Tatra T87 im Profil
Klassiker

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OCTANE#08

 

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 Text Matthias Penzel // Fotos DERDEHMEL

MAN KENNT TATRA ALS HERSTELLER VON MILITÄR- UND NUTZFAHRZEUGEN, DIE VOR NICHTS HALTMACHEN. ÄHNLICH UNBEIRRT BESCHRITT DER CHEFKONSTRUKTEUR HANS LEDWINKA IMMER EIGENE WEGE UND SCHUF MIT DEM TATRA T87 SEIN MEISTERWERK – UND EINEN WAGEN, DEN BIS HEUTE VIELE NICHT KENNEN.

Tatra-Chefkonstukteur Hans Ledwinka machte mit dem Tatra T87 seinen großen Wurf. Das Auto war wegweisend vor allem im Bezug auf Design und Technik. Es ist selten – und wohl einzigartig. Und gilt Ende der Dreißigerjahre als „tschechische Geheimwaffe“. Seinen Lebensabend verbrachte der Konstrukteur in München. Ein Rückblick auf den Erschaffer und sein ungewöhnliches Resultat.

Fast kein Auto ist schon auf den ersten Blick so befremdend, so auffällig. Ungestüm, mitreißend. Voller Wucht. Klasse mit Masse. Kein Zeitzeuge kann berichten, wie die Stromlinienwagen von Tatra gewirkt haben, als sie auf diesem Planeten erstmals gesichtet wurden. Einen Eindruck vermittelt immerhin ein Artikel über die Berliner Autoschau 1939. Nach Worten zu »Typenbereinigung«, KdF-Wagen und »großdeutschen Firmen« – schwer zu entziffern, da in altdeutscher Schrift – berichtet die Deutsche Kraftfahrt: »Nicht ganz neu, aber in Deutschland noch wenig bekannt ist der Tatra Typ 87, der zu den interessantesten europäischen Konstruktionen gehört.«

JAY LENO BESITZT EINEN TATRA T87 – ER LIEBT DEN WAGEN, EINFACH WEIL ER SO AUSSERGEWÖHNLICH IST

Tatra war eine der ersten Fabriken, die Autos in Stromform baute. Der Tatra T87 war wegweisend im Bezug auf Design und Technik, auf Aerodynamik, Fahrwerk und Spritverbrauch. Trotzdem ist er in Bildbänden mit Autoklassikern selten zu finden. Nach mehr als fünfzig Autos und Rennwagen, ähnlich vielen Lkw und Geländewagen, ist Tatra kaum mehr als eine Fußnote in der Geschichte des Automobils. Dabei ist es einer der ältesten Fahrzeughersteller überhaupt. Dennoch – nur die wenigsten kennen Tatra.

Tatra T87 frontal
Schon mit seinen drei Augen sieht der Tatra T87 aus wie ein Alien.

Anders als die Produktionsstätten von Bugatti, Horch oder Porsche war Tatra zu einer weit entfernten Zeit an einem komischen Ort – andererseits zur rechten Zeit am rechten Ort. Fest steht: Tatra ist der Unbekannte unter den Exoten. Die auch unter der Ganzstahlkarosserie revolutionäre Stromlinienlimousine ist eins der eigentümlichsten Autos überhaupt. Der T87 war der letzte große Wurf des Tatra-Chefkonstrukteurs Hans Ledwinka. »Keines meiner Autos«, stellt denn auch Jay Leno ganz sachlich fest, »ist mit meinem T87 zu vergleichen«.

Mit seiner ganzen Wucht und Eleganz ist der 1937 vorgestellte Tatra T87 fast so schön wie ein Dinosaurier. Und genauso selten. Der T87 und sein Vorgänger, der über fünf Meter lange T77, galten als »tschechische Geheimwaffe«. Fest steht, dass die kompakte preiswertere Version davon, der T97, von Hitler mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Grusel beäugt wurde – und daraufhin einem Mann quasi neben das Zeichenbrett auf den Schreibtisch gestellt wurde: Ferdinand Porsche. Aber das ist eine andere Geschichte, nachlesbar beispielsweise in Jonathan Mantles Buch “Car Wars”.

EIN UNBEKANNTER UNTER DEN EXOTEN: TATRA IST KAUM MEHR ALS EINE FUSSNOTE IN DER GESCHICHTE DES AUTOMOBILS

Zurück zum Stromwagen als Waffe. V8 im Heck, das Getriebe ans Hinterachsgehäuse angeflanscht, ist der T87 mit 1370 Kilo relativ leicht. Und leicht fliegt er auch aus der Kurve. Noch einmal Jay Leno: »Ich bin mir vollauf bewusst, dass er dieses Fahrverhalten hat. Beschreiben lässt sich das ein bisschen mit den frühen Porsche 356, wo das Heck ja gern ausbricht – nur ist der Tatra doppelt so lang!«

Cockpit des Tatra T87
Auch die Armaturentafel des Tatra T87 sieht aus wie aus einem Raumschiff.

Vom Fahrgefühl her ist das eher wie in einem Motorboot – und nicht unangenehm. Man kann mit einem Finger lenken, und wenn man vom Gas geht, schiebt er sich fast ohne Geschwindigkeitsverlust weiter nach vorne.« Für eine bessere Gewichtsverteilung der »Hecktypen« wurden ein paar Komponenten in den Bug integriert, neben der 12-V-Scintilla-Batterie zwei Reserveräder, der Ölkühler sowie der Benzintank. Der Tatra blieb hecklastig.

TATRA IST TROTZ SEINER UNBEKANNTHEIT EINER DER ÄLTESTEN HERSTELLER VON AUTOMOBILEN

Eins der auffälligsten äußerlichen Merkmale: die senkrechte Luftleitflosse im Heck. Sieht gut aus, Nebenwirkung prekär. Die Anekdote der Offiziere, die im Speed-Rausch die Kontrolle über das Schlachtschiff verloren haben, malt man sich zu gerne aus: Vollgas geradeaus, aber bei der ersten Windböe von links zuhöchst empfindlich. Bei Tatra und in einem T87 gerät man schnell ins Schwärmen und Schwelgen, allerdings kommt man auch verdammt leicht ins Schleudern.

Die Vorgeschichte zum T87 schrieb der T77. Für die Automobil-Revue war er 1934 »die radikalste Neukonstruktion des Pariser Salons«. Optisch und technisch wie aus einer anderen Welt. Wegen der exakt in der Wagenlängsachse angeordneten Steuersäule saß der Fahrer in der Mitte zwischen zwei Beifahrern. Kein 2+2-Tourer, sondern ein 3+3-Straßenkreuzer. Mit nervösem Heck.

In der deutschen Presse wurde Tatra ab 1933 kaum erwähnt. Bevor der T77 und der T87 das Licht der Automessen erblickten, schwärmte noch 1930 die ADAC Motorwelt beim Prager Salon: »Tatra steht ja turmhoch über allen mit seinen fortschrittlichen Konstruktionen und übertrifft damit auch die meisten Fabriken außerhalb der Tschechei«. Hans Ledwinka ist mit der Tatra-Geschichte fest verknüpft. Die wohl erste je serienmäßig gebaute Stromlinienkarosserie basierte auf Konzepten des Zeppelin-Aerodynamikers Paul Jaray und war durch Ledwinka und Erich Übelacker der Pontonform angeglichen worden.

DIE NEUEN TECHNOLOGIEN SIND IMMER BLITZSCHNELL SCHON WIEDER VERALTET. ANDERS BEI TATRA.

Jaray hatte diverse Aspekte seiner stromlinienförmigen Automobilkarosserien (fast immer mit kanzelförmigem Aufbau) schon Anfang der 20er-Jahre patentieren lassen. Trotzdem blieb im Automobilbau die Trennung zwischen Kotflügeln und Motorraum vorherrschend – auch weil man davon ausging, Frontmotoren seien für Reparaturen auf diese Weise besser zugänglich. Die Idee war keineswegs Mainstream, aber sie lag in der Luft.

Die neuen Technologien sind immer blitzschnell schon wieder veraltet. Anders bei Tatra. Immer vorne (Vierradbremsen serienmäßig ab 1914 in allen Sechszylindertypen), immer weiter. Innovationen wurden vielfach kopiert, nicht zuletzt das Layout mit Pendelachsen, Zentralrohrrahmen und Getriebe-Motor-Einheit vom Tatra T11 (von 1923) beim VW Käfer, Škoda, Renault 4 CV. Der Mann dahinter – Hans Ledwinka – war nicht unbedingt ein außerordentlicher Erfinder, aber ein genialer Entwickler.

Tatra-Emblem am Tatra T87
Das Emblem einer bis heute oftmals unbekannten Marke. Und dabei gehört Tatra zu den ältesten Automobilherstellern.

 

Der nach dem Ersten Weltkrieg vorgestellte Kleinwagen T11 hatte einen vorn eingebauten luftgekühlten Motor, Zentralrohrrahmen, Querblattfedern und hintere Halbachsen ohne zusätzliche Gelenke. Das »Tatra-Prinzip« blieb ein Markenzeichen, mehr als hundert Jahre lang. Entwickelt und perfektioniert wurde es auch aufgrund des Umfelds: Auf unebenen Wegen und rudimentärem Straßenbelag ist die Anpassungsfähigkeit unabhängig voneinander aufgehängter Räder mehr als vorteilhaft.

DAS MOTOR- UND GETRIEBEGEHÄUSE MUSS TRAGEN, DAHER ZWEI FUNKTIONEN GLEICHZEITIG ERFÜLLEN, DIE SCHLECHT MITEINANDER IN EINKLANG ZU BRINGEN SIND

Anerkennend, aber auch mit Skepsis kommentierte der Diplom-Ingenieur Josef Ganz das Prinzip in der ADAC Motorwelt 1930 so: »Der Tatra-Typ erfordert wenig Material, ist also leicht, dabei aber gleichzeitig ungemein biegungs- und verdrehungssteif. Seine Nachteile sind: Das Fahrzeug muss‚ von Kopf bis zu Fuß‘ Sonderausführung sein, also weder die üblichen Motoren, noch Getriebe, Kardanwellen, Hinterachsantriebe oder Karossen sind irgendwie verwendbar. Das Motor- und Getriebegehäuse muss tragen, daher zwei Funktionen gleichzeitig erfüllen, die schlecht miteinander in Einklang zu bringen sind.« Der Einwand ist plausibel, schließlich wurden für Rolls-Royce – noch Jahrzehnte später – dieselben Fahrgestelle mit variierenden Motorisierungen und Karosserien montiert.

Anders als der größere und gewichtigere T77 hat der T87 – wie der T77A – drei in den Bug integrierte Scheinwerfer. Sie verschwinden in der Modellgeschichte des T87 weiter in die Karosserie. Dort versenkt sind selbst bei der ersten Version schon die Türgriffe! Auch im Dienst einer optimierten Windschlüpfrigkeit sind die Hinterräder abgedeckt. Das Heck ist beim T87 nicht mehr ganz bis zur Straße runtergezogen wie bei einem Schlafrock. Die Ganzstahlkarosserie ist selbsttragend, das Fahrwerk hinten gegabelt.

Tatra T87 aus der Vogelperspektive
Zwischen 1937 und 1950 wurden 3032 Tatra T87 gebaut.

Die Sicht aus der vorderen Sitzreihe ist ähnlich innovativ und großzügig – dank der Idee einer Panorama-Windschutzscheibe. Zwei Zentrifugalgebläse drücken Kühlluft durch die Zylinderreihen. Für die Wartung ist alles leicht zugänglich. So wie der Sprit ist das Öl vorne untergebracht, Verbrauch auf 400 Kilometer: 1 Liter. Empfohlen wird eine Eindruck-Zentralchassisschmierung: alle 200 Kilometer beim Fahren an einem Hebel im Cockpit ziehen und drücken – fertig ist die Wartung!

IM OSTBLOCK WURDE HANS LEDWINKA SO TOTGESCHWIEGEN WIE TATRA IM NAZI-REICH

1944 legten die Russen Ledwinka in Ketten. Es folgen sechs Jahre Kerker. Nach der Entlassung »bestürmte« ihn der Industrieminister persönlich, für die CSSR zu arbeiten. Diesmal zog Ledwinka eine Linie, und von der rückte er nicht mehr ab: Er verließ endgültig das Land. Er siedelte nach München, wo er sich mit Felix Wankel anfreundete. Der gab ihm seinen T87, der heute im Technischen Museum steht.

Museen, Verbände und Hochschulen in Österreich und West-Deutschland ehrten Ledwinka mit Titeln und Medaillen. In seiner einstigen Wahlheimat, im Ostblock, wurde er so totgeschwiegen wie Tatra im Nazi-Reich von 1933 bis 1938. Im Alter von 89 Jahren starb er 1967 in München. Genau sieben Wochen später feierte die Prager Tageszeitung Lidová demokracie die »unbestreitbaren Verdienste Ing. Hans Ledwinkas um die Konstruktionen der Tatra-Autos«.


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