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Corona-Call mit Achim Anscheidt, Chef-Designer von Bugatti

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Wollten Sie nicht immer schon mal einen ganz kleinen, heimlichen Blick in die private Arbeits- und Lebenswelt der Designer, Marketing-Chefs und CEOs der bedeutenden Automobilhersteller werfen? Voila, Corona macht’s möglich!

Gerade bei Designern, Marketing-Chefs und CEOs vermutet man ja eine gewisse berufsbedingte Achtsamkeit im Umgang mit dem Eigenimage. War das bisher vor allem durch Kleidung, Stil und Accessoires bestimmt, so kommt seit Corona eine ganz neue Facette dazu: Die Videokonferenz Kamera am Laptop erlaubt uns eine ganz neue Form der Intimität – einen Blick ins private Homeoffice. Zugegebenermaßen nur ein Schlüssellochblick. Aber ist es nicht gerade dieser beschränkte Blickwinkel, der den Blick durchs Schlüsselloch so interessant macht? Weil uns damit – je nach Perspektive – nur ein kleiner Ausschnitt preisgeben wird und Raum für Deutung, Vermutungen, Fragen offen bleibt:

Was schließen wir aus dem Bild, das uns unser Video-Gegenüber mit seiner Laptop-Kamera freigibt? Wie mag es wohl im Rest der uns verborgen bleibenden Lebenswelt aussehen? Was hat ihn motiviert, sich in dieser Umgebung vor der Kamera zu präsentieren? Gedankenlosigkeit, nichts? Oder wurde bewusst positioniert, zurechtgerückt, vielleicht sogar inszeniert? Sollen uns einzelne Details etwas sagen?

Genügend Raum für Fragen, die wir Designern, Marketing-Chefs und CEOs einfach mal gestellt haben. Heute gibt uns Achim Anscheidt, Chef-Designer von Bugatti, im Corona-Call einen kleinen Einblick in seine Privatwohnung in Berlin, von der aus er in normalen Zeiten mit dem ICE zum Bugatti-Firmensitz im elsässischen Molsheim und nach Wolfsburg pendelt.

Achim Anscheidt, Bugatti
Achim Anscheidt muted sich bei Videokonferenzen schon mal und hört dann Bach oder Elektrobeats.

Was inspiriert Sie, wenn Sie in Zeiten wie diesen im Homeoffice sitzen?

“In Berlin erfreut mich, dass Menschen aus meinem Umfeld  positiv nach vorne denken und aus der Not eine kreative Tugend schöpfen. Von den befreundeten Gastronomen in der Nachbarschaft, die ein Extrakt Ihrer Labs – in hygienischer Distanz – am Fenster verkaufen, über Berliner DJs die z.B. über Plattformen wie „United We Stream „ die (Platten)-Teller online als „Oneman – bzw Onegirl” – Show kreisen lassen, bis hin zu Freunden die aus Ihrem Modedesignstudio angefangen haben, einen textilen Atemschutz zu nähen. Die meisten haben erkannt, dass es bei der Epidemie um ein höheres sozialverantwortliches Gut geht. Es ist nach wie vor ein Füreinander verlangt, ohne das gesellige Miteinander.”

Was fehlt Ihnen, oder was geht am heimischen Schreibtisch besser, als im Büro?

Gestalten ist etwas zutiefst Menschliches. Designer sind Menschen, die für den stilistischen Habitat unserer Ambitionen, Bedürfnisse und Sehnsüchte soziale als auch formale Verantwortung war nehmen. Es fehlen jedoch die Mitmenschen meines Teams in der derzeitigen unmittelbar gegebenen isolierenden Umgebung. Und wenn es auch manchmal nur das vielzitierte gemeinsame Kritzeln auf einer Papierserviette ist… Design basiert oft grundlegend darauf, sich direkt und kontrovers mit Kollegen auszutauschen und sich damit gegenseitig zu fordern. Nicht selten eine Art „Trial and Error“-Prinzip. Es gilt, vorbehaltlos Ideen zu provozieren, auch auf die Gefahr hin, auch einmal danebenzuliegen. Design funktioniert nicht nach einem Excelsheet. Im Gegenteil, manchmal ist es dringend notwendig, das Excelsheet in den Papierkorb zu werfen“. Ansonsten würde in jeder Firma die große Enzyklopädie des erfolgreichen Designs stehen und alle Belesenen wären damit erfolgreich. Hier scheint ja wohl die fluktuierende Komponente eines kreativen Designteams unter Einwirkung von Kunst/ Antikunst, Zeitgeschehen, Qualitätsverständnis neuer Technologie und situativ fluktuierenden Stilgeschehens mit die wichtigste Komponente zu sein (wenn nicht sogar die wichtigste Komponente – siehe Apple Design). Das ist der Punkt, wo das stille Kämmerlein zu Hause in derzeitiger Isolation wenig förderlich wirkt. 

Einen automobilen Entwurf muss man sich dort ansehen wo er danach auch zu sehen ist – unter freiem Himmel . Und nicht nur am PC im Wohnzimmer. Diese Herausforderung via „Skype for Business“ zu bewältigen und frische Ideen in 3D online „zum Fliegen“ zu bringen, fordert uns zurzeit noch viel Ungewohntes ab. Auf der anderen Seite verspüre ich Effizienzpotential durch Videokonferenzen unsere Abstimmungsprozesse zu verschlanken. Zu guter Letzt frage ich mich welche Meetings heutzutage wirklich „face to face“ stattfinden müssen oder ob z.B. meine Designadministration nicht per Homeoffice effizienter gestaltet sein könnte, sodass  am Ende mehr Zeit für kreatives Arbeiten direkt im Studio bleibt. Mobile Arbeit im Homeoffice wird sich auch in unserem Fachbereich wandeln von der bisherig Arbeit gebenden Skepsis hin zum verpflichtenden Verbesserungspotential unserer Abläufe.

Was tun Sie, um sich das Arbeiten in dieser Situation angenehm zu machen?

Ganz ehrlich? Das kommt darauf an ob ich bei der Konferenz einen aktiven Part übernehme oder größtenteils nur zuhören sollte. Bei letzterem höre ich im Hintergrund  Musik, klassisch J.S. Bach oder Elektrobeats im Clubstreaming. Dann verziehe mich mit meinen Videokonferenzen oftmals in meine recycelte Alpenhütte auf dem häuslichen Flachdach. Das Mikrofon der Konferenzschaltung ist dann einfach gekoppelt mit dem Muteknopf der Bluetoothbox.

Was wollen Sie uns mit dem Bildausschnitt sagen, den sie uns mit ihrer Laptop-Kamera freigeben?

“Zum einen: dass es weder einen 100% privaten noch einen 100% beruflichen Achim Anscheidt gibt. Und das geht vielen Automobildesignern so. Man schaltet selten ganz ab, hält immer die Augen offen nach formalen Trends, Materialitäten, interessanten Topologien oder schlichtweg … Autos. Soweit mit den Zielen der Firma vereinbar wird dadurch oftmals und unbewusst der private Raum zum beruflichen und anders herum. 

Und zum anderen:  wenn wir größtenteils als Team im Homeoffice arbeiten, dann doch bitte jeder so wie man diese Herausforderung am erfolgreichsten , effizientesten und fröhlichsten hinbekommt. Ich halte wenig von einer biblisch vorgeschriebenen Etikette der Heimarbeit. Ich erinnere mich dabei gerne an den Kollegen der uns seine sonnig örtliche Lage im Garten beschrieb, nur um dann tumultartige Geräusche zu vernehmen als seine Frau Gemahl den Rasensprenger aktivierte… “

Was sehen wir da im Hintergrund?

Man sieht hinter mir ein spätgotisches, verwittertes Ziffernblatt eines Prager Kirchturms zu Ende des 19.Jahrhunderts. Ich habe die Reste dieser Kirchturmuhr bei einem Kreuzberger Stahlbauer vor 15 Jahren durch Zufall entdeckt und gegen eine Autoskizze seines Citroen DS Pallas eintauschen können … 

Was geben diese Dinge von Ihrer – bisher vielleicht unbekannten – privaten Persönlichkeit als Videokonferenz-Gegenüber frei? 

“Zunächst einmal wird man daran erinnert dass unsere Friseure bald wieder öffnen… Und man sieht an meinem T-Shirt, dass die Leidenschaft meines ersten Berufslebens – quasi als „early Achim Anscheidt“ – noch existiert und meine Kamerafreigabe ein altenglische Chesterfield Sofa zeigt, als auch meine betagten Kopfhörer sowie das besagte Ziffernblatt im Hintergrund. Daran sieht man glaube ich deutlich, dass ich natürliche Gebrauchsspuren und Patina als schön empfinde – sowohl an den uns umgebenden Dingen , historischen Automobilen und allerlei Objekten …. als auch auch an meinen Mitmenschen.”

Die Interview-Fragen stellte OCTANE-Herausgeber Berthold Dörrich

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