Klassiker

Brillant – und doch gescheitert

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Der Chrysler Turbine von 1963 war ein brillantes Stück Technik, das perfekt funktionierte. Warum also scheiterte der Wagen in letzter Konsequenz? Mark Dixon erzählt die Geschichte einer verpassten Chance.

Mit Jay Leno am Steuer eines Oldtimers durch die Straßen von Los Angeles zu fahren, während die Sonne über dem Pazifik untergeht, ist ein ziemlich cooles Erlebnis. In dieser beneidenswerten Lage befand ich mich vor ein paar Jahren während einer Recherche für OCTANE in Kalifornien. Seltsamerweise kann ich mich nicht daran erinnern, dass wir damals viel Aufmerksamkeit in seinem Chrysler Turbine erregt hätten.

Wenn man mit Jay unterwegs ist, kommt man normalerweise an jeder Ampel mit dem Fahrer neben einem oder mit jemandem auf dem Bürgersteig ins Gespräch; er hat nicht nur eines der bekanntesten Gesichter Amerikas, sondern ist auch jederzeit zum Gespräch mit einem Fremden bereit. Vielleicht lag es am Auto. Obwohl die Turbine unbestreitbar ein Produkt der 1960er-Jahre ist, fällt sie in einer Stadt nicht auf, in der immer noch Tausende von Klassikern zu Hause sind, die sich aufgrund des milden Klimas und der angeborenen Autoliebe der Angelenos in einem guten Zustand befinden.

Nur 55 Chrysler Turbine wurden gebaut. Und fast alle am Schluss der Erprobungsphase mit Gabelstapler, Axt und Schrottpresse zerstört.

Mehr als jeder andere amerikanische Automobilhersteller war Chrysler ein strammer Verfechter der Turbine als potenzieller Konkurrent zum traditionellen Kolbenmotor. In den späten 1930er-Jahren begann das Unternehmen mit der Erprobung von Turbinenantrieben – zunächst für den Einsatz in Flugzeugen – und stellte 1954 sein erstes turbinengetriebenes Auto vor. Als die Detroiter 1981 ihre Turbinen-Ambitionen endgültig aufgaben, hatten sie nicht weniger als 77 Turbinenautos getestet; 55 davon waren das hier gezeigte Modell der vierten Generation, das als Chrysler Turbine bekannt ist.

Die potenziellen Vorteile der Turbine waren vielfältig. Ein Turbinenmotor ist unglaublich laufruhig; man kann eine Münze hochkant auf den Antrieb legen, während er läuft, ohne dass die Münze umfällt. Der Turbinenmotor hat viel weniger Teile als ein Kolbenmotor und erfordert keinen großen Wartungsaufwand, da er so sauber läuft, dass er sich das Öl sogar mit dem Getriebe teilen kann – und das ohne häufige Ölwechsel. Am wichtigsten ist vielleicht, dass eine Turbine mit allem betrieben werden kann, was brennt. Sie braucht kein Benzin.

Trotz dicker Auspufrohre kann man sich an den Abgasen nicht verbrennen. Die werden nämlich über einen Wärmetauscher fürs Spritsparen zurückgeführt.

Man sollte meinen, dass die Möglichkeit, ein Auto mit so ziemlich allem zu betreiben – Kerosin, Diesel, ja sogar Alkohol – in Zeiten von Biokraftstoffen und der unaufhaltsamen Suche nach billiger, erneuerbarer Energie ein wichtiges Verkaufsargument wäre. Die Chrysler-Ingenieure experimentierten auf Wunsch des mexikanischen Präsidenten Adolfo Mateos sogar mit Tequila, als ein Turbinenauto Ende 1963 auf einer weltweiten Werbetour war; der Motor funktionierte perfekt. Die sich hartnäckig haltende Legende, dass der Motor während der Stippvisite des Wagens in Paris auch mit dem Parfum Chanel N° 5 betrieben wurde, klingt allerdings weniger wahrscheinlich, eher aus wirtschaftlichen als aus chemischen Gründen.

Doch als die Turbine 1963 auf den Markt kam, war Benzin billig und reichlich vorhanden, zumindest in den USA. Es gab keinen Anreiz für private Autofahrer, sich zwischen den Kenworth- und Peterbilt-Lastern an den Dieselpumpen zu bedienen. Warum sollte jemand ein Risiko mit einer unerprobten Technologie eingehen, wenn diese ihm keinen offensichtlichen finanziellen Vorteil brachte?

Keine Heckflossen wie bei Jagdflugzeugen, aber ein wenig Raketenzeitalter spielte bei der Gestaltung des Hecks eine offenkundige Rolle.

Die Funktionsweise einer Turbine ist recht einfach. Eine Art Lüfterrad an der Vorderseite komprimiert Luft, die mit Kraftstoff vermischt von einer Zündkerze entzündet wird; das dichte Gemisch treibt dann eine zweite Turbine an, die mit einer Abtriebswelle verbunden ist. Im Falle des hier gezeigten Fahrzeugs der vierten Generation ist die Abtriebswelle stark untersetzt, um ein herkömmliches TorqueFlite-Automatikgetriebe antreiben zu können. Einen Drehmomentwandler gibt es nicht, da die Turbine selbst diese Aufgabe übernimmt.

Natürlich gibt es dabei Erschwernisse. Eine Turbine arbeitet bei extrem hohen Temperaturen, was teure Legierungen notwendig macht. Außerdem drehen sich die Innenteile mit phänomenal hoher Geschwindigkeit: Bei dem hier abgebildeten Auto läuft das Triebwerk im Leerlauf mit 18.000, bei voller Leistung mit 44.000 Umdrehungen pro Minute. Die Spitze der Turbinenschaufeln bewegt sich dann mit mehr als 1600 Kilometern pro Stunde.

Diese hohen Schaufeldrehzahlen bedeuten auch, dass viel Kraftstoff verbraucht wird, und auch der superschnelle Leerlauf macht ein Turbinenfahrzeug im dichten Verkehr durstig. Einmal in Fahrt, verschiebt sich das Gleichgewicht: Der Verbrauch eines Chrysler-Turbinenautos auf offener Straße ist mit dem eines V8-Benziners vergleichbar.

Fotos Gabor Mayer // Bearbeitung Christel Flexney

Lesen Sie in OCTANE #55, warum die Turbinen-Modelle nie in Serie gingen.

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