle ja schon eine ganze Weile, aber der aktuelle Anlass meiner Verwirrung war die Women’s DLD (Digital Life Design) Konferenz in München, eine Konferenz über digitales Leben. (Eine spannende Veranstaltung, by the way!). Diskutiert wurde unter anderem, wie gerade überall auf der Welt, über die Mobilität der Zukunft. Nun war es aber so, dass dort mehr über sinnvolle Nutzung der Zeit in den Staus der Megacities gesprochen wurde, also mehr über Stillstand, als über Bewegung. Selbst von dem dort vertretenen bayerischen Sportwagenhersteller. Kurz gesagt, es entstand der Eindruck, sie entwerfen Vehikel für Staus …

Bis jetzt war ich ja immer der Meinung, Autos wären zum Fahren, aber da habe ich wohl etwas falsch verstanden. Gänzlich blöde kam ich mir vor, als von der Vertreterin der Singularity University ein 3D-Drucker vorgestellt wurde, der alles nach Hause beamt. Geschirr? – Ausdrucken! Hocker? – Ausdrucken! Gewehre? – Ausdrucken! Dazu wurden Bilder gezeigt von Geschäften mit leeren Regalen – ein Albtraum (zumindest jeder Frau). Fast hätte ich sie gebeten, mir mal eben eine Wassermelone auszudrucken. Das konnte ich mir gerade noch verkneifen. Als sie dann aber davon sprach, dass in ihrer Vision der Mobilität der Zukunft Menschen und Dinge wie Waren transportiert und ausgeliefert werden sollen, während das Bild einer schlabberigen Pizza erschien, hatte ich genug.

Ich rief entsetzt in den Saal: „Ich bin keine Pizza! Ich möchte weder geliefert noch ausgeliefert werden! Ich fahre selber – und dies mit sehr viel Feuer und Vergnügen. Auch zum Einkaufen!“,  was mit johlender Begeisterung vom Publikum begrüßt wurde. Findest Du nicht auch, dass wir durch solche Visionen entmündigt werden? Ich möchte nicht nur selbst fahren, sondern auch meinen Kofferraumdeckel schnell zuknallen, ohne dabei irgendeinen leise surrenden Motor zu beschädigen, der ja auch nichts anderes kann als ich: Deckel schließen!

Dasselbe gilt für Sitzpositionen: Ich adjustiere sie schneller mit der Hand als durch einen leise surrenden Motor. Warum wird mir der Sicherheitsgurt von einem dürren Penüppel gebracht (angetrieben von einem entzückenden kleinen surrenden Motörchen)? Wenn ich meinen Gurt nicht mehr erreiche, sollte ich vielleicht keine Sportwagen mehr fahren. (Obwohl …) Wie viele solcher Motoren schleppe ich auf jede Meter mit mir herum, obwohl ich sehr gut auf sie verzichten könnte, zumindest zeitweise? Irgendetwas an dieser Idee der Fortbewegung scheine ich gründlich missverstanden zu haben! Ich bleibe dabei: I’m not a Pizza! Und ich möchte auch nicht wie eine ausgeliefert werden! Hilfe! //

Chefredakteur Berthold Dörrich
Chefredakteur Berthold Dörrich

// Liebe Gabriele,
das kommt davon, wenn man sich statt mit Oldtimern mit digitalem Lifestyle befasst. Dabei hatte ich Dich gar nicht im Verdacht, hier irgendwie anfällig zu sein! Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob ich Dir da wirklich helfen kann. Denn das eine oder andere Helferlein im Auto genieße ich schon (O. K., den Gurt kriege ich noch selbst …). Und bei drögen 120 auf der Schweizer Autobahn neulich war es schon toll, dass mein Auto fast von alleine fuhr: Abstands-Radar für die Geschwindigkeit. Lane Assist lenkt alleine, wenn Gefahr droht, über den Mittelstreifen zu kommen. Nebenbei konnte ich entspannt ein wenig das Auto aufräumen, die Mittelkonsole abstauben und dank Siri ein paar E-Mails schreiben.

Auf der anderen Seite: Kann es sein, dass uns die Autohersteller mit diesem Zeug den Zustand der Entmündigung, in den wir durch Gesetze und Sicherheitsvorschriften versetzt wurden, nur ein wenig angenehmer gestalten wollen? Damit wir nicht merken, wie sehr man uns gängelt? Mit Fahren hat das zugegebenermaßen nicht mehr viel zu tun. Und entsprechend langweilig empfinde ich immer mehr neue Autos. Viele davon sind so perfekt, dass schon große Gefahr besteht, mit Freude auf den Zug umzusteigen!

Unsere englischen Kollegen von Top Gear haben es einmal auf den Punkt gebracht, als sie sich fragten, warum der neue Lamborghini nicht mehr so gut ist wie der alte: Der Grund ist ganz einfach, dass er dir nicht mehr in jeder Kurve sagt: “I’ll kill you!” Werden wir also zwangsweise perfektioniert – auf der Strecke bleibt die Freude am Fahren? Kann es sein, dass auch aus demselben Grund immer mehr Menschen ihre Liebe zum Oldtimer entdecken?

Wo es wie bei einer alten Schallplatte knarzt und knistert – jenseits aller Perfektion? Pflegen mehr und mehr Automobilhersteller ihre Geschichte, weil vieles von dem, was in ihren Klassikern noch serienmäßig war, in ihren modernen Fahrzeugen nicht mehr zu finden ist? Wundert es da, dass der durchschnittliche Mercedes-Klassikerfahrer jünger ist als die Fahrer moderner Daimler? Neulich hatte ich das Vergnügen, einen BMW 3.0 CSL (ja, den mit dem Mörder-Flügel hinten drauf) auf menschenleeren ostdeutschen Landstraßen fahren zu dürfen. Mehr an Perfektion braucht kein Mensch, wenn es ums Fahren geht!

Nicht auszudenken, wieviel Spaß das Ding erst auf der Rennstrecke machen würde, wo weder staatliche Radar-Jäger noch grüne Geschwindigkeitsbegrenzer Zugang haben! Vielleicht versteht das ja der eine oder andere Autohersteller und baut uns ein nicht perfektes, dafür aber hoch emotionales Auto, mit dem wir so viel Spaß haben können, dass der Belag von der Pizza gerutscht ist, bis wir zu Hause sind! Bewerbungen werden unter 0711-380303-0 gerne entgegengenommen! ////

Roadbook: Die unterhaltsame Brieffreundschaft zwischen Gabriele Spangenberg (Presenting Editor) und Berthold Dörrich (Chefredakteur), an der die beiden Klassiker-Liebhaber uns in jeder OCTANE-Ausgabe teilhaben lassen, lässt häufig tiefer blicken. Vor allem aber gibt der Briefaustausch jedes Mal aufs Neue Grund zum Schmunzeln. Einblicke in einen Alltag, welcher unsere beiden Brieffreunde regelmäßig vor neue (Klassiker-)Fragen stellt.


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