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Flach, breit, sexy: Der Lamborghini Miura.

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Sterne und Stars gibt es viele – doch nur ein Topmodel war so abgefahren, dass dafür eine neue Fahrzeug-Kategorie ersonnen wurde: Supercar. Der Lamborghini Miura begeisterte von Anfang an – und heute immer noch.

Die Geschichte des Miura ist zu schön, um wahr zu sein. Kein Märchen, aber begleitet von Anekdoten und Legenden. Ein wunderschönes Beispiel dafür gibt Henry Manney III von Road & Track zum Besten: Auf dem Genfer Automobilsalon 1966 seien immer wieder Ferrari-Insider am Lamborghini-Stand vorbei geschlendert, »zufällig« – wie er berichtet – und dabei doch sichtbar bemüht, den neuen Miura möglichst unauffällig zu inspizieren.

Das muss man sich ausmalen: Da steht ein nagelneuer GT, flach und fast platzend vor lauter Kurven und Sex-Appeal, mit einem 4-Liter-V12-Mittelmotor (auch wenn der nicht rechtzeitig zur Messe eingebaut werden konnte!), gekrönt von einer ziemlich verwegenen Pressemitteilung, die eine Höchstgeschwindigkeit von 317 km/h versprach (in der längsten verfügbaren Übersetzung). 

Was für ein Gefühl muss das gewesen sein: Da sehen die Mitarbeiter von Ferrari die Zukunft, und ihre aktuellen Fahrzeuge sind daran nicht beteiligt. Und zwar so gar nicht.

Um die Wirkung nachvollziehen zu können, die der Miura auf dem Genfer Salon 1966 hatte – aber auch die Vor- und Nachteile seines Designs – ist es sinnvoll, einen unverfälschten P400 unter die Lupe zu nehmen. 

Gesagt, getan: Hier haben wir Iain Tyrrells perfekten P400 von 1968, Modell Nr. 225, frisch restauriert. Ein Top-Modell, schon letztes Jahr bei seinem Star-Auftritt auf dem roten Teppich des Speed Drivers’ Club beim Goodwood Festival of Speed. Wunderschön.

So schön, dass er in mir ein fast schmerzhaftes Verlangen auslöst, wie es Männer eigentlich nur beim Anblick bezaubernder, aber unerreichbarer Frauen verspüren sollten. Schon auf Fotos sieht der Miura atemberaubend aus. Sieht man ihn in echt, aus der Nähe in seiner ganzen metallenen Schönheit, dann entfalten die Liebe zum Detail und die Raffi nessen des Designs ihre volle Wirkung. Mit dieser Lackierung – »Verde Miura« – ist er einfach unwiderstehlich.

Auf meiner automobilen Muss-Liste ist er eins der Autos, das trotz ständiger Veränderungen eine Konstante darstellt. Wie ein Felsen in der Brandung. Solange ich mich erinnern kann, habe ich mich nach dem Miura verzehrt. Okay, mir war stets bewusst, dass er nicht perfekt ist, doch für mich geht’s nicht besser. Selbst meine automobile Top-10-Liste enthält mehr als zwanzig Kandidaten – doch der Miura war immer die Nummer 1.

Warum? Weil er einen V12 hat, der so röhrt, dass es einem durch Mark und Bein geht – und von da ins Herz, wo sich der Sound tief eingräbt. Zweiter Grund: Weil man, wenn man drin sitzt und einen Blick nach hinten wirft, die Vergaser und die   zwölf Ansaugstutzen direkt vor Augen hat. Weil ein von meinem Onkel zusammengeklebter GT40-Bausatz die erste vierrädrige Liebe war, an die ich mich erinnern kann – und der Miura diese Form übernahm und noch verbesserte. Kurz und knapp: Weil seine Schönheit perfekt ist.

Es ist umso erstaunlicher, dass der Lamborghini Miura nicht als eine Skizze geschwungener Kurven seinen Anfang nahm, womöglich nach einem Drei-Gänge-Menü überschwänglich auf eine Serviette skizziert – sondern als nacktes Chassis. Ein Chassis voller Ehrgeiz, aber alles andere als hübsch. Konstruiert um eine stählerne Zentralwanne, an der vorn und hinten Stahl-Sektionen – für die Aufhängungen und den Motor – angebracht wurden. Schön ist an dem Chassis lediglich die schlichte Funktionalität des Designs und die Löcher zur Gewichtsreduzierung der Struktur. Sogar an einem vollständig zusammengebauten und ausgestatteten Miura ist davon noch viel zu sehen, denn sowohl die Front- als auch die Heckpartie lassen sich komplett öffnen und geben den Blick auf den Rahmen frei. Als Iain Tyrrell die Hauben seines Miura entriegelt und öffnet, verstummt das Klicken des Fotoapparats, weil wir uns alle um das Fahrzeug drängen. Beim Blick unter die Hülle vergisst man zu atmen. Das Chassis war das geistige Kind von zwei Ingenieuren. Was Gian Paolo Dallara und sein Assistent Paolo Stanzani in ihrer Freizeit ersonnen hatten, ist mit dem Lamborghini-Erfolg eng verknüpft. 1963 kamen die beiden zu Lamborghini. Dallara kam von Maserati – die ihn von Ferrari abgeworben hatten –, Stanzani direkt von der Universität.

Beide liebten Motorsport. Beide bewunderten das Mittelmotor- Layout des Ford GT40. 1965 begannen sie, die Idee eines Mittelmotor-Supersportwagens für die Straße auszubrüten. Als sie lange genug geträumt und geplant und palavert hatten, präsentierten sie ihre Ideen Ferruccio Lamborghini. Es war ein radikales Projekt, obwohl De Tomaso 1963 den Vallelunga vorgestellt hatte und der Porsche 550 Spyder ebenfalls von einem Mittel-/Heckmotor angetrieben wurde. Allerdings waren das Vierzylinder; von den Problemen, die ein sperriger V12 mit sich bringt, weit entfernt. Und ein V12 sollte es sein. Dallara und Stanzani wussten auch schon, was für einer: der von Giotto Bizzarini konstruierte 4,0-Liter.

Wie also sollte man den als Mittelmotor in einem Straßenfahrzeug unterbringen? So, wie er im Lamborghini 350 GT eingebaut war, maß der V12 rund einen Meter – und zwar ohne das mächtige Getriebe. Dallara und Stanzani beschlossen, den Motor quer einzubauen, das Getriebe längsseits daneben und – wie das Differenzial – vom selben Ölkreislauf versorgt. Ein bisschen wie im Mini.

Sieben Monate später war das Chassis fertig – gebaut vom Spezialisten Marchesi (wie später auch alle Serien-Chassis des Miura). Als das stand – beim Turiner Salon 1965 – mutmaßten Insider, Ferruccio Lamborghini werde nun doch, entgegen all seiner Beteuerungen, in den Rennsport einsteigen. Denn das, was man sah, war wie geschaffen für Le Mans.

Das Chassis war eine Sensation, es war der Konkurrenz – speziell Ferrari – weit voraus. Mit oder ohne die Gerüchte der Motorsport-Reporter. Zu allem Überfluss hatte Signore Lamborghini reichlich damit zu tun, die Angebote fast aller großen Auto-Designer abzulehnen: Sie rissen sich darum, für das Chassis das passende Kleid zu entwerfen – während er sich wunderte, weshalb Nuccio Bertone als Einziger nicht zu seinem Stand gekommen war.

Dabei hatte Nuccio nur auf den richtigen Moment gewartet, um in Ruhe darüber nachzusinnen, was für Möglichkeiten die-   ses Chassis bot. Als er am letzten Tag der Messe zum Lamborghini- Stand schlenderte, eilte der Firmenchef höchstpersönlich zu ihm und erkundigte sich sofort, warum Bertone mit dem Begutachten des Chassis so lange gewartet habe – bis zum Ende der Ausstellung! – und ob das bedeute, er habe kein Interesse daran, die Karosserie zu zeichnen. Darauf erwiderte Bertone, er sei sogar sehr interessiert daran, zu welchem Termin könnte man sich im Lamborghini-Werk in Sant’Agata zusammensetzen.

Für Bertone war das ein ziemlicher Coup, war das Studio doch für Lamborghinis voriges Modell, den 350GT (und späteren 400GT) übergangen worden. Das Designbüro hatte bereits ein paar außerordentliche Hingucker abgeliefert – insbesondere die Studien für Alfa Romeo B.A.T. – und der Chef-Stylist der Firma, Giorgetto Giugiaro, der 1960 als Zwanzigjähriger zu Bertone gestoßen war, war eindeutig auf dem Weg nach oben.

Jedenfalls fuhr Nuccio Bertone kurz später zur Lamborghini- Fabrik und verließ sie – wenn man der Legende glauben darf – mit detaillierten Chassis-Zeichnungen und einem relativ offenen Briefi ng.

Selbstverständlich wurde Giugiaro mit der Arbeit betraut. Weniger selbstverständlich scheint, was der später behauptet hat – dass er nämlich keine Ahnung gehabt habe, für wen er die Karosserie zeichnen sollte. Er habe sich vielmehr gefragt, ob es aufgrund des Chassis-Motor-Pakets Bizzarini sei. Ob das stimmt? Es kommt einem mindestens merkwürdig vor, dass er nach der ganzen Furore, für die das Chassis in Turin gesorgt hatte, nicht zwei und zwei zusammengezählt haben soll.

Wie auch immer … über das Zeichen-Stadium kam Giugiaro letzten Endes nicht hinaus, weil er – wie zu erwarten – noch 1965 vom Konkurrenten Ghia abgeworben wurde. Für Bertone hätte das extrem peinlich, eine Katastrophe werden können, wäre da nicht ein anderes junges, aufstrebendes Talent eingesprungen: Marcello Gandini. 27 Jahre alt, übernahm der da, wo Giugiaro aufgehört hatte. Bis heute ist daher unklar, wer für das Design der Miura-Karosserie verantwortlich ist. Fest steht: Ferruccio Lamborghini gefi el, was er sah. Der Legende nach soll er sich die Zeichnungen angeschaut und dann einfach gesagt haben: »Baut mir das.«

Und damit begannen die Anstrengungen, den Prototypen des Miura für den Genfer Automobilsalon 1966 rechtzeitig fertigzustellen. Im März 1966 wurde die Karosserie für den Einbau des Motors von Turin zu Lamborghini nach Sant’Agata transportiert, anschließend für den letzten Schliff zurück zu Bertone. Dann wurde der Prototyp – ohne nennenswerte Tests – von Nuccio höchstpersönlich nach Genf gefahren.

Text: David Lillywhite
Fotos: Tim Andrew

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