De Tomaso Mangusta fahrend, frontal aufgenommen
Klassiker

De Tomaso Mangusta – Warum dieses Desaster einfach fasziniert

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OCTANE#16

 

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 Text John Simister // Fotos Jamie Lipman

DER DE TOMASOS MANGUSTA HAT EINEN FURCHTEINFLÖSSENDEN RUF – NICHT OHNE GRUND. DABEI IST ER UNGEWÖHNLICH SCHÖN. OCTANE GIBT VORSICHTIG GAS.

Exotische Kreaturen oder Objekte müssen nicht unbedingt praktisch, funktional oder gar effizient sein. Ihre Daseinsberechtigung besteht darin, extravagant, sinnlich und gewagt zu sein. Irdische oder praktische Eigenschaften sind da allenfalls schmückendes Beiwerk. Wer sich für etwas derart Exotisches entscheidet, der hat sachliche Beweggründe mit vollem Bewusstsein beiseitegewischt, um sich am Objekt der Begierde zu erfreuen. Wäre das nicht der Fall, dann hätte kein Mensch jemals einen De Tomaso Mangusta gekauft. Doch 401 Personen haben es letztlich getan.

Misst man die Qualität eines Fahrzeugs an normalen – auch schon in den Sechzigern geltenden – Maßstäben, dann war und ist dieses Auto furchtbar – ein Desaster. Die Qualität ist verheerend, es foltert jeden Knochen seiner Insassen – und jede Temposchwelle könnte die letzte sein. Dennoch sind Leute heute bereit, für einen Mangusta um die 270.000 Euro auf den Tisch zu legen. Den Mangusta sollte man nicht als Auto im normalen Sinne betrachten, sondern viel eher als … eine Art Kunstwerk!

De Tomaso Mangusta von hinten aufgenommen mit geöffneten Motorhauben

Dass sich nun dieses Kunstwerk auch noch bewegt, ist ein Extra, das man bei jedem zurückgelegten Kilometer in einem schweißtreibenden Kampf mit den Gesetzen der Physik genießen sollte. Seit der Mangusta 1969 gebaut wurde, hat das hier abgebildete Fahrzeug zwei mutige, wohl leicht masochistisch veranlagte Gefahrensucher über mehr als 150.000 Kilometer transportiert. Starke Leistung, das muss man so sagen.

WIR LIEBEN DIESEN SPORTWAGEN MIT MITTELMOTOR FÜR SEIN VISUELLES UND AKUSTISCHES SPEKTAKEL UND WENIGER FÜR SEINE FAHRKÜNSTE

Warum ist der De Tomaso Mangusta ein Kunstwerk? Er ist ein von Giugiaro gezeichneter Mittelmotor-Supersportwagen, Mitte der 1960er-Jahre entstanden – und von vorneherein mit dem Potenzial (serienmäßig ab Werk eingebaut) zu einem Objekt der Begierde zu werden. Der große Gigant Giorgio Giugiaro, zu der Zeit noch bei Ghia, zeichnete die Silhouette für einen vage angedachten Bizzarini, der am Ende nie realisiert wurde, weil sich Giotto Bizzarrini gerade in arger finanzieller Schieflage befand.

Cockpit des De Tomaso Mangusta
Das Handling des De Tomaso Mangusta ist gewöhnungsbedürftig – zuerst stößt man sich mit großer Wahrscheinlichkeit beim Einsteigen den Kopf an der oberen Windschutzscheibeneinfassung, um dann festzustellen, dass das Lenkrad zu weit rechts sitzt und die Pedale unterschiedlich tief stehen .

Zu der selben Zeit malte sich also der Argentinier Alejandro de Tomaso aus, es müsse eine Marktlücke geben für einen exotischen Sportwagen à la Miura oder für etwas von Rennautos Inspiriertes – wie den Ferrari 250LM oder den Ford GT40. Das Karosserie-Design existierte bereits. Herr de Tomaso hatte bereits ein Auto produziert – den Vallelunga, ein kleineres Mittelmotorfahrzeug mit der Maschine des Ford Cortina GT, dessen Chassis auch als Basis diente für einen offenen Sportwagen (intern P70, offiziell De Tomaso Sport 5000) mit Ford-V8-Motor.

Alle Zutaten für ein von Ghia gestaltetes Konzept-Auto waren vorhanden. Also konnte das Auto 1966 auf dem Automobilsalon Turin der Öffentlichkeit vorgestellt werden. 1967 wurde der Mangusta in Turin noch einmal gezeigt. Schon kurz daraufflatterten die ersten Aufträge herein. De Tomaso baute flugs darauf in Modena eine neue Fabrik, um die erwartete Nachfrage befriedigen zu können. 1968 ging die Fabrik in Betrieb und lief auf vollen Touren, als das hier abgebildete Auto in Kalifornien am 22. Mai 1969 ausgeliefert wurde.

AUCH IM INNENRAUM GIBT ES WEITERE KURIOSITÄTEN ZU ENTDECKEN WIE DAS VERSETZTE LENKRAD UND DIE UNTERSCHIEDLICH TIEF LIEGENDEN PEDALE

Der Mangusta bietet mit der Weiterentwicklung des Vallelunga-Zentralrohrrahmen-Chassis eine nicht sonderlich stabile Konstruktion. Dazu kommt diese legendär unausgewogene Gewichtsverteilung. 68 Prozent des Gesamtgewichts lasten auf den Hinterrädern und die Lenkung ist derart indirekt, dass vom einen bis zum anderen Anschlag 4,5 Lenkradumdrehungen benötigt werden. Bevor es hinters Lenkrad geht – nochmals eine Betrachtung des Kunstwerks. Mit seinen muskulösen und fast zeitlosen Linien sieht der Mangusta von der Seite einfach fantastisch aus. Das Design ist modern, fortschrittlich, aufregend und strotzend vor grenzenlosem Optimismus. Und das alles vor – sage und schreibe – einem halben Jahrhundert!

Das Steuer ist klein, der abgenutzte Lenkradkranz aus Holz und Leder sitzt tief, ist weit entfernt und befindet sich deutlich rechts vom Fahrer. Die Pedale sind ähnlich konfus platziert, das Gaspedal weitaus tiefer als die Bremse – womit das übliche Pedalspiel mit Hacken und Zehen stark wird. An der oberen Windschutzscheibeneinfassung kann man sich problemlos den Kopf anschlagen. Ein blubbernder, dröhnender, brüllender V8 ist nicht genau das, was man in einem solchen Auto erwarten würde, doch er ist das Herzstück der italo-amerikanischen Gene des Mangusta und verspricht mucho Macho-Drama.

Also: Gang einlegen – den Schalthebel durch die offene Kulisse im Ferrari-Stil zu bewegen ist ein steifer und doch elastischer Akt – und die Handbremse unter dem Armaturenbrett lösen – und es geht los. Mit dem Hintern wenige Zentimeter über dem Asphalt aber mit dem Gefühl, in einem Jet zu sitzen, setzt sich das Kunstwerk in Bewegung. Die Bewegung ist wie in einem Speedboot. Ich trete aufs Gaspedal, das Heck senkt sich – und die Lenkung wird plötzlich leichter. Während ich den Schalthebel bediene und durch die fünf eng gestuften Gänge hochschalte, geht hinten im Heck die Post ab und die entlasteten Vorderräder scheinen nur wenig zur Fahrzeugkontrolle beizutragen.

EIN BLUBBERNDER, DRÖHNENDER, BRÜLLENDER V8 IST DAS HERZSTÜCK DER ITALO-AMERIKANISCHEN GENE DES MANGUSTA UND VERSPRICHT MUCHO MACHO-DRAMA

Und nun muss ich ziemlich stark bremsen und die Vorderreifen quietschen furchteinflößend, als ich die Bremse an die Grenze des Blockierens bringe. Irgendwie gelingt es mir, den Mut aufzubringen, ein paar schnelle Kurven zu fahren, obwohl das Fehlen stärkerer Lenkungsrückmeldungen bei höherem Tempo beunruhigend ist. Also lenke ich in der nächsten noch leicht feuchten Kurve etwas weniger ein und gebe etwas stärker Gas. Sofort wird das Heck nervös und beginnt zu tänzeln – doch von der Lenkung gibt es dazu keinerlei Rückmeldung. Den furchteinflößenden Ruf hat er sich redlich verdient.

Klar, das Fahrwerk ist grenzwertig, den Grenzbereich will man nicht wirklich testen – jenseits von 150/160 km/h hat man das Gefühl, die Front wird immer leichter. Das Auto fordert dich physisch wie psychisch: die Kupplung ist sehr schwergängig, was besonders im Stau sehr anstrengend werden kann. Doch letztlich sollte der Mangusta – speziell die US-Version – als visuelles und akustisches Spektakel betrachtet und geschätzt werden und weniger als Fahrmaschine der Spitzenklasse.


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