Pininfarina Modulo stehend mit Model
Klassiker

Pininfarinas Hass-Liebe

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OCTANE#07

 

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Text Richard Heseltine // Fotos Mark Dixon

FÜR FABIO FILIPPINI IST DER MODULO EIN MEISTERWERK. TÄGLICH PASSIERT PININFARINAS DESIGNCHEF DIESEN FANTASTISCH FANTASIEVOLLEN FLUGKÖRPER AUF RÄDERN. SEINE WORTE DAZU BLEIBEN ÜBERRASCHEND SACHLICH, DOCH SEIN BLICK OFFENBART UNVERHOHLENE BEGEISTERUNG.

Dem Modulo, so Filippini ganz trocken und distanziert, verdanke er seine komplette Karriere. »Es ist schon erstaunlich, wenn man bedenkt, was damals noch alles möglich war. Die späten Sechziger und frühen Siebziger waren für Konzeptautos eine fantastische Zeit. Ganz oben rangieren für mich drei davon: der Bertone Stratos HF Zero, der Pininfarina Ferrari 512S Berlinetta Speciale und der Modulo. Besucher im Pininfarina-Museum zieht es automatisch zum Modulo.«

Kaum einer kann es fassen, wenn man ihm sagt, der sei von 1970. Der Modulo hat sich gut gehalten. Er passt in keine Schublade, ja, er sperrt sich immer noch gegen jeden Versuch, ihn zu beschreiben. Vollkommen unkonventionell und zugleich kompromisslos. Das könnte eine Erklärung sein, wie und warum er nicht altert.

Pininfarina Modulo im Pininfarina-Museum
Ursprünglich plante Designer Paolo Martin seinen Modulo in Perlmuttblau. Wann das Konzeptauto seinen schwarzen Lack erhalten hat, weiß bei Pininfarina keiner mehr.

Das alles ist noch verblüffender, wenn man sich vor Augen hält, dass Pininfarinas berühmteste Kreation um ein Haar nie realisiert worden wäre. Denn bei dem Designstudio war jeder dagegen – außer einem. Nur ein Mann glaubte an die Vision und er kämpfte für den Bau des Modells: der sträflich unterbewertete Paolo Martin. Er gehörte zu den originellsten Gestaltern seiner Generation. »Mein erster Wagen, der Ferrari Dino 206 Berlinetta Competizione, entstand bei mir zu Hause auf dem Balkon. Mit seinen schlichten Linien entsprach er der Ästhetik, die mir Michelotti beigebracht hatte. Dass er später Spoiler verpasst bekam – vorne und einen enorm großen am Heck – war die Entscheidung von General-Manager Renzo Carli.«

Cockpit des Pininfarina Modulo
Von außen wirkt der Modulo wie eine fliegende Untertasse auf Rädern. Im Inneren hingegen sieht er erstaunlich konventionell aus.

Die Einmischung Carlis mag ihn verärgert haben, doch richtig niedergeschmettert war er von der Reaktion des Teams auf seinen Modulo-Entwurf. Offenbar war Martin der weitere Verlauf seiner Karriere nicht so wichtig wie das Umsetzen dessen, was er für zwingend notwendig hielt. »Schon 1967 habe ich davon erste Skizzen angefertigt«, sagt er. »Die Idee war, ein von vorn bis hinten nahezu perfekt symmetrisches Auto zu zeichnen. Etwas dermaßen Radikales entsprach nicht der Kultur bei Pininfarina. Für meine Ideen war da kein Platz.«

NIEMAND BEI PININFARINA SCHIEN MARTINS MODULO ZU VERSTEHEN – DAHER ENTWICKELTE ER IHN IM GEHEIMEN WEITER, ALS DAS DESIGNSTUDIO IM SOMMER GESCHLOSSEN BLIEB

Stattdessen erhielt Martin den Auftrag, an einem Wagen zu arbeiten, aus dem am Ende der Rolls-Royce Camargue wurde – auch ein seltsamer Job und gestalterisch praktisch das Gegenteil des Modulo. Martin ließ sich nicht abschrecken, machte, wie ihm befohlen – und nach Feierabend gab er Gas mit dem Modulo.

Als das Studio im August 1968 wie in Italien üblich für den Sommer geschlossen wurde, fertigte er ein Modell im Maßstab 1:10 an. Es war rechtzeitig zum Ferienende fertig. Doch: »Sowohl Renzo Carli als auch Sergio Pininfarina waren damit so gar nicht glücklich. Sie waren einfach noch nicht so weit. Das Modell wurde beiseite gelegt, na ja, es wurde richtiggehend versteckt.« Im Unterschied zu vorher hatte Martin nun jedoch einen ebenfalls talentierten Designer auf seiner Seite: Franco Martinengo. Er war fasziniert vom Modulo.

Und was Martinengo sagte, wurde in der Chefetage ernst genommen. Ende 1969 bekam der Modulo grünes Licht. Der Modulo wurde in Stahl aufgebaut. Fertiggestellt wurde er am Abend vor dem großen Auftritt in Genf. Allerdings erst nach internem Gerangel. Carli ließ die Heckabdeckung durch eine reguläre Glasscheibe ersetzen, Martin baute sein gelochtes Stahlblech wieder ein. »Die Originalfarbe war ein dezentes Perlmuttblau«, erinnert Martin. »Doch Leonardo Fioravanti wollte alles schwarz lackieren. Ich habe mich darüber furchtbar aufgeregt, denn wenn einer so was durchdrückt, zeigt das doch, dass er den Wagen überhaupt nicht verstanden hat.« Sergio Pininfarina, von Anfang an skeptisch, fand das alles nicht überzeugend und überlegte ernsthaft, in Genf lieber gar keine Studie zu zeigen.

IN FRANCO MARTINENGO FAND PAOLO MARTIN ENDLICH JEMANDEN, DER SEINE LEIDENSCHAFT FÜR DEN MODULO TEILTE – UND DEM DIE GESCHÄFTLEITUNG AUCH ZUHÖRTE

Experten rümpften die Nase über den Modulo, doch bei den Messebesuchern war der Modulo ein Riesen-Hit. Deshalb wurde er nach seiner Enthüllung in Genf bei der Expo ’70 in Osaka und anschließend auf der Turin Auto Show – im originalen blassen Silberblau – auf ein Podest gestellt und gefeiert. Noch heute ist das außergewöhnliche Fahrzeug für manche etwas zu abgedreht, zu futuristisch. Ein Schock. Übersehen sollte man nicht, dass die Studie primär aus Styling-Gründen entwickelt wurde; der Zweck ist untergeordnet.

Bei Pininfarina kann sich niemand so recht daran erinnern, wann der Modulo umlackiert wurde. Verglichen mit der dramatischen Wirkung der Außenhaut wirkt das Innenleben geradezu konventionell, abgesehen von den beiden Halbkugeln im Einstiegsbereich. Die eine davon sorgt für Frischluft, in der rechten Halbkugel sind mehrere Funktionsschalter untergebracht. Weil der Modulo schon zum Mythos geworden ist, umranken ihn Gerüchte und verschwörerische Fragen. Man kann von dem Auto halten, was man will – die Wirkung, die der Modulo erzielt, ist nicht einmal ansatzweise verflogen.


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