Schlagzeile einer Zeitung mit einem reichen Mann im Oldtimer
Szene

Roadbook: Geldsack oder armer Irrer?

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Text Gabriele Spangenberg, Berthold Dörrich 

Unseren Brieffreunden, Presenting Editor Gabriele Spangenberg und Chefredakteur Berthold Dörrich, brennt die Frage unter den Nägeln, ob sie als Oldtimerfahrer bald zu einer hässlichen Minderheit gehören. Lesen Sie selbst!

Chefredakteur Berthold Dörrich
Chefredakteur Berthold Dörrich

// Liebe Gabriele,
gehören wir Oldtimerfahrer schon bald einer hässlichen Minderheit an? Bislang schlug mir überall, wo ich mit meinem Klassiker hinkam, Begeisterung entgegen. Die meisten Menschen erfreuten sich an meinem Enthusiasmus für den Erhalt von altem Eisen. Und wenn ich mal eine Panne hatte und am Rande der Straße selbst zum Schraubenschlüssel griff, dann entstanden daraus nicht selten faszinierende Begegnungen, die ich nicht vergessen werde. Der Dorfschmied machte auch am Samstag noch mal seine Werkstatt auf, damit ich meinen gerissenen Auspuff schweißen konnte. Trauben von Schulkindern umringten mich selbstvergessen auf ihrem Nachhauseweg.

Und neben meinem havarierten Auto bin ich auch schon mal ganz köstlich von einer mitfühlenden älteren Dame mit Essbarem versorgt worden. Das Schlimmste, was ich zu befürchten hatte, war die Einschätzung als armer Irrer, dem man gar nicht genug Mitleid entgegenbringen kann – oder die Vermutung meiner Mutter, dass da in ihrer Erziehung irgendwas schiefgelaufen sein muss. Jetzt befürchte ich aber, dass ich in Zukunft statt des erhobenen Daumens beim Vorbeifahren öfter mal den Stinkefinger gezeigt bekomme. Und statt freundlicher Hilfe erst mal nach einer platinfarbenen Kreditkarte gefragt werde.

Weiß doch mittlerweile jedes Kind, dass es sich beim durchschnittlichen Oldtimerfahrer um einen gestopften Geldsack handelt, dem es vor allem um die spekulative Mehrung seiner Reichtümer mittels eines Investments in Garagengold geht. Der maximal noch als betrügerischer Schrotthändler durchgeht, der noch das letzte Stückchen Rost auf Auktionen zu Geld macht. Als Frau und selbstfahrende Klassiker-Enthusiastin hast Du vielleicht noch einen kleinen Vorteil: das Zerrbild des Geldsacks ist normalerweise ja männlichen Geschlechts, und attraktive Damen werden da höchstens mal auf dessen Beifahrersitz vermutet. Aber auch das wird sich ändern!

Du zweifelst an meinem Gemütszustand? Findest, ein kurzfristiger Besuch bei meinem Therapeuten täte meiner Gesamtverfassung gut? Oder vertraust einfach darauf, dass mich die ersten Ausfahrten in der Frühlingssonne schon wieder auf andere Gedanken bringen werden? Sei Dir da mal nicht so sicher! Erst neulich bin ich über einen Artikel in der Huffington Post gestolpert. Deutschlands Superreiche seien viel reicher als bisher bekannt, wird da wieder mal vermutet. Nichts Neues – aber diesmal war der Artikel mit einem Foto aufgemacht, das mich stocken ließ: Lümmelte da doch ein feister Typ in einem Oldtimer herum und grinste selbstgefällig in die Kamera. Ist das unser Bild in der Öffentlichkeit? Der Oldtimerfahrer als Projektionsfläche für Neid und Missgunst! Überrascht uns das angesichts der Meldungen über immer neue Preisrekorde bei Oldtimern? Was sollen wir tun? Hast Du eine Idee? //

Presenting Editor Gabriele Spangenberg
Presenting Editor Gabriele Spangenberg

// Lieber Berthold,
so schaut’s aus. Die bittere Wahrheit ist endlich ans Licht gekommen. Sie lautet: Ja, genauso siehst Du aus in Deinem Altblech. Und noch schlimmer: ich sehe auch so aus! Noch schlimmer ist jedoch, dass die Superreichen NOCH rei­cher sind als angenommen. Was für eine Schlagzeile! Ich weiß zwar nicht, wer sich damit beschäftigt, über den Superreichtum anderer Leute zu spekulieren, aber diese Person oder Instanz hat sich anscheinend geirrt. Da hätte er, sie, es, seine Zeit sinnvoller damit verbracht, sich anständiger Lektüre (Octane) zu widmen, oder superreiche Freunde zu finden, die ihn, sie, es mal in ihrem (irrsinnig teuren, klar) Oldtimer auf eine Spritztour mitgenommen hätten.

An einem Tag wie heute, dem ersten schönen Frühlingstag, waren die Stra­ßen voller beglückter Oldtimerfahrer, die ihre Schätzchen nach langer Durstpause endlich ans Licht ließen. So einen Typen wie auf dem Bild hätte man unter ihnen vergeblich gesucht. Ich fürchte, er hätte sich schon allein durch sein schickes Hütchen, den cremefarbigen Anzug und den fetten Collegering als Amerikaner geoutet. Oder hat sich die Typologie der Superreichen hier über Nacht geändert? Klar, die alten Autos und ihr Markt geraten immer mehr in die Schlag­zeilen. Wer aber gleich bei jedem Klassiker an Superreiche und Platinkarten denkt, hat sie einfach nicht mehr alle.

Auch Dir, wenn Du abgekämpft, schweiß­ und ölgebadet mit irrem Blick aus Deinem Vorkriegswagen steigst, wird man weder Mitleid noch Hilfe versagen. Irre fragt man nicht nach Platinkarten! Zumindest wenn man logisch denkt. In Deutsch­land ist es doch auch eher so, dass ein 911er-­Fahrer verdächtigt wird, das Fahrzeug geleast zu haben, (zumindest hat man es heimlich). Ein Mercedes 220 E­-Fahrer wirkt dagegen schon mal wie der aufgeblasene Bürgermeister von Wurstkirchen, und bei einem Golffahrer denkt man sich eher nichts, da man getrost davon ausgehen kann, dass dieser sich ebenfalls nichts gedacht hat, zumindest was sein Image betrifft.

In Deutschland dürfen wir bei den meisten Autofahrern wohl getrost davon ausgehen, dass sie ärmer sind, als Ihre Fahrzeuge vermuten lassen. Aber Du fürchtest ja etwas anderes: den rufmäßigen Abstieg unserer Oldtimergemeinde. Mit wachsendem Markt werden wir sicher noch mehr Klassiker sehen, die Reichtum, Dekadenz und Überfluss suggerieren. Wirklich fragwürdig daran finde ich allerdings den »Reichtum« derer, die ihr Geld mit solch billigen, hetzerischen Texten und wahllos verwendeten Bildern verdienen. Fahren wir sie, unsere Autos, nach dem Motto des französischen Hosenbandordens: »Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.« Ein Trottel, der Superreichtum unter der Haut eines Oldtimers vermutet. Ein Böser, der sein Geld damit verdient, dieses seinen Lesern einzureden! ////

Roadbook: Die unterhaltsame Brieffreundschaft zwischen Gabriele Spangenberg (Presenting Editor) und Berthold Dörrich (Chefredakteur), an der die beiden Klassiker-Liebhaber uns in jeder OCTANE-Ausgabe teilhaben lassen, lässt häufig tiefer blicken. Vor allem aber gibt der Briefaustausch jedes Mal aufs Neue Grund zum Schmunzeln. Einblicke in einen Alltag, welcher unsere beiden Brieffreunde regelmäßig vor neue (Klassiker-)Fragen stellt.


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